InterviewUNIversalis

Freiheit unter den Sternen: Ein Gespräch zur Astrologie im 21. Jahrhundert

Klaus Schäfer-Blankenhorn

Die Astrologie hat es nicht einfach. Meist zwischen Horoskop in der Fernsehzeitschrift und esoterischer Wahrsagerei verortet, bleiben ihr gegenüber viele Fragen offen. Etwa die nach dem Stand einer so alten Disziplin in unserer heutigen Gesellschaft. Oder die Frage nach dem Verhältnis der Astrologie zur Wissenschaft und der Religion. Fabian Lutz hat einen Astrologen getroffen und kritisch nachgefragt. Klaus Schäfer-Blankenhorn war Waldorflehrer und ist als Astrologe in Freiburg tätig. Auch ist er Mitglied im Deutschen Astrologen Verband.

UNIversalis: Studiert haben Sie zunächst Geschichte, Geografie und Romanistik. Haben Sie sich zu dieser Zeit schon mit Astrologie beschäftigt?

Klaus Schäfer-Blankenhorn: Nein, damals war ich eher Gegner der Astrologie.

UNIversalis: Warum das?

Klaus Schäfer-Blankenhorn: Die Vorstellung, dass Charaktereigenschaften und Ereignisse durch die Sterne bestimmt sind, wollte ich nicht akzeptieren. Dass damit etwas schon grundsätzlich festgelegt sein soll, hat mir sogar Angst gemacht. Heute weiß ich, dass diese Vorstellung ein Vorurteil gegenüber der Astrologie ist.

UNIversalis: Was änderte Ihre Einstellung?

Klaus Schäfer-Blankenhorn: Ich war Anfang 30, als mich ein Freund fast schon nötigte, mir mein Horoskop zu machen. Als er dann damit begann, Dinge über mich und meinen Charakter zu erzählen, habe ich mich darin wiedergefunden. Das hat mich verblüfft, aber auch verärgert, weil ich mich von meinem Glauben, dass der Mensch grundsätzlich frei ist, nicht abbringen lassen wollte. Für mich war das die Initialzündung, die Astrologie für mich selbst zu erforschen.

UNIversalis: Also ein skeptischer Zugang zur Astrologie?

Klaus Schäfer-Blankenhorn: Ja, ich wollte beweisen, dass es nicht so einfach ist. Mittlerweile kann ich sagen, dass es tatsächlich dumm ist, zu glauben, Ereignisse voraussagen zu können. Das sagte bereits Johannes Kepler, der Astronom und Astrologe war. Eine zeitgemäße Astrologie funktioniert für mich nur, wenn ich an die Freiheit des Menschen glaube. Ansonsten könnte ich zum Beispiel einfach behaupten, dass ich all meine Probleme nicht hätte, wäre ich nur eine Stunde früher geboren.

UNIversalis: Sind Sie damit innerhalb der Astrologie auch auf Gegenstimmen gestoßen?

Klaus Schäfer-Blankenhorn: Vor 28 Jahren habe ich begonnen an verschiedenen Orten in Deutschland Kurse zu geben. Da bin ich manchmal auf Astrologen gestoßen, die klar wussten, was richtig und was falsch ist. Ich mag diese Kategorien nicht. Ein Astrologe würde mir im Horoskop vielleicht entgegnen, dass ich ein luftbetonter Mensch sei, der sich gegen das Feste sträube, obwohl das Feste ja auch wichtig sei. Ich denke aber, dass man die Astrologie ohne den Aspekt der Freiheit nicht ausüben kann. Deshalb glaube ich auch, dass es gut ist, wenn ein Astrologe selbst ein Forscher ist, der sich den seelischen Phänomenen vorurteilslos annähert, sie in die astrologische Sprache übersetzt und dadurch immer neu dazulernt.

UNIversalis: Ein frontaler Schulunterricht in Astrologie würde also gar nicht funktionieren?

Klaus Schäfer-Blankenhorn: Zwischen Faktenwissen und individuellem Stil muss es einen Mittelweg geben. Natürlich kann und muss ich auch systematisch arbeiten, das ist mir aber nicht naturgegeben. Naturgegeben ist mir das Vielseitige. Astrologisch gesprochen kommt das daher, weil mein Merkur im Luftzeichen Zwillinge steht. Wessen Merkur zum Beispiel im Erdzeichen Jungfrau steht, der sucht naturgemäß stärker nach Konzentration und klarer Struktur. In der Beratung oder in Seminaren stoße ich manchmal auf Menschen, denen mein Ansatz zu freilassend ist. Diesen Menschen empfehle ich dann Bücher mit soliden Schritt-für-Schritt-Anleitungen.

UNIversalis: Wie viel individuellen Spielraum eröffnen Horoskope für Sie?

Klaus Schäfer-Blankenhorn: Mein Freund von damals hat mir ein sehr festes Bild vermittelt: So wie du bist, bist du bestimmt von den Sternen. Ich sage in meinen Beratungen immer: Wenn du an die Freiheit glaubst und dich bemühst, kannst du aus dir heraus etwas anderes machen, als das, was im Horoskop steht. Da zitiere ich gern Goethe: „Wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen.“ Für mich persönlich als eher luftbetonter Mensch heißt das: Ich kann strukturiert denken, gut gegliederte Aufsätze schreiben, klare Gespräche führen, aber natürlich kostet mich das mehr Übung als das, was mir instinktgemäß zufällt. Und nur das zählt wirklich, was man aus sich heraus schafft und nicht das, für das man sowieso – vom Horoskop her gedacht – eine Neigung hat.

UNIversalis: Wie vermitteln Sie das in den konkreten Beratungssituationen an andere Menschen, etwa, nachdem Sie ihr Horoskop gemacht haben?

Klaus Schäfer-Blankenhorn: Zunächst ist Grundvoraussetzung, dass die Menschen Fragen stellen. Sie müssen Probleme erkannt haben. Diese Probleme kann ich dann in die Sprache der Astrologie übersetzen. Wenn sich zum Beispiel ein Mensch bewusst wird, dass er zu sehr unter den eigenen festen Urteilen leidet, könnte ich vielleicht feststellen, dass sein Merkur in einem Erdzeichen steht, vielleicht eben in der Jungfrau. Das Gegenstück zu diesem festen analytischen Erd-Merkur wäre der Jupiter, der mehr die Synthese, das Umfassende ausdrückt. Entsprechend könnte ich diesem Menschen, wenn er danach fragt, empfehlen, stärker den „Jupiter“ zu üben. Damit meine ich nicht den Jupiter im Horoskop selbst, sondern die positive Jupiterqualität. Diese drückt sich in die Gelassenheit, Großzügigkeit oder Weite aus und wir können dies aus Freiheit heraus üben.

UNIversalis: Das klingt sinnvoll, aber braucht es die Sternzeichen überhaupt, um bestimmte Charaktereigenschaften zu erkennen oder nicht bloß das gute Auge eines Menschenkenners oder gar das Fachwissen eines Therapeuten?

Klaus Schäfer-Blankenhorn: Ein Therapeut macht seine Beobachtungen aufgrund der Begegnung mit seinen Patienten. Dabei kann immer etwas Persönliches in seine Betrachtung hineinschießen. Er kann sich auch irren. Mit der Astrologie kann man, zumindest meistens, objektiv ein erkanntes Problem klar analysieren.

UNIversalis: Nach der Wissenschaft wäre das die Crux. Objektivität kann nur erreicht werden, wo die Möglichkeit einer Falsifizierbarkeit besteht, also der Möglichkeit, ein Ergebnis auch widerlegen zu können. Unfehlbarkeit fällt eher in den Bereich der Religion.

Klaus Schäfer-Blankenhorn: Selbstverständlich kann sich auch ein Astrologe irren. Zunächst bleibe ich mit meiner Analyse möglichst nah an den beobachteten Phänomenen und rede vor allem niemandem ein feststehendes Schicksal ein. Wenn jemand nach etlichen gescheiterten Beziehungen zu mir kommt, werde ich sein Problem niemals bloß auf sein Horoskop zurückführen. Aber ich werde ganz bestimmt etwas finden, was dieses Problem von den Sternen her erläutert. Daran anknüpfend ist es aber durchaus möglich, Anregungen zur Veränderung, zu freien Taten, zu Übungen zu geben, die den Lauf des Schicksals möglicherweise verändern können. Dass dies möglich ist, habe ich oft erlebt. Aber ja, gewiss bewegt sich die Astrologie in einem Grenzbereich wissenschaftlicher Erkenntnis.

UNIversalis: Mit Johannes Kepler haben wir eine prominente Figur, die sowohl astronomisch gearbeitet hat, also im strengeren Sinne naturwissenschaftlich, und gleichzeitig Horoskope gemacht hat. Im wissenschaftlichen Grenzbereich blieb er zumindest, wie Sie ja auch, skeptisch, was die Vorhersage von Ereignissen betrifft.

Klaus Schäfer-Blankenhorn: Kepler selbst betont, dass man anhand der Sterne keine Ereignisse vorhersagen soll. Konkret sagt er, dass die Sterne wie der Vater und die Seele wie die Mutter seien. Zusammen würden sie ein Kind zeugen. Dieses Kind entspricht dann dem neuen Ereignis. Während man die Sterne kennt, kennt man aber die Seelenmutter nicht, deshalb, so Kepler, könne man auch das „Kind“, also das Ereignis, nicht vorherbestimmen.

UNIversalis: Die „Seelenmutter“ wäre demnach das Innenleben der Menschen, von dem der Mensch selbst nicht weiß?

Klaus Schäfer-Blankenhorn: Ich würde es als das „Ich“ oder die Individualität interpretieren. Die eigentliche Individualität ist ungreifbar und steht nicht im Horoskop. Deshalb halte ich es für Scharlatanerie, vom Horoskop her auf den Menschen zu schließen.

UNIversalis: Aber zurück zu Kepler. Wie ist er damals mit seiner Skepsis umgegangen?

Klaus Schäfer-Blankenhorn: Kepler musste mit der Astrologie auch Geld verdienen, aber er hat sich immer gehütet, Voraussagen von Ereignissen zu machen. Dem berühmten Feldherrn Wallenstein, dem er zweimal Horoskope gestellt hat, hat das aber nicht gepasst. Er ist daher zum berühmten italienischen Astrologen Giovanni Battista Seni gegangen, der auch in Schillers „Wallensteins Tod“ vorkommt und dort richtig Wallensteins Tod voraussagt.

UNIversalis: Zwischen Keplers Skepsis gegenüber einer Hellseherei und Ihrer Skepsis vor einer Astrologie, die das Individuum ignoriert, liegen nun einige Jahrhunderte. Hat die heutige Astrologie mehr Raum für diese Skepsis?

Klaus Schäfer-Blankenhorn: Mittlerweile dominiert in der Astrologie eine Strömung, die das, was in einem Horoskop früher als schlecht oder schwierig gedeutet wurde, eher positiv interpretiert. Die Herausforderung regt den Menschen nach dieser modernen Deutung erst zu schöpferischen Prozessen an. Wenn alles bloß „gut“ ist, erlahmt der Mensch. Demnach, und da schließe ich mich an, sind alle Aspekte in einem Horoskop für den Menschen gleich gut und wichtig. Neben dem Grundsatz der Freiheit, den ich angesprochen habe, meine ich damit den Grundsatz der Gleichheit. Das natürlich unter der Voraussetzung, dass der Mensch sich weiterentwickeln und selbst um seine Zukunft ringen will. Und vielleicht erwähne ich noch den dritten wichtigen Aspekt, die Geschwisterlichkeit.

UNIversalis: Was hat es damit auf sich?

Klaus Schäfer-Blankenhorn: Geschwisterlichkeit besagt für mich, dass wir Menschen nicht bloß abgegrenzte Persönlichkeiten sind, sondern miteinander zusammenhängen. In Dostojewskis „Die Brüder Karamasow“ gibt es einen alten weisen Mann, den Starez Sossima der die Lehre verkündet, dass man sich gegenüber jedem Kranken fragen sollte: Was habe ich damit zu tun? Eines meiner Spezialgebiete ist die soziale Astrologie oder Partnerschaftsastrologie. Ich bin der festen Überzeugung, dass die Astrologie gerade in einer Zeit der zunehmenden Herausforderungen in den zwischenmenschlichen Beziehungen eine bedeutende positive Rolle einnehmen kann. Wir sind doch alle Schwestern und Brüder. Das können uns die Sterne sagen.

UNIversalis: Das klingt sehr christlich oder buddhistisch, speziell, was das Verwobensein aller Lebewesen miteinander betrifft. Sehen Sie, wenn nicht unbedingt zur strengeren Wissenschaft, so zur Religion Anschlusspunkte?

Klaus Schäfer-Blankenhorn: Ja, Geschwisterlichkeit funktioniert nur, wenn ich an etwas Geistiges glauben kann. Das wird in den Religionen unterschiedlich beschrieben, meist als Formel des „Im Anderen bin ich auch selbst“. Das würde ich durchaus als religiöse Dimension beschreiben. Ich würde gerne einmal mit einem Theologen über diese Frage diskutieren, gerade im Zusammenhang mit der Astrologie.

UNIversalis: Heißt aber auch: Ohne Glaube keine Astrologie?

Klaus Schäfer-Blankenhorn: Wenn ich an etwas Geistiges glaube, dann glaube ich daran, dass ich auch vor der Geburt gelebt habe. Ich glaube dann nicht mehr daran, dass die Sternkonstellationen zu meiner Geburt allein mein Leben bestimmen, und dass das wiederum nicht mit dem Tod enden muss.

UNIversalis: Zum Abschluss vielleicht nicht der Tod, sondern die Frage nach Ihrer Vision zur Astrologie. Wo sehen Sie, zusammengefasst, das größte Potential des Horoskops?

Klaus Schäfer-Blankenhorn: Das Horoskop kann eine Art Navigationsgerät sein, für die persönliche Weiterentwicklung und eine große Hilfe bei der sozialen Gestaltung, und sei es „nur“ die Gestaltung einer Ehe. Es kann uns helfen, den anderen besser zu verstehen und uns keine Illusionen über uns selbst zu machen. Vor allem kann es uns bei der Selbsterkenntnis helfen, um dann auch gezielter an uns zu arbeiten. Es gibt keine Schwäche, an der man nicht arbeiten kann. Aber daran muss man natürlich glauben – womit wir wieder bei der Frage nach Wissenschaft und Religion in der Astrologie wären. (lacht)

UNIversalis: Kein schlechtes Schlusswort. Haben Sie vielen Dank für das Gespräch!

Bildquellen

  • Klaus Schäfer-Blankenhorn: Foto: Privat
  • Der Mensch und die Sterne – eine uralte Beziehung: Foto: Sovit Chetri / Pexels