Oper Theater

Kammerspiel mit extremen Emotionen: Die Opéra national du Rhin bringt Giuseppe Verdis „Otello“ auf die Bühne

Ein Raum mit drei Öffnungen. Gerade, schmucklose Wände – mehr braucht Regisseur Ted Huffman nicht, um an der Opéra

Kammerspiel mit extremen Emotionen: Die Opéra national du Rhin bringt Giuseppe Verdis „Otello“ auf die Bühne

Ein Raum mit drei Öffnungen. Gerade, schmucklose Wände – mehr braucht Regisseur Ted Huffman nicht, um an der Opéra national du Rhin Giuseppe Verdis späte Oper „Otello“ in Szene zu setzen. Es gibt ein Vorne und ein Hinten. Und manchmal auch zwei Stühle, auf denen die Intrige Jagos geplant wird, an deren Ende ein Mord steht.
Die szenische Konzentration trifft auf eine impulsive musikalische Deutung, die bei der Straßburger Premiere ein wenig Zeit braucht, um in die richtige Balance zu kommen. Verdi verzichtet in seiner 1887 an der Mailänder Scala uraufgeführten Oper auf eine Ouvertüre – er geht gleich in medias res. Eine Sturmmusik, die Speranza Scappucci am Pult des Orchestre philharmonique de Strasbourg mit schnellen Bewegungen zu einem Orkan entfacht. Der Chor dröhnt in der trockenen Akustik des Opernhauses, die Blechbläser schlagen Alarm. Die italienische Dirigentin gönnt diesem „Otello“ zunächst keine Verschnaufpause, um sofort die Emotionen hochkochen zu lassen. Aber je länger der Abend andauert, umso ausgeglichener wird die Balance zwischen Drama und lyrischem Innehalten. Scappucci lässt die Protagonisten atmen, die melodischen Phrasen werden weit gespannt. Das Orchestre philharmonique de Strasbourg überzeugt mit gutem Zusammenspiel, einem intensiven Streicherklang (Solocello!) und erstklassigen Holzbläsern. Und erzielt eine Sogwirkung, von der man sich gerne treiben lässt.
Beim ersten Aufeinandertreffen von Otello und seiner Frau Desdemona herrscht noch eitel Sonnenschein. Mikheil Sheshaberidze lässt seinen strahlkräftigen, aber wenig flexiblen Tenor in der Höhe glänzen, wenn auch leichte Intonationstrübungen zu hören sind. Adriana González‘ zeigt mit ihrem dunkel gefärbten Sopran eine empfindsame Frau, die ihre starken Gefühle eher nach innen richtet und dabei eine Fülle von Klangfarben entfaltet. Es ist Jago, der die Fäden in der Hand hat. Daniel Miroslaw spielt und singt diesen von Otello Vernachlässigten mit Intensität. Mal in Uniform, mal im hellen Sommeranzug (Kostüme: Astrid Klein) wählt er immer den richtigen Ton, um seinen Konkurrenten Cassio (lyrisch zurückhaltend: Joel Prieto) zu diskreditieren, in Otello Eifersucht zu wecken und die Geschichte eskalieren zu lassen. Sein wahres Gesicht zeigt dieser nickelbrillige Bösewicht in seiner kernigen Arie „Credo, in un Dio crudel“ (Ich glaube an einem grausamen Gott) im zweiten Akt, wenn für einen Moment die glatte Fassade bröckelt und Miroslaw seinen flexiblen Bassbariton ganz metallisch klingen lässt.
Ted Huffman, designierter Leiter der Opernfestspiele Aix-en-Provence, stülpt diesem intensiven Abend kein Konzept über, sondern er inszeniert mit einfachen Mitteln das, was von Giuseppe Verdi und seinem kongenialen Librettisten Arrigo Boito angelegt ist. Desdemonas Taschentuch, das Jago von seiner Frau Emilia (mit schlankem Mezzo: Brigitta Listra) mit Gewalt an sich reißt und zum wichtigen Teil der Intrige wird, ist genauso sichtbar wie das Belauschen von Gesprächen und ein riesiger Schatten, der anfangs von Jago auf die Bühnenwand fällt. Die Durchgänge in den Wänden sind Flucht-Räume. Im vierten Akt verschließt Otello diese Türen, als er zum letzten Mal Desdemona besucht, bevor er sie tötet. Das Abendgebet singt Adriana González noch voller Inbrunst, die gedämpften Streicher legen einen warmen Klangteppich aus. Am Ende hilft alles Flehen nichts. In seiner rasenden Eifersucht knallt Otello Desdemona ab. Und Jago sucht das Weite.

Foto: Mikheil Sheshaberidze (Otello), Daniel Miroslaw (Lago), Jasurbek Khaydarov (Lodovico) © Klara Beck

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Georg Rudiger

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