Nachhaltig

Zeitenwende im Stall: Warum die EU das Tierwohl-Recht reformiert – und wie Sie mitentscheiden können

Wenn wir im Supermarkt vor dem Kühlregal stehen, lächeln uns glückliche Kühe und Schweine auf saftigen Wiesen von den

Zeitenwende im Stall: Warum die EU das Tierwohl-Recht reformiert – und wie Sie mitentscheiden können

Wenn wir im Supermarkt vor dem Kühlregal stehen, lächeln uns glückliche Kühe und Schweine auf saftigen Wiesen von den Verpackungen unserer Lebensmittel entgegen. Doch die Realität in vielen europäischen Ställen sieht anders aus.
Die Europäische Union steht derzeit vor einer der größten Reformen ihrer Tierwohl-Gesetzgebung. Das Ziel: Die Modernisierung der Rechtsvorschriften zum Schutz von landwirtschaftlichen Nutztieren.

Dieser Wandel soll nicht im stillen Kämmerlein geschehen. Die EU-Kommission hat eine öffentliche Konsultation gestartet, bei der auch Ihre Meinung gefragt ist.

Der Status Quo: Enge statt Entfaltung

Um zu verstehen, warum eine Modernisierung notwendig ist, müssen wir zunächst verstehen, was derzeit in der EU erlaubt ist. Zwar hat die EU im weltweiten Vergleich relativ hohe Standards, doch „legal“ bedeutet für das Tier oft noch lange nicht „artgerecht“.

Die vorherrschenden Haltungsformen:

1. Die Käfighaltung: Trotz diverser Verbote (z.B. bei Legehennen die konventionelle Käfighaltung) ist die Haltung in sogenannten „ausgestalteten Käfigen“ in vielen Ländern noch Realität. Noch gravierender ist die Situation bei anderen Tieren: Kaninchen, Wachteln sowie Sauen im Abferkelbereich verbringen oft ihr gesamtes oder Teile ihres Lebens in engsten Gittern, die kaum Bewegung zulassen.

2. Intensivtierhaltung (Massentierhaltung): Dies ist die dominierende Form der Fleischproduktion. Tiere werden auf engstem Raum gehalten, um die Effizienz zu maximieren. Für Masthühner und Schweine bedeutet dies oft Spaltenböden statt Stroh, künstliches Licht und kaum Möglichkeiten, natürliche Verhaltensweisen auszuleben.

3. Anbindehaltung: Auch bei Rindern ist in einigen Regionen die Anbindehaltung – zumindest saisonal – noch gängige Praxis, was den Bewegungsradius der Tiere extrem einschränkt.

Was das für das Tierwohl bedeutet

Die aktuellen EU-Vorschriften sind oft veraltet und basieren auf wissenschaftlichen Erkenntnissen, die längst überholt sind. Moderne Tierschutzforschung zeigt, dass Tiere nicht nur „frei von Schmerz“ sein müssen, sondern auch positive Erfahrungen machen und arttypisches Verhalten zeigen wollen (z.B. Wühlen bei Schweinen, Scharren bei Hühnern). Die derzeitige Gesetzeslage lässt zum Teil noch immer zu, dass Tiere rein als Produktionseinheiten behandelt werden. Das Ergebnis sind Verhaltensstörungen wie Schwanzbeißen bei Schweinen oder Federpicken bei Hühnern – Symptome eines Systems, das die biologischen Bedürfnisse der Tiere ignoriert und bewusst das Leid dieser Lebewesen in Kauf nimmt.

Der blinde Fleck: Nachhaltigkeit und CO2-Ausstoß

Ein Argument der Befürworter der Intensivtierhaltung ist oft die „Effizienz“. Angeblich sei die Produktion von viel Fleisch auf wenig Raum klimaschonender, da weniger Land verbraucht werde als bei Weidehaltung. Doch diese Rechnung ist unvollständig und gefährlich.

Die CO2-Bilanz der Massentierhaltung:

Futtermittelimport: Für die intensive Haltung in der EU werden riesige Mengen Soja importiert, oft aus Regionen, in denen dafür Regenwald abgeholzt wurde. Dies treibt den CO2-Fußabdruck massiv in die Höhe.

Emissionen: Die Landwirtschaft ist für einen signifikanten Teil der Treibhausgasemissionen in der EU verantwortlich. Neben CO2 sind es vor allem Methan (durch Verdauung bei Wiederkäuern) und Lachgas (durch Düngung und Gülle), die das Klima belasten.

Wasser und Boden: Die enorme Menge an Gülle aus Intensivbetrieben führt zur Überdüngung der Böden und Belastung des Grundwassers mit Nitrat.

Eine Modernisierung der Tierwohl-Gesetze, die zu weniger Tieren in besseren Haltungssystemen führt, ist daher nicht nur eine ethische, sondern auch eine ökologische Notwendigkeit. Klasse statt Masse könnte den CO2-Ausstoß langfristig senken, indem Kreislaufwirtschaften gefördert und Futtermittelimporte reduziert werden.

Ein trauriges Kapitel: Tiere für die Mülltonne

Ein Aspekt, der in der Debatte oft vergessen wird, ist die Verschwendung. Wir produzieren unter hohem Einsatz von Ressourcen und Tierleid Lebensmittel, die am Ende niemand isst.

Aktuelle Studien und Schätzungen zeichnen ein düsteres Bild: Ein erheblicher Teil der Fleischproduktion landet im Müll. Man spricht hierbei von Lebensmittelverschwendung, doch bei Fleisch ist es mehr als das: Es ist Lebensverschwendung.

Wenn wir berücksichtigen, dass etwa 20% des produzierten Fleisches (je nach Tierart und Studie variieren die Zahlen) weggeworfen werden, bedeutet das statistisch gesehen: Jedes fünfte Tier in der Intensivhaltung leidet und stirbt völlig umsonst. Es wird geboren, gemästet, produziert CO2 und Gülle, wird geschlachtet – nur um als Abfall zu enden. Eine Reform der EU-Gesetze, die Fleisch wieder zu einem wertgeschätzten Produkt macht statt zu einer billigen Massenware, könnte helfen, diese Verschwendung einzudämmen.

Jetzt handeln: Ihre Stimme zählt!

Die Europäische Kommission überarbeitet derzeit die Tierschutzvorschriften und fordert die Meinung sowie Initiative der europäischen Bürger:innen ein. Eine direkte Reaktion auf die Europäische Bürgerinitiative „End the Cage Age“. Es geht unter anderem um:

• Den schrittweisen Ausstieg aus der Käfighaltung.

• Bessere Bedingungen bei Tiertransporten.

• Schonendere Schlachtverfahren.

• Eine klarere Tierwohl-Kennzeichnung für Verbraucher.

Tierschutz geht uns alle an, denn er entscheidet darüber, welche Art von Gesellschaft wir sein wollen.

Hier können Sie teilnehmen: Zur öffentlichen Konsultation der EU-Kommission

Bild: Mark Stebnicki/pexels

About Author

Elisabeth Jockers