Kunst

Zwischen Chaos und Ordnung: Dave Grossmann aus Berlin hat eine Ausstellung für die Freiburger Stiftung Roland Phleps geschaffen

Ganz am Ende der lang ansteigenden engen Pochgasse in Freiburg-Zähringen, wo schon der Wald beginnt, steht ein lichter Kubus

Zwischen Chaos und Ordnung: Dave Grossmann aus Berlin hat eine Ausstellung für die Freiburger Stiftung Roland Phleps geschaffen

Ganz am Ende der lang ansteigenden engen Pochgasse in Freiburg-Zähringen, wo schon der Wald beginnt, steht ein lichter Kubus – fast wie ein Ufo. Um zur Stiftung für Konkrete Kunst Roland Phleps zu kommen, muss man sich etwas anstrengen. Aber es lohnt. Besonders für die Ausstellung „Falling, Folding & Inbetween“ des im Jahr des Mauerfalls in Jena geborenen, inzwischen in Berlin lebenden Dave Grossmann. Der 36-Jährige, der in der Plattenbausiedlung Neu-Lobeda aufwuchs und dort auf Spuren des „einzigen“ (Grossmann) konkreten DDR-Künstlers Karl-Heinz Adler stieß, gilt als einer der markantesten Vertreter der „jungen“ konkreten Kunst, so Kuratorin Isabelle von Marschall im Gespräch bei der Vernissage. Für die Präsentation in dem zweigeschossigen Raum mit Erdgeschoss und Empore hat der Künstler eine Reihe von Arbeiten eigens geschaffen. Es sind überwiegend flache Reliefs aus mit Lack und Grafit bearbeiteten Holz- und OSB-Platten. Sie bilden geometrische Figuren, die in Bewegung zu sein scheinen – zwischen Fall und Stabilisierung.
Falten, sagt Grossmann, bilden Ordnung. Das kann jeder nachvollziehen, der schon einmal Wäsche gefaltet hat. Wer dagegen fällt, erleidet einen durchaus beängstigenden Kontrollverlust. Grossmanns in Falten angeordnete Reliefs drohen in Richtung Boden zu kippen, doch eine Gegenbewegung richtet sie wieder auf, so dass sie in fragilem Gleichgewicht verharren. Es ist ähnlich wie in einem Bild Heinrich von Kleists. Der Dichter betrachtete einen Torbogen und kam zur Erkenntnis: Weil alle Steine fallen wollen, halten sie sich gegenseitig auf. Grossmann interessiert der Punkt, wo das Falten ins Fallen, die Ordnung ins Chaos umkippt: das „Zwischen“. Aus dem Fall, so sieht er es, entsteht neue Ordnung.
Dass der Künstler zwanzig Jahre lang Breakdancer war, mag in seine Arbeit eingeflossen sein. Er ist „ein Freund der Bewegung“ geblieben. Die Arbeit am Material hat allerdings nichts Tänzerisches an sich. Der Weg von der aus rationaler Berechnung entstandenen Idee zur Umsetzung ist ein mühsamer, die Bearbeitung von Baumaterial und das Benutzen von zähen Lacken wie dem „Hammerschlag“ künden von schweißtreibender Aktion. Den bei Phleps ausgestellten Reliefs, mit denen Grossmann seine 2024 begonnene „Signature“-Reihe weiterentwickelt hat, sieht man die Mühen der Herstellung aber nicht an. Die Schwere des Materials steht in reizvollem Gegensatz zur – imaginierbaren – Bewegung der Objekte. Das gilt besonders für die größte Arbeit der Ausstellung: Die massiv schwarzen kippenden Balken von „Long Signature“ sind mit Acryl über die gesamte Rückwand der Empore aufgetragen. Ein Trompe d’oeil, wenn man so will.
Eine weitere kleine gemalte Serie mit dem Titel „In Shape“ ging aus 1000 Zeichnungen Grossmanns auf Basis eines einfachen Koordinatensystems hervor. Der ausgelegte Katalog zeigt die schier unerschöpfliche Variationsbreite der Aufgabe, doch Grossmann bekannte, dass er so etwas nicht noch einmal machen wollte. Die dreiteilige Serie „Collapse“ vervollständigt die Ausstellung. Dave Grossmann hat hier die Struktur der Holzfasern in OSB-Platten freigelegt, sie zum Teil mit weißem Grund überzogen und dadurch „Ordnung“ in diesem aus „chaotischem“ Pressspan bestehenden Material geschaffen. Optisch recht reizvoll, doch reichen die Arbeiten an den „Signature“-Fokus der Ausstellung nicht heran. Eine wunderbare Ergänzung zur optischen Präsentation bildete bei der Vernissage Thomas Wenks experimentelle musikalische Kombination von Kassettenrekorder und Rahmentrommel. Bei der Finissage tritt die Freiburger Tänzerin und Choreographin Emi Miyoshi auf. Auch das verspricht künstlerische Stimmigkeit.

Falling, folding and inbetween. Dave Grossmann. Stiftung für Konkrete Kunst Roland Phleps, Pochgasse 73, Freiburg. Bis 9.11.25

Bild: Dave Grossmann: „In Shape“, 2023, Hammerschlaglack und Acryllack auf Alu-Dibond © Dave Grossmann

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Bettina Schulte