Zurück ins Leben: Die Vorarlberger Schubertiade findet zum 50. Mal statt – ein Besuch in Hohenems
Die Fenster sind abgedunkelt. Der Sitzkomfort auf den Holzstühlen im 300 Plätze fassenden Markus-Sittikus-Saal in Hohenems hält sich in
Die Fenster sind abgedunkelt. Der Sitzkomfort auf den Holzstühlen im 300 Plätze fassenden Markus-Sittikus-Saal in Hohenems hält sich in Grenzen. Um Entspannung geht es bei der Schubertiade aber auch gar nicht, sondern um konzentriertes Zuhören. Hier klingelt kein Handy während des Konzertes und knistert auch keine Handtasche. Der Glamourfaktor dieses Kammermusikfestivals, das in diesem Jahr zum 50. Mal stattfindet, tendiert gegen Null.
Eventpublikum gibt es keines. In den Konzertpausen wird unter Bäumen über die gehörte Interpretation diskutiert. Obwohl sich die Schubertiade schon lange anderen Komponisten geöffnet hat, spielt das Werk von Franz Schubert immer noch die Hauptrolle. Und wenn man die „Winterreise“ so atmosphärisch dicht und emotional aufwühlend hören kann wie von Julian Prégardien und Daniel Heide, dann hat sich die Reise nach Vorarlberg schon am ersten Abend gelohnt. Der an der Freiburger Musikhochschule ausgebildete Tenor ist ein Ausnahmeliedsänger. Vom Betreten der Bühne an baut er eine Spannung auf, die er bis zum letzten Lied – dem ganz verklärt gesungenen „Leiermann“ – nicht mehr verliert. Nicht ist manieriert bei seinem auswendigen Vortrag. Mit Daniel Heide hat er einen Begleiter am Klavier, der mit ihm gemeinsam durch die bewegende, zwischen zarter Hoffnung und brutaler Enttäuschung schwankende Geschichte geht, die Atmosphäre vorbereitet und die Spannung weiterführt. Schon im ersten Lied „Gute Nacht“ mischt Prégardien mehr Metall in seine warme, lyrische Stimme. „Die Wetterfahne“ hat von Beginn an existentielle Wucht. Immer wieder gibt es diese Übergänge von Nähe zu Distanz, von Gebrochenheit zu Wut, vom lichten Traum zur dunklen, bedrohlichen Realität. Heide und Prégardien holen das Kunstlied ins Leben zurück und sorgen damit für Beifallsstürme.
Während sich andere Festivals immer neu erfinden, hippe Formate entwickeln, auf Social Media präsent sind und Vermittlungsarbeit betreiben, konzentriert sich die Schubertiade auf das Kerngeschäft: die Musik. Veränderungen hat es im Laufe der 50 Jahre nur in den Rahmenbedingungen gegeben, nicht in der Präsentation. Als der Bariton Hermann Prey von 8. bis 16. Mai 1976 die erste Schubertiade in Hohenems durchführte, war der aus dem Ort stammende, inzwischen Gerd Nachbauer (Jahrgang 1951) schon Ideengeber und Geschäftsführer – vier Jahre später dann auch künstlerischer Leiter. Ab 1983 erweiterte Nachbauer das Repertoire, nahm Spielstätten hinzu und konnte in Schwarzenberg mit dem auf 600 Plätze erweiterten Angelika-Kaufmann-Saal auch Orchesterkonzerte durchführen. Seit 2005 findet die Schubertiade in mehreren Zyklen abwechselnd in Hohenems und Schwarzenberg statt. Einige Museen in Hohenems erzählen die Geschichte des Festivals und beleuchten das Leben Franz Schuberts, der übrigens nie vor Ort war. Elisabeth Schwarzkopf, Dietrich Fischer-Dieskau, Swjatoslaw Richter, Christa Ludwig, Alfred Brendel – viele bedeutende Künstlerpersönlichkeiten fanden den Weg in die Vorarlberger Provinz. Seit 1991 finanziert sich das Festival nur über den Kartenverkauf. Das soll auch so bleiben, obwohl die Zuschauerzahlen stark zurückgegangen sind und sich seit dem Rekordjahr 2005 (57.100) mehr als halbiert haben. Die Coronapandemie hat dem in gewisser Weise anachronistischen Festival stark zugesetzt. Einige der internationalen Stammgäste sind inzwischen nicht mehr reisefähig oder auch verstorben. 2024 zählte man nur noch rund 24.000 Gäste bei 59 Konzerten. Für dieses und nächstes Jahr hat man jeweils zehn Konzerte weniger programmiert. Und hofft, damit die richtige Balance gefunden zu haben. Es gebe durchaus neues Publikum, meint Pressesprecherin Evelyn Gmeiner hoffnungsvoll. Und verweist auf das kommende Jubiläumsjahr, in dem das Programm der ersten Schubertiade wieder aufgelegt wird und man in insgesamt sechs Zyklen den runden Geburtstag feiert.
Die hohe künstlerische Qualität möchte man auf jeden Fall beibehalten, was auch der Schumann-Abend mit Christian Gerhaher (Bariton) und Gerold Huber (Klavier) zeigt. Beeindruckend, wie Gerhahers operngeschulter Bariton in „Warte, warte, wilder Schiffmann“ die gewaltigen Oktavgänge des Klaviers überstrahlt. Die beiden seit der Kindheit miteinander Vertrauten gestalten große Bögen und reagieren in jedem Detail aufeinander. In der „Dichterliebe“ bringen sie die gesamte Bandbreite der menschlichen Emotionen zum Klingen. Dass die Schubertiade auch immer wieder Talente entdeckt, zeigt das begeisternde Debüt des Sitkovetsky Trios. Schon in Beethovens „Geistertrio“ begeistern Alexander Sitkovetsky (Violine), Isang Enders (Violoncello) und Wu Qian (Klavier) gleichermaßen durch Empfindsamkeit und Energie. Franz Schuberts „Notturno“ wird zum Schweben gebracht. Und das große Klaviertrio in B-Dur D 898 in seiner ganzen Komplexität mit Leben gefüllt. Andächtiges Lauschen – und nach der brillant musizierten Coda des Finales Bravorufe und Fußgetrampel im Markus-Sittikus-Saal.
Nächste Schubertiade: 1.-5. Oktober 2025, Hohenems. Infos und Tickets unter www.schubertiade.at
Bildnachweis: Julian Prégardien, Daniel Heide Copyright: Schubertiade Hohenems





