Kunst

Realistisch aber nicht naturtreu: Félix Vallotton „Illusions perdues“: Retrospektive im Kunst Museum und der Villa Flora in Winterthur

Den 100. Todestag nimmt das Kunst Museum Winterthur zum Anlass, um Félix Vallotton (1865–1925) eine Jubiläumsschau mit über hundertfünfzig

Realistisch aber nicht naturtreu: Félix Vallotton „Illusions perdues“: Retrospektive im Kunst Museum und der Villa Flora in Winterthur

Den 100. Todestag nimmt das Kunst Museum Winterthur zum Anlass, um Félix Vallotton (1865–1925) eine Jubiläumsschau mit über hundertfünfzig Arbeiten an zwei Standorten zu widmen: Gemälde und Zeichnungen sind im Reinhart am Stadtgarten ausgestellt, Holzschnitte, Skulpturen und Stillleben in der Villa Flora. Mit Werken aus allen Schaffensphasen, Gattungen und Techniken wird so ein gültiger Überblick geboten.
Der Ausstellungstitel bezieht sich auf Honoré de Balzacs Roman „Illusions perdues“ aus der „Menschlichen Komödie“ und hinterfragt Vallotton in diesem Sinne. Sind es verlorene Illusionen, die den Künstler zu einer kritischen Sicht auf die Gesellschaft seiner Zeit bringen? Schwärmerische Romantik leitet ihn jedenfalls nicht, eher genaue Beobachtung, das zeigen bereits die Holzschnitte am Beginn seiner Laufbahn; die hier charakteristische Klarheit tritt auch später in Landschaften, Porträts und Aktbildern zu Tage. Mit schwarz-weiß Kontrasten sowie phantastisch pastosen Farbkombinationen erschafft Vallotton Bilder, die gewiss nichts Illusionistisches anstreben. In der Tradition figurativer Malerei steht er dennoch, orientiert sich an Courbet und Manet, nutzt klassische Techniken, wobei dem Präzisen in Zeichnung und Malerei aber rätselhafte Bildaussagen entgegenstehen. Was ist gemeint, fragt sich der Betrachtende bei den Holzschnitten, die zwischenmenschliche Beziehungen thematisieren, von Mann und Frau, Geld, Lüge und Streit handeln? Unmissverständlich hingegen die visuellen Szenen zum Ersten Weltkrieg. Vallottons Bilder sind realistisch, aber nicht naturtreu, sondern malerisch begründet; so ist etwa die Darstellung der Steilküste „La grève blanche, Vasouy“ eine frei komponierte Landschaft, an Reales nur angelehnt.

Félix Vallotton: „Coucher de soleil, ciel orange“, 1910 Öl auf Leinwand © Kunst Museum Winterthur, Ankauf mit einem Beitrag von Charles und Lisa Jäggli-Hahnloser, 1976

Mit siebzehn Jahren war der in Lausanne geborene Vallotton nach Paris aufgebrochen, begann eine Ausbildung an der Académie Julian und gesellte sich dort in den Jahren 1888/1889 zu einer rebellischen Künstlergruppe namens „Nabi“, die dem Post-Impressionismus zugerechnet wird, der Ende des 19. Jahrhunderts eine bedeutende Rolle im Übergang zur Abstraktion und der Befreiung der Kunst von repräsentativen Funktionen spielte.
Das Kunst Museum Winterthur beherbergt weltweit eine der umfangreichsten Vallotton-Kollektionen, darunter das berühmte Gemälde „La blanche et la noire“ (1913); die Sammlung verdankt es vor allem dem Ehepaar Hedy und Arthur Hahnloser, das Vallotton verehrte, ihm ihre eindrucksvolle „Villa Flora“ öffnete und freundschaftlich verbunden war. Seine letzten Jahre lebte Vallotton durchaus in Wohlstand, scheint aber einsam und nicht ungetrübt gewesen zu sein. Er war nicht zuletzt Schriftsteller, verfasste Theaterstücke und z.B. den Roman „Ein mörderisches Leben“, in dem er u.a. von den bedeutenden Malern Théodore Rousseau und Camille Corot berichtet. Meisterlich erfasst Vallotton die Dynamik von Wolken und Himmeln, etwa mit „Le nuage, Locquirec“ (1902), er suggeriert Bewegung, unaufhaltsam, aussichtslos? Sonnenuntergänge verfremdet er auf markante Weise, sie entgleiten ihm. Gänzlich aus dem Rahmen fallen zudem Vallottons Akte, die weiblichen Modelle wirken hier erschöpft und schwermütig, er „ruiniert aufs Schönste das Genre des Landschaftsbildes und das des Aktes gleich mit“, schreibt Florian Illies im Text eines literarischen Kunstbuchs, das zur Retrospektive erschienen ist und auch Peter Stamm, Simone Lappert und Zsuzsanna Gahse zu Wort kommen lässt. Ansprechend, einzigartig, unerschöpflich!

Félix Vallotton. Illusions perdues. Kunst Museum Winterthur | Reinhart am Stadtgarten + Villa Flora. Winterthur. Bis 7.09.25

 

Beitragsbild: Félix Vallotton: „La blanche et la noire“, 1913, Öl auf Leinwand © Kunst Museum Winterthur, Hahnloser/Jaeggli Stiftung

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Cornelia Frenkel

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