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Ein zäher, bedeutungsschwangerer „Don Giovanni“ bei den 100. Salzburger Festspielen

Die Kirchenbänke werden herausgefahren, die Heiligenstatuen mit dem Gabelstapler abtransportiert. Erst dann setzt die Ouvertüre ein – und ein Ziegenbock kreuzt den entleerten und entweihten Kirchenraum. Der „Don Giovanni“ von Teodor Currentzis und Romeo Castellucci bei den Salzburger Festspielen kann beginnen. Der vier Stunde lange Abend stellt mehr Fragen, als dass er Antworten gibt. Das Dramma giocoso, diese spezielle Mischung von Komödie und Tragödie, schlüssig und eindeutig definiert zu erzählen – das interessiert den italienischen Regisseur, der auch Bühne, Kostüme und Licht verantwortet, nicht einen Augenblick. Ihm geht es um das Nachdenken über den Don-Juan-Mythos und das Hinterfragen von Klischees. In Teodor Currentzis, Chefdirigent des SWR Symphonieorchesters, hat er einen musikalischen Partner auf Augenhöhe, der an diesem Abend mit seinem Ensemble musicAeterna die Extreme besonders im Leisen und Langsamen sucht, der die Arien aussingen und modellieren lässt und der immer wieder mit den an der Hörbarkeitsgrenze musizierenden Streichern die Zeit anhält und die Musik zum Schweben bringt. Der Humor ist an diesem bedeutungsschwangeren Abend leider ganz getilgt. Das macht die Produktion zäh und unnahbar, zumal ein Gazevorhang die gesamte Szenerie in mildes Licht taucht und Distanz schafft.
Vor Leporellos Auftritts­arie kracht eine Limousine auf die Bühne. Auch ein Konzertflügel zerschmettert am Boden, auf dem Don Giovanni wie ein Kind weiterklimpert (Hammerklavier: Maria Shabashova). In der Personenregie lässt es Castellucci ebenfalls krachen. Als Donna Anna (höhensicher und berührend: Nadezhda Pavlova) zitternd von Don Giovannis Übergriff erzählt, wird die Szene von zwei Doubles anders nachgespielt, nämlich mit Donna Anna als treibender Kraft. Als Donna Elvira (dunkel timbriert: Federica Lombardi) Don Giovanni das erste Mal zur Rede stellt, läuft ein Kind auf den mutmaßlichen Vater zu, der vor seinem Sohn nur flüchten kann. Verantwortung zu übernehmen scheut dieser Don Giovanni (Davide Luciano), der in Leporello (in der Tiefe zu wenig: Vito Priante) einen Doppelgänger hat. Er genießt den Augenblick wie beim mit einem nackten Double erotisch aufgeladenen Zusammensein mit Zerlina, die Anna Lucia Richter zum Blühen bringt. Michael Spyres besitzt als Don Ottavio ein wunderbares Legato und zwei affig frisierte Pudel, bleibt aber wie Masetto (solide: David Steffens) ungeliebt. Im Gegensatz zu seiner magischen Salzburger „Salome“-Inszenierung von 2018 entfalten Castelluccis Bildwelten nur wenig Suggestionskraft. Er verzettelt sich im Detail. Auch die extrem gedehnten Rezitative hemmen den Fluss.
Nach der Pause lässt der Regisseur die Frauen, die in der Registerarie nur als anonyme Masse benannt werden, auf die Bühne kommen. Allein durch ihre Anwesenheit stärken diese 150 Salzburgerinnen Donna Elvira den Rücken. In der Choreographie von Cindy Van Acker bewegen sie sich fließend über die Bühne. Der Komtur ist nur als Stimme (fokussiert: Mika Kares) zu erleben. Bei der Höllenfahrt härtet Davide Luciano seinen kantablen Bariton. Für den Todeskampf reißt er sich die Kleider vom Leibe und wälzt sich nackt in grauem Schlamm – die erschütterndste Szene des Abends. Danach ist nichts mehr, wie es war. Den Schlusschor „Questo è il fin di chi fa mal“ (So endet, wer Böses tut) lassen Teodor Currentzis mit seinem musicAeterna Orchester und Chor bersten vor Vitalität, aber die Überlebenden wirken leblos. Jeder geht seiner Wege. Einsam sind auch sie.

Bildquellen

  • Don Giovanni 2021: Vito Priante (Leporello), Mika Kares (Il Commendatore), Davide Luciano (Don Giovanni), Ensemble: Foto: © SF Ruth Walz