Ein Miteinander gestalten: Im Gespräch mit Felix Rothenhäusler, neuer Intendant des Theater Freiburg
Mehr als ein Jahr hatte Felix Rothenhäusler Zeit, sich gemeinsam mit dem Team auf seine erste Spielzeit als Intendant
Mehr als ein Jahr hatte Felix Rothenhäusler Zeit, sich gemeinsam mit dem Team auf seine erste Spielzeit als Intendant am Theater Freiburg vorzubereiten. Nun steht sie unmittelbar bevor mit seinen beiden Inszenierungen „Wasserwelt. Das Musical“ und „Erda Speaking Hellohello“, dem Jungen Theater, Konzerten, einer Ausstellung und der längsten Kuchentafel der Stadt. Seit 2012 war Rothenhäusler, der 1981 geboren wurde, Hausregisseur am Theater Bremen, freie Produktionen waren unter anderem am Düsseldorfer Schauspielhaus, den Münchner Kammerspiele und am Neumarkt Theater Zürich zu sehen. Rothenhäusler inszeniert sowohl Schauspiel als auch Oper und spricht lieber in der Wir- als in der Ich-Form. Annette Hoffmann unterhielt sich mit ihm über sein Programm für das Theater Freiburg, die Nähe zu Basel, erste Überraschungen und wie man am Theater politisch sein kann.
Kultur Joker: Herr Rothenhäusler, Sie sind in Tuttlingen geboren und aufgewachsen. Waren Sie nicht erleichtert, als Sie die Provinz hinter sich gelassen hatten?
Felix Rothenhäusler: Ich interessierte mich für das Theater und wollte studieren, daher musste ich gehen. Aber klar, mich hat es weggezogen, aber zwischen Tuttlingen und Freiburg liegen Welten. Dass ich mich in Freiburg beworben habe, hat mit der Stadt zu tun und damit, dass das Theater Freiburg ein Mehrspartenhaus ist. Für das, was mich am Theater interessiert, ist Freiburg die perfekte Wirkungsstätte
Kultur Joker: Sie kommen gerade vom Studierendenwerk. Wo waren Sie denn noch nicht in Freiburg?
Rothenhäusler: So eine Vorbereitungszeit ist damit verbunden, Leute kennenzulernen und die Stadt zu entdecken. Die Kulturszene ist wahnsinnig groß und sehr vielfältig. Eine Institution wie ein Stadttheater läuft schnell Gefahr, hermetisch zu werden. Umso wichtiger ist es, nach draußen zu gehen und sich zu vernetzen. Ich bin jemand, der Zeit braucht, Verbindungen aufzubauen, man muss zuhören und dann gemeinsam etwas entwickeln. Dennoch gibt es auch in der nächsten Spielzeit erste Projekte.
Kultur Joker: Zum Beispiel mit dem Dokumentationszentrum Nationalsozialismus über das aufgefundene Wandbild. „Fassade“ soll Caroline Anne Kapp inszenieren, die bereits Erfahrungen mit Erinnerungskultur hat.
Rothenhäusler: Ich hatte verfolgt, wie das Dokumentationszentrum Nationalsozialismus zustande kam. Jetzt ist es endlich da und fällt fast mit unserem Start zusammen. Julia Wolrab und ich kamen bei unserem Gespräch auf die wiederentdeckte Wand. Wir haben daraufhin Caroline Anne Kapp angefragt, die das interessant fand. Es kamen ein paar Sachen zusammen, auch die Ausstellung über das Ende der Zeitzeugenschaft und die Frage, wie wir im Theater mit Erinnerungspolitik umgehen. Denn offensichtlich ist es für unsere Gesellschaft nicht ausreichend, Dinge zu verstehen, es braucht einen Raum, sie zu erleben.
Kultur Joker: Diese erste Spielzeit steht unter dem Motto „zämme“. Das Theater Basel hatte die letzte Saison unter das Stichwort „zusammen“ gestellt. Ist das ein Zufall oder erzählt es etwas über die Stellung der Theater in unserer Gesellschaft?
Rothenhäusler: Günter Daubenberger von den Besuchergemeinschaften hat mich kürzlich darauf hingewiesen, dass ich es in einem Interview vor einigen Jahren als mein Lieblingswort bezeichnet hatte.
Kultur Joker: Aha, dann hat Basel also kopiert.
Rothenhäusler: Ja, genau (lacht). Aber als ich das Spielzeitheft des Theater Basel in den Händen hielt, dachte ich schon: interessant. Bei uns ist es eher eine programmatische Assoziation. Ich habe das Wort in einem Gedicht von Johann Peter Hebel gefunden und es hat mich fasziniert, weil man es auf das Haus und die Stadt sowie die Erfahrung des Publikums beziehen kann. Es ist ein relevantes Wort. Theater gehören zu den wenigen verbliebenen Orten, an denen man mit Menschen zusammenkommt, die man ansonsten nicht trifft.
Kultur Joker: Im zusammen steckt also ein Wir, das sich erst finden muss?
Rothenhäusler: Ja und es bedeutet Arbeit, es zu bilden. Das ist kein Marketing, sondern ein Prozess, der voraussetzt, dass wir Fragen stellen und versuchen niemanden auszugrenzen. Die zu erreichen, die sich noch nicht gemeint fühlen, ist eine langfristige Herausforderung.
Unser Programm ist breit aufgestellt, auch kulturpolitisch müssen wir diesen Spagat leisten. Julica Goldschmidt wird am Theater Freiburg eine Reihe übernehmen, in der sie Freiburger und Freiburgerinnen einlädt. Sie startet mit einem Abend über Mut. Die Reihe soll die Stadtgesellschaft vorstellen, aber auch unterhaltsam sein. Es gibt keinen Gegensatz zwischen dem klassischen Spielbetrieb und einer Öffnung des Hauses.
Kultur Joker: Jemand, der am Theater Freiburg für ein solches Miteinander steht, ist Graham Smith, der bereits verabschiedet ist. Wie wollen Sie diese Lücke füllen?
Rothenhäusler: Man kann Graham Smith nicht einfach ersetzen. Ich hätte Lust gehabt, seine Arbeit zusammen mit ihm auszubauen. Doch sein Entschluss auszuwandern, stand fest. Es brauchte also einen Neuanfang. Die Chance ist, dass wir jetzt bei den partizipativen Formaten den Fokus auf alle Spielarten lenken und Projekte mit Menschen mit Behinderungen entwickeln.
Kultur Joker: Wie ist der Stand der Dinge beim Kultursoli?
Rothenhäusler: Er kommt. Wir haben einen Euro auf nicht ermäßigte Karten aufgeschlagen. Unsere Bereitschaft ist groß, uns zu solidarisieren. Ich hoffe, der Kultursoli kommt den darstellenden Künsten zugute, dass sich das System bewährt und wir ihn unserem Publikum vermitteln können.

Kultur Joker: Beim Kultursoli scheint man davon auszugehen, dass das Stadttheater ein hoch subventionierter Player ist und dass das Publikum die höheren Preise natürlich zahlen kann.
Rothenhäusler: Das ist das Problem. Es wäre fatal, das Stadttheater und die freie Szene gegeneinander auszuspielen.
Kultur Joker: Funktioniert ein derartiges Zusammen denn in einem Stadttheater? Am Ende tragen Sie als Intendant ja die Verantwortung.
Rothenhäusler: Hierarchie bedeutet auch, Verantwortung zu übernehmen. Die kollektiven Modelle, die in der letzten Zeit gescheitert sind, haben aus dem Missbrauch der Macht die falschen Schlüsse gezogen und sie einfach aufgeteilt. Es geht aber um eine Gestaltung des Miteinanders. Ich bin ein künstlerischer Intendant und glaube, dass Kunst nicht zwangsläufig demokratisch ist.
Tessa Beecken und ich bilden in Freiburg eine Doppelspitze aus Betriebsleitung und Intendanz. Und wir haben uns in einem Spartengremium organisiert. Adriana Pees ist darin für den Tanz verantwortlich, Michael Kaiser für das Jugendtheater, André de Ridder für die Konzerte. Katrina Mäntele und ich leiten zusammen das Schauspiel. Franz-Erdmann Meyer-Herder arbeitet als Chefdramaturg übergreifend. Das Spartengremium steht für die Gesamtkonzeption des Hauses, zudem gibt es das Gremium Mitmachen!, in dem alles Partizipative spartenübergreifend erarbeitet wird. Ich sehe mich als Impulsgeber und als Hausmeister. Wir haben hier einen Raum, den wir gemeinsam gestalten können und ich moderiere das.
Kultur Joker: Sie kennen den Basler Intendanten Benedikt von Peter von gemeinsamen Arbeiten, das Theater Basel ist eines der wichtigsten Häuser im deutschsprachigen Raum, wo verorten Sie da das Theater Freiburg?
Rothenhäusler: Was die künstlerische Exzellenz angeht, können wir mithalten, wir wissen aber auch, dass wir eine andere finanzielle Grundausstattung haben, die zu Unterschieden führt. Freiburg muss sich nicht verstecken, vor allem nicht im Musikbereich. Mit dem Philharmonischen Orchester und unserem GMD André de Ridder haben wir die Nase vorn. Nicht grundlos wechselt er nach London an die National Opera. Mit dem Theater Basel planen wir für die zweite Spielzeit ein großes Opernprojekt. Benedikt von Peter und ich werden zusammen „Moses und Aron“ inszenieren. Wir bringen beide Opernchöre dafür zusammen und André de Ridder wird den Abend dirigieren.
Anders als Basel setzen wir stärker auf den Nachwuchs. Yana Eva Thönnes, die in diesem Jahr auf der Theater-Biennale in Venedig war und bereits für die Schaubühne gearbeitet hat, wird bei uns „Der zerbrochne Krug“ inszenieren. Wir holen junge, vielversprechende Leute ans Haus, die noch nicht vollständig etabliert sind, aber bereits ein Standing haben. Wir wollen Sprungbrett sein.
Kultur Joker: Sie haben sich mit dem Konzept eines Volkstheaters der Gegenwart beworben. Was meinen Sie damit?
Rothenhäusler: Ich liebe einfach Genres wie die Boulevardkomödie, das Musical, die Operette. Ich glaube an diese Formen, weil viele Menschen mit ihnen etwas verbinden können und weil man mit ihnen etwas Neues erfahrbar machen kann. Was ist denn das Volk, wie sieht unser Zusammenleben von morgen aus? Wir können Entertainment und Unterhaltung ernst nehmen und dennoch nicht rückwärtsgewandt sein. Theatrale Expeditionen wie „Bienen. Ein Naturschauspiel“ oder „Wasserwelt“ mit dem Musical zu verbinden, war ein Schwerpunkt meiner Arbeit in den letzten Jahren
Kultur Joker: Queerness ist ein Teil dieses Volkstheaters?
Rothenhäusler: Man muss sich nur mal an die eigene Kindheit erinnern, an den Moment des Verkleidens und Verwandelns. Es ist eine Einladung, dass man alles sein kann, selbst ein Einhorn oder ein Oktopus. Wir sind eine vielfältige Gesellschaft, in der es unterschiedliche Lebensentwürfe gibt, die alle gleichberechtigt nebeneinanderstehen können. Es gibt in unserer Gesellschaft die Tendenz, Dinge anzufeinden und Stimmung zu machen. Wir nehmen niemandem etwas weg. Das Leben lässt sich genauso wenig in Schubladen stecken, wie das Theater in drei Sparten.
Kultur Joker: Im Laufe Ihrer Karriere hat sich das Interesse von klassischen Stoffen hin zu zeitgenössischen Texten und ökologischen Themen verschoben. Sie haben auch Arbeiten zum bildenden Künstler Ryan Trecartin und Lars von Triers Film „Melancholia“ gemacht. Interessiert Sie das Auflösen von Grenzen?
Rothenhäusler: Unbedingt. Als Künstler mache ich da keinen Unterschied, ich kann mich für einen Klassiker, aber auch für einen Serienstoff interessieren. Meine künstlerische Praxis besteht nicht in einem Entweder Oder. Ich liebe es, wenn sich jemand intensiv mit Sprache auseinandersetzt. Wenn ich mich mit einem Klassiker befasse, dann nicht, um ihn mit einem zeitgenössischen Kommentar zu überkleben, sondern um ihn in einer reduzierten Form erlebbar zu machen. Mit den Menschen auf der Bühne oder mit Sprache in Kontakt zu treten, ist das, was mich am stärksten interessiert.
Kultur Joker: Sie werden eine eigene Arbeit pro Spielzeit zeigen. Was wird das in der ersten Saison sein und können Sie einen ersten Einblick geben?
Rothenhäusler: Für die erste Spielzeit ist es uns wichtig, ein ästhetisches Spektrum zu zeigen und den Fokus mit „Wasserwelt“ und „Revue. Über das Sterben der Arten“ auf das Verhältnis zur Natur zu legen. Es werden auch ein eher klassischer „Werther“ von der Staatsoper Stuttgart und „Erda Speaking Hellohello“ von mir zu sehen sein, eine Neuschreibung für eine Sängerin – mehr eine Audio-Installation als eine klassische Inszenierung. „Moses und Aron“ fällt in die zweite Spielzeit. Ich werde mal im Schauspiel, mal im Musiktheater inszenieren.
Kooperationen und Koproduktionen werden eine große Rolle spielen, wie etwa die Inszenierung von Mateja Meded „Ich liebe Faschisten, wenn sie tot unter mir liegen“, die mit den Wiener Festwochen koproduziert wird. Wir setzen auch den Austausch mit dem Theater Bern fort und bauen ihn aus. Neu ist ein Schauspielstudio, mit dem wir das Gleiche wie mit dem Opernstudio vorhaben. Die Übernahmen erlauben es uns, Inszenierungen anzubieten, die wir alleine nicht verwirklichen könnten.
Kultur Joker: Urs-Peter Halter und Nadine Geyersbach gehörten bereits während der Intendanz von Amélie Niemeyer zum Ensemble. Was haben Sie gemacht, dass sie wieder nach Freiburg kommen?
Rothenhäusler: Viel (lacht). Mit Nadine Geyersbach verbindet mich eine gut 13-jährige Zusammenarbeit. Sie kennt das Haus und nach vielen Gesprächen war sie Feuer und Flamme. Auf Urs-Peter Halter sind wir aus verschiedenen Gründen gekommen. Wir hielten das zuerst nicht für realistisch, da er in der Schweiz gut frei arbeiten kann. In beiden Fällen freut mich das wahnsinnig, sie sind ein wirklicher Gewinn.
Kultur Joker: Ihre Intendanz beginnt nicht mit einer Tabula rasa. Sie setzen bei wichtigen Positionen auf Kontinuität. Ausgerechnet die Personalie GMD ist Ihnen jetzt vor die Füße gefallen. Sie haben es schon erwähnt, André de Ridder geht nach London. War das abzusehen?
Rothenhäusler: Ja, das ist eine Vollkatastrophe. Ich kannte André de Ridder durch „Einstein on the Beach“ und den „Wozzeck“. Im Musiktheater ist es nicht leicht, künstlerische Klasse mit Experimentierfreude zu verbinden. Bei ihm ist das absolut gleichwertig. Unsere Bewerbung beruhte auf dem Haus, den fünf Sparten, der Stadt und diesem GMD. Dass André de Ridder in Freiburg arbeitet, war für uns mitentscheidend, es hier mit unserem Konzept zu versuchen. Wir brauchen starke Partner für das, was wir vorhaben. Uns war klar, dass er international sehr gefragt ist, und genauso soll es auch sein. In diesem Beruf verschreibt man sich einer Sache ganz, und man ist unterwegs. Es ist wichtig, dass die Dinge nicht statisch werden. Theater zu machen, heißt ja, sich gegenseitig zu stärken und füreinander zu freuen. Wir machen ja aber zwei Spielzeiten miteinander. Das ist ein Karrieresprung, ich hoffe, dass daraus neue Koproduktionen entstehen (lacht).
Kultur Joker: Herzlichen Dank für das Gespräch, wir freuen uns auf die Spielzeit.
Das Eröffnungswochenende ist vom 26. bis 28. September. Weitere Infos: theater.freiburg.de
Beitragsbild: Felix Rothenhäusler © Britt Schilling





