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Familien Brouillon: Hausautorin und Regisseurin Lena Reißner inszeniert am Theater Freiburg „Verdammt verwandt“

So bürgerlich sind die Tantaliden nicht, dass sie ihre Vorfahren auf Ahnenporträts gebannt hätten. Stattdessen prangt ein riesiges Wandgemälde

Familien Brouillon: Hausautorin und Regisseurin Lena Reißner inszeniert am Theater Freiburg „Verdammt verwandt“

So bürgerlich sind die Tantaliden nicht, dass sie ihre Vorfahren auf Ahnenporträts gebannt hätten. Stattdessen prangt ein riesiges Wandgemälde in ihrem Anwesen. Man sieht vor allem Sixpacks und Bärte, was daran liegt, dass die Frauen nur insofern wichtig waren, als sie Söhne gebaren, die andere umbrachten oder selbst getötet wurden. Es ist also ziemlich viel los auf diesem Tableau. Allein wer wollte alle Handlungsstränge aus diesem Körperknäuel entwirren? Zur Erinnerung: Klytämnestra, die ihren Mann Agamemnon zusammen mit ihrem Liebhaber umbrachte, weil dieser die gemeinsame Tochter Iphigenie opferte, gehört dazu. Deren Geschwister Orestes und Elektra werden wiederum den Mord an dem Vater rächen. Seinen Anfang nahm das Unheil jedoch mit Tantalos, der den Göttern den eigenen Sohn Pelops als Braten zubereitete. Seitdem lastet der Fluch der Götter auf der Sippe.
Doch diese ganze Gemengelage, man könnte auch sagen dieser Bild gewordene Fluch, verbirgt sich im Kleinen Haus des Theater Freiburg erst einmal hinter einem Vorhang, darüber befindet sich eine dräuende Wolke. Man braucht nicht viel humanistische Bildung, um dort den Olymp zu vermuten (Bühne: Nathalie Schatz). Die Fallhöhe zu dieser ganz normalen Familie ist also erst einmal recht hoch. Donny und Carla (Urs Peter Halter, Brandy Butler) sind das Elternpaar, ihre drei Kinder verhalten sich wie alle Pubertierende. Brad (Jakob Kos), der ein Muscle-Shirt mit der Nummer 13 und dem Aufdruck „Cursed“ trägt, kabbelt sich mit seiner Schwester Patty (Emma Petzet mit einem Antike kombatibelen hohen Pferdeschwanz), während Sam (Helena Niederstraßer) sich entzieht und in ihrem Zimmer Gitarre spielt. Das ist insofern richtig gut, da Niederstraßer eigentlich Musikerin ist und einen Tantaliden-Song geschrieben hat. Er ist das musikalische Leitmotiv von Lena Reißners Uraufführung „Verdammt verwandt. Eine mythische Familie“. Sie und auch Brandy Butler (ausgebildete Jazz-Sängerin, die u.a. mit Sophie Hunger und Erika Stucky gearbeitet hat) rücken das Bühnengeschehen in Richtung Performance und mitunter sogar Musical, was für die Inszenierung ein Gewinn ist.
Obgleich Halters Donny den Kunstseidenlook eines Jugendtrainers trägt, allerdings mit kurzen Hosen und Cowboystiefeln aufgewertet, fehlt es ihm an Autorität. Zusammen mit seiner Frau, der Oliver Velthaus einen recht biedern Karo-Look mitsamt Nickituch gibt, versucht er die Illusion eines gemeinsamen Essens und Familienlebens aufrechtzuerhalten. Es wird nicht einfacher dadurch, dass die Nachbarin (Melina Pyschny) immer wieder stört und von ihren Therapieerfahrungen erzählen will. Und da ist eben noch der Finger, den er seinem Sohn abgebissen hat und den er jetzt auf dem Teller serviert. Es ist monströs. Der Urahn lässt grüßen.
Lena Reißner, die mit „Verdammt verwandt“ ihre erste Arbeit als Hausautorin und Regisseurin für das Theater Freiburg zeigt, unterlegt das Geplänkel mit Sitcom-Lachen und -Klatschen. Warum eigentlich schauen wir so gerne anderen Familien beim Alltag zu? Weil es uns so vertraut ist oder um uns zu beweisen, dass andere noch schlimmer sind? Pelops wird nicht das letzte Kind sein, das in der Küche landet, es wird noch Kindergulasch und Brüder-Brühe geben. Damit das Publikum die Zeitsprünge auch mitbekommt, sind sie von einem unheilschwangeren Sound begleitet. Das ist ähnlich enervierend wie das Gelächter aus der Dose. Reißners Inszenierung geht Richtung Farce, mitunter ist das ein bisschen halbherzig, aber dennoch sehr kurzweilig. Und wenn Brandy Butler zu singen anfängt, um den Fluch zu brechen und die Gewalt auf ein Trauma der Gegenwart herunterbricht, ist diese in der Musik gut aufgehoben. Im alten Kampf zwischen Dionysos und Apollon hat letzterer einen Punkt gemacht.

Weitere Vorstellungen: theater.freiburg.de

Bild: Jakob Kos und Urs Peter Halter in „Verdammt verwandt. Eine mythische Familie“ am Theater Freiburg @ Philip Frowein

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Annette Hoffmann