Kein Entkommen
Ein starkes Stück: Die Immoralisten inszenieren Frederico García Lorcas „Bernarda Albas Haus“
Schwermütig und düster geht es in den Dramen des spanischen Dichters Federico Garcia Lorcas zu, vor allem in der Trilogie aus dem bäuerlichen Leben Südspaniens, der auch das Stück „Bernarda Albas Haus“ angehört. Als „fotografisches Dokument“ wollte der junge Lorca sein letztes Drama verstanden wissen, das er kurz vor seiner Ermordung durch die Falangisten 1936 vollendete.
Entgegen ihrer Gewohnheit werden dem die Immoralisten in dieser Inszenierung durchaus gerecht. Entsprechend naturalistisch das Bühnenbild Manuel Kreitmeiers (Regie und Bühne; Assistenz: Tanja Trentmann), der sonst eher die Verfremdung sucht. Doch genau dieser hat sich dieses Stück, in dem die gestrenge Bernarda Alba ihre fünf Töchter, ihre betagte Mutter und die beiden Mägde beherrscht und unterjocht, regelrecht entzogen.
Kein Entkommen gibt es; aus der konventionellen Enge des Dorfes nicht, auch nicht aus ihrem inneren Gefängnis. Erstmals überhaupt wurde daher der Versuch einer Mittelbühne gemacht, um die rings herum hautnah am Geschehen die Zuschauer sitzen und die Szene regelrecht einkesseln. Sie geben gefühlt die Dorfgemeinschaft ab, als die sie auch immer wieder beschimpft werden. Auf einem Perserteppich in der Mitte des Raumes steht eine lange Tafel mit Stühlen, an der Wand das Büffet mit Geschirr, in der Ecke der Herrgottswinkel, im vorderen Teil der Bühne ein Eisenbett: Das alles wirkt irgendwie anheimelnd und unheimlich zugleich.
Der Tisch ist gedeckt mit richtigen Tellern, die wiederum gefüllt sind mit echter Suppe, die die Jungs denn später auch alle brav auslöffeln… Jungs? Nicht mangels weiblicher Ensemblemitglieder wurden alle Frauenrollen, auch die der Mutter (Uli Herbertz) bis auf die beiden Mägde (Anna Tomicsek und Christina Beer) mit Männern besetzt. Vielmehr wird so die Austauschbarkeit des Systems von Unterdrückern und Unterdrückten evident.
Glockengeläut zeigt es an, das Stück beginnt mit dem Begräbnis Bernarda Albas Ehemannes, dessen Ableben über sämtliche Frauen der Familie eine achtjährige Trauerzeit verhängt. Der Trauerzug betritt den Raum, vorneweg die unerbittliche Bernarda Alba (Florian Wetter), hinter ihr die fünf Töchter Angustias (Antonio Denscheilmann), Magdalena (Markus Schlüter), Amelia (Sebastian Ridder), Martirio (Uwe Gilot) und Adela (Jochen Kruß) – allesamt schwarz perückt und gekleidet in schwarze Spitzen und bunte Stickerei, dazu Bart- und Beinhaar. Das ist zunächst ein sehr komischer Anblick.
Ja!, mag man spätestens jetzt ausrufen. Das sind sie, die Immoralisten, wie man sie kennt und feiert! Sie ziehen ihre Stücke gottlob nicht bierernst durch bis zum Ende, sondern kredenzen den Zuschauern immer wieder auch befreiende Brüche. Doch irrte, wer sich bereits in befreiendes Gelächter retten wollte. Denn dieses Mal zogen sie es durch. In einem schier unerträglichen Spannungsbogen eines ihrer dunkelsten Stücke überhaupt. Und zeigten, dass sie auch dies beherrschen – eine gewaltige Leistung, die sie vor allem kraft des schauspielerischen Potentials aller Beteiligten zu vollbringen vermochten.
Die Enge, Bedrückung, Unterdrückungsgewalt und Not teilt sich den dicht dabei Sitzenden unmittelbar mit. Kein Entkommen auch für sie, denn sie werden gewollt oder ungewollt zu jenen Voyeuren, die (allein durch ihr Dasein) dies Drama stetig befeuern. Die sich nach einem Mann verzehrende – er heißt Pepe el Romano und ward das ganze Stück über nicht gesehen – und von der Mutter unterdrückte (zumal von Männern gespielte) Frauenschar strömt eine Urgewalt aus, die man zuweilen kaum aushalten kann. Die Anständigste von allen zu sein, das ist Albas Ziel, das sie auch für ihre Töchter vor Augen hat. Und mit dem Bild eines lüsternen, eingesperrten Hengstes auch in einer Szene benannt wird.
Am Ende ist das Wohnzimmer ein Trümmerfeld, auf dem Tisch liegt, von der Mutter erschossen und aufgebahrt, die als einzige zu ihren Gefühlen stehende Adela. Daraufhin kündigen alle anderen ihre Familie auf, legen nacheinander ihre Perücken ab und gehen fort. Ein starkes Bild für die Befreiung der Frau, nein, aller Menschen. Was bleibt ist „Schweigen“, – freilich sogleich wieder unterbrochen vom stürmischen Premierenapplaus für eine der stärksten Inszenierungen der Immoralisten, mit der sie zugleich ihr fünfjähriges Jubiläum begehen. Feliz cumpleaños!
Weitere Aufführungen bis 9. Mai, jeweils Do-Sa. Infos: www.immoralisten.de
Friederike Zimmermann