Literatur

Alles, nur nicht süßlich! Buchtipps für bedächtige Wochenenden

Ralf Rothmann „Museum der Einsamkeit“Findet sich ein roter Faden in den kurzen Erzählungen, die Ralf Rothmann unter dem Titel

Alles, nur nicht süßlich! Buchtipps für bedächtige Wochenenden

Ralf Rothmann „Museum der Einsamkeit“
Findet sich ein roter Faden in den kurzen Erzählungen, die Ralf Rothmann unter dem Titel „Museum der Einsamkeit“ versammelt hat? Unübersehbar hadern hier Menschen mit ihren Lebensumständen, fürchten sich vor dem Tod, kauen an verdrängten Erfahrungen oder brechen ins Ungewisse auf. Knapp skizzierte Einblicke in das Leben verschiedener Protagonisten lassen dies ahnen, aber so angedeutet, dass für den Leser imaginäre Freiräume bleiben, gehe es etwa um bizarre Nachbarn („Melodie bei Nacht“), einen verzweifelten Jungen, der Verantwortung für den kleinen Bruder trägt („Budenzauber“) oder einen Mann, der mutig einen vormals drangsalierten Mitschüler um Verzeihung bittet, doch damit Missgeschicke auslöst. Fast ebenso unheimlich stellt sich die Lage einer älteren Frau dar, die ihrer Einsamkeit in einer Idylle am Meer entfliehen möchte („Abschied von Baden-Baden“). Verlassen wirkt ein Mädchen im Krankenbett, das mit seiner chinesischen Handpuppe „Herr Dingens“ spricht. Nirgends Trost, schon gar nicht in der Erzählung, „Psalm und Asche“, in der die Stimme einer Frau zu hören ist, die auf dem Transport in ein Vernichtungslager ein Waisenkind umsorgt und, umgeben von kalten Tätern, einer Leidensgenossin jede Hoffnung nimmt: „Auch Klagen hilft nichts. Es raubt dir die Kraft, die du dafür brauchst, das Ende zu akzeptieren.“ Unerbittlich beobachtet der Autor, ohne Druck auf die Tränendrüse.

  • Ralf Rothmann. Museum der Einsamkeit. Suhrkamp 2025

Sara Mesa „Die Familie“
Zwar nennt sich das Buch „Roman“, doch der Leser wird an keiner einlinigen Handlung entlang gegängelt; vielmehr ermöglicht ihm die Erzählweise der spanischen Autorin Sara Mesa, die Mittels Vor- und Rückblicken sowie scharf pointierten Blicken verfährt, sich eine komplexe Familiensituation vorzustellen, ja auszumalen. In „Die Familie“ wird ein gewöhnliches Szenario beleuchtet, ein interaktives Geflecht, bestehend aus Vater, Mutter, zwei Söhnen, zwei Töchtern; Papa ist Sekretär eines Anwalts, verehrt Gandhi und ist sehr sozial engagiert. Gleichzeitig ist er ein Mann mit drastischen Vorstellungen und erzieht seine Kinder Damián, Rosa, Martina und Aqui, aber auch seine Frau Laura, zu Ordnung, Sparsamkeit und „Offenheit“, d.h. im Klartext, dass er komplette Kontrolle über sie anstrebt. So entsteht eine groteske Atmosphäre von Gehorsam und Unterwerfung, der sich die Beteiligten auf je eigene Weise zu entziehen trachten, sie entwickeln Geheimcodes oder unterlaufen ironisch die diktatorischen Zwänge. Bescheiden lebt man in diesem patriarchalen Mikrokosmos, doch immerhin in einer „netten“ Wohnung, aber ohne Geheimnisse und eigenen Hausschlüssel. Aus verschiedenen Perspektiven vermittelt Sara Mesa den Umgang einzelner Familienmitglieder mit dieser klaustrophobischen Lage. Wie einer leichthändigen Impressionistin gelingt es ihr, die krassen Verhältnisse erstaunlich souverän hinzutupfen.

  • Sara Mesa. Die Familie. Roman. Aus dem Spanischen von Peter Kultzen. Wagenbach 2025

Julian Schütt – Biographische Studie zu Max Frisch
Konnten wir nicht schon fast alles über den weltbekannten Autor Max Frisch (1911-1991) erfahren? Ja, aber die detaillierte Biographie des Literaturwissenschaftlers Julian Schütt, für die er fünfzehn Jahre recherchiert hat, beleuchtet neu den Zeitraum ab 1954, in dem Frisch Meisterwerke wie Homo faber, Andorra, Mein Name sei Gantenbein oder Der Mensch erscheint im Holozän verfasste und zudem in der Öffentlichkeit eine kritische Instanz war, engagiert gegen restaurative Tendenzen in der Nachkriegszeit. Frauen prägten bekanntlich sein Werk; sogar auf dem „Endbett“, wie er sein Sterbelager nannte, entging er ums Haar einer Heirat – dies nach zwei Ehen und Scheidungen sowie stetig weiteren Affairen. Erwähnenswert ist, dass Frisch durchaus selbstkritisch war und sich mitunter ablehnte, Liebschaften und Reisen konnten ein Ausweg sein. Am bekanntesten ist wohl die Verstrickung mit Ingeborg Bachmann, abgründig wechselten sich fünf Jahre lang die Sehnsucht nach Zweisamkeit und Alleinsein ab, bis zum finalen Riss. Auch auf der Basis unveröffentlichter Briefe, Notizen sowie Gesprächen mit Weggefährten nähert sich Julian Schütt dieser Vita und verdeutlicht die Bedeutung von intellektuellen Frauen für Max Frisch und seine Stoffe. Nicht frei von Voyeurismus erfahren wir im Zuge einer spannenden Lektüre auch, was für ein Irrsinn sich um amouröse Abenteuer ranken kann und die Literatur in Atem hält.

  • Julian Schütt. Max Frisch. 1955-1991. Biographie einer Instanz. Suhrkamp 2025

Bild: Ricky Esquivel/pexels

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Cornelia Frenkel