Blick ins Unendliche: Die Fondation Beyeler würdigt die amerikanische Malerin und Zeichnerin Vija Celmins mit einer aufregenden Retrospektive
Wann immer Sie sich die Ausstellung von Vija Celmins ansehen, Raymond war schon da. Er war der erste. Im
Wann immer Sie sich die Ausstellung von Vija Celmins ansehen, Raymond war schon da. Er war der erste. Im Film-Porträt von Ila Bêka und Louise Lemoine sieht man den Kater der Künstlerin das Modell der Fondation Beyeler mit der Probehängung durchstreifen. Behutsam setzt er die Pfoten über die Pappwände und schlängelt sich durch, einmal hat er seinen Schwanz in einem der Räume abgelegt. Es wirkt ein bisschen so als nickte er das Ganze ab und nähme es in seinen Besitz. Vija Celmins hat ihren diebischen Spaß am Verhalten ihres Katers. Und es mag am Alter der 1938 in Riga geborenen Künstlerin liegen oder überhaupt an ihrem Naturell, dass ihr Umgang mit ihrem Werk derart unprätentiös ist. Das Schicksal von Malerinnen und Maler sei entweder, dass die Bilder in den Depots der Museen oder auf dem Sekundärmarkt verschwinden, erzählt sie. Wäre das so, es wären in der Fondation Beyeler jetzt nicht gut 90 Arbeiten der Künstlerin zu sehen – Bilder, Zeichnungen, Skulpturen und Druckgrafiken. Unsichtbar ist dieses Werk also nicht. In den USA ist sie weitaus bekannter, doch vor knapp zwanzig Jahren widmete ihr das Centre Pompidou eine Retrospektive ihrer Zeichnungen.
Wie sehr Maßstäblichkeit ein Thema von Celmins ist, wird am offensichtlichsten an ihren Skulpturen. In den 1970er Jahren, aber auch wieder in den 2010er Jahren entstehen Doppelgänger von Steinen. Diese Steine sind nicht sonderlich auffällig, jeder hätte sie aufsammeln können. Celmins jedoch wird sie in Bronze gießen und derart bemalen, dass man Natur nicht von Kunst unterscheiden kann. Zwischen 2007 und 2010 entsteht das „Blackboard Tableau #1“, nachdem sie drei alte Schiefertafeln gefunden hatte wie sie in Schulen früher im Gebrauch waren. Mit ihrem Holzrahmen, dem Kreidestaub auf dem dunklen Grund wirken sie wie Bilder. An einer Tafel, es ist die einzige, die die amerikanische Künstlerin nicht reproduziert hat, hängt ein handbeschriftetes Schildchen, das in einem Regionalmuseum hätte ausgefüllt werden können. „Dreidimensionale Malerei“ nennt sie diese Objekte, die eine Nähe zur Augentäuschermalerei aufweisen.

Vija Celmins Zeichnungen und Bilder haben meist Vorlagen. Ihre Zeichnungen von Kampfflugzeugen sind nach Pressefotos entstanden, bei „Bikini“ aus dem Jahr 1968 sieht man noch die Textzeile unter der Abbildung der Atomexplosion sowie den ausgerissenen Rand. Auf dem Briefumschlag von „Letter“, der auf einem neutralen Untergrund liegt und auf dem die Adresse ihrer Mutter steht, haben die Briefmarken Motive wie brennende Häuser und Explosionswolken. Ihre Familie floh 1944 vor der Roten Armee nach Berlin, wo sie in zerbombten Häusern schlief. Nach dem Krieg emigrierte sie 1948 in die USA. Celmins studierte in Indianapolis, später in Los Angeles, sie war und ist mit wichtigen Künstlerinnen und Künstlern unterschiedlicher Generationen befreundet und reiste nach Europa, wo sie Werke von Giorgio Morandi und Diego Velazquez für sich entdeckte. Doch auch in den USA brannte das Haus, 1965 baut sie aus Holz und Karton „House #2“, auf das sie lichterlohe Flammen malte. Auch in ihrem Spätwerk findet sich Bedrohliches, der Bronzezweig „Cane“, der in der Fondation Beyeler an der Wand lehnt, ist dicht mit Dornen besetzt.
Man hat oft den Eindruck Celmins legt Netze aus, mit denen sie die sichtbare Welt einfängt. Was hängen bleibt, hat Ordnungen und Muster, etwa der nächtliche Himmel, Spinnennetze oder die spezifische Oberfläche bewegten Wassers. Es sind Konfrontation mit der Unendlichkeit oder mit der Endlichkeit des Menschen. Die Sternenkonstellation übernimmt sie von Fotos der NASA, oft füllen diese Motive die Leinwand oder das Papier aus und schaut man von der Seite auf die Wellentäler und -höhen, glänzt es vor lauter Grafit. Vija Celmins arbeitet mitunter bis zu fünf Jahren an ihren Arbeiten, es gab Phasen, in denen sie ausschließlich zeichnete, dann fing sie wieder an zu malen. Das letzte farbige Bild ist „Burning Man“ aus dem Jahr 1968, das einen Mann zeigt, der Feuer gefangen hat und sich aus einem brennenden Auto rettet. Seitdem hat es die Farbe Rot bei ihr schwer. „Sie sei keine rote Person“, sagt sie im Film. Man vermisst nichts in ihrem Werk.
Vija Celmins. Fondation Beyeler, Baselstr. 101, Basel-Riehen. Bis 21.09.25
Nachweis Beitragsbild: Vija Celmins: „Clouds (Wolken)“, 1968, Graphit auf Papier, Sammlung Ayea + Mikey Sohn, Los Angeles © Vija Celmins, Courtesy Matthew Marks Gallery Foto: McKee Gallery, New York





