Vom Broadway bis zum Psychodrama
Das Theater der Immoralisten feiert im Februar diesen Jahres zweijähriges Bestehen. Pünktlich zum Jubiläum hat der erste Teil ihres großen und mehrfach geförderten Triptychons über das Theater der Weimarer Republik Premiere: „Hoppla, wir leben!“ von Ernst Toller. Mit den beiden Leitern des Theaters, Manuel Kreitmeier und Florian Wetter, sprachen wir über Galeerenjahre, ihre Theaterkonzeption und das Kafkaeske bei Ernst Toller.
Joker: Am 11. Februar 2009 habt Ihr nach Eurer Wanderzeit als freies Ensemble das eigene Theater im Stühlinger Gewerbehof eröffnet. Knallen da jetzt die Sektkorken bei Euch? Wetter: (lacht) Wie ich uns kenne, sind wir gerade in der Intensivprobenphase und kippen allenfalls einen Verzweiflungswhiskey … Joker: Aber es gibt doch Grund zum Feiern … Wetter: Den gibt es ja immer. Aber die besonderen Momente kommen oft dann, wenn sie nicht vorher im Kalender stehen. Joker: Zum Beispiel? Wetter: Zum Beispiel, wenn man plötzlich einen Einfall hat, den man lange gesucht hat oder das Gefühl hochsteigt, dass alles in einer Produktion an seinen Platz fällt, als hätte es immer so sein müssen. Joker: Ist mit dem eigenen Theater auch alles an seinen Platz gefallen? Kreitmeier: Das würde ich so sagen, ja. Wir haben uns in diesen zwei Jahren im
Freiburger Kulturleben etabliert und füllen eine Nische aus in Sachen Theater, die es vorher hier so nicht gab. Ich glaube wir sind sehr nah an unserem Publikum dran. Die Distanz zwischen Raum und Bühne, Schauspieler und Publikum ist sehr gering bei uns. Joker: Euer Theater hat ja auch etwas sehr offenes und ist komplett weiß bis auf ein silbernes Foyer. Es erinnert eher an die Silberfabrik von Andy Warhol als einen klassischen Theaterraum. Kreitmeier: Ich glaube, was unsere Arbeit ausmacht und sich im Raumkonzept natürlich niederschlägt, ist, dass sich sowohl der Raum, als auch das Theater, das darin gemacht wird, mit jeder Produktion verändern und überraschen können. Allein schon die Bühne befindet sich selten am selben Platz. Allerdings gibt es natürlich auch Konstanten in unserer Arbeit. Unser Theater soll modern sein ohne elitär zu wirken, es soll die Themen der Zeit behandeln, natürlich auch künstlerischer Ausdruck seiner Macher sein und dennoch mit dem Publikum kommunizieren. Ich glaube das ist uns bisher immer wieder gelungen. Zumindest hoffe ich das. (lacht) Joker: Für jemand der noch nie bei Euch war: Was macht Euer Theater aus? Wetter: Wir versuchen, uns eine Umgebung zu schaffen, die wir inspirierend finden und möchten diese mit unserem Publikum teilen. Möchten das zeigen, was uns gerade umtreibt, was wir faszinierend finden. Unser Profil ist also ein sehr persönliches und hat tatsächlich fast etwas von einem Atelier. Daher ist es natürlich auch immer schwierig, richtig Balance zu halten, was wir interessant finden und was das Publikum mit uns zu teilen bereit ist. Joker: Und was ist das Publikum bereit zu teilen?` Wetter: Wir haben die unterschiedlichsten Themen und Genres durchgemacht – von der Broadwaykomödie bis zum Psychodrama – und immer Leute finden können, die sich von uns anstecken lassen. Klar, manches ist mal mehr, mal weniger massentauglich, aber das wissen wir immer erst hinterher. Wenn wir an etwas arbeiten, sind wir erstmal überzeugt davon, dass die Arbeit gelingt und ihr Publikum findet. Kreitmeier: Und wir haben mittlerweile doch ein sehr treues und interessiertes Publikum, das mit uns durch dick und dünn geht. Das Interesse an dem, was auf der Bühne gezeigt wird und die Akzeptanz dafür – und wir machen es unserem Zuschauern nicht immer leicht (lacht) – ist sehr groß und das macht mich wirklich glücklich. Wetter: Was mich stolz macht dabei: dass unser Publikum so durchmischt ist. Egal ob jung, ob alt, ob literaturbegeistert oder völlig „arglos“ – unsere Pflicht als Künstler ist es, ein Statement zu machen und dem eigenen Ausdruck und Erleben konsequent nachzugehen. Joker: Das klingt zuerst einmal sehr idealistisch. Kreitmeier: Und nach sehr viel Arbeit (lacht). Wetter: Ich hatte sehr lange das Gefühl, ich rudere auf einer Galeere und stampfe mit dem Fuß noch den Takt dazu. Joker: Klingt archaisch… Wetter: … und sogar eine Spur überpathetisch. Doch im Kern ist etwas Wahres dran. Es hat uns Zeit und viel Arbeit gekostet, den Anforderungen gewachsen sein zu können, die ein Theaterbetrieb mit seiner ganzen Logistik, mit seinen Proben, Aufführungen, Buchhaltung und so weiter mit sich bringt. Joker: Und inzwischen? Wetter: Rudern wir weiter, nur sind die Muskeln stärker und der Rhythmus etwas besser geworden. Außerdem haben wir Leute gefunden, die mit uns rudern. Uns geholfen haben, überhaupt seetauglich zu werden – und das ist großartig. Joker: In einem Satz zusammengefasst: Wie sind die zwei Jahre verlaufen? Kreitmeier: Hart, aber herzlich. Joker: Ihr kommt beide aus ganz unterschiedlichen Richtungen – wie würdet Ihr Eure Unterschiede und die Art der Zusammenarbeit beschreiben? Kreitmeier: Flo ist Musiker und Schauspieler und sehr breit aufgestellt was seine Fähigkeiten und Talente angeht. Er hat sowohl große Hauptrollen gespielt als auch Bühnenmusiken komponiert. Ich dagegen habe eigentlich nur eine Begabung und das ist die Regie. Wetter: Er ist sozusagen der Galeerentreiber, um beim Bild zu bleiben (lacht). Joker: Jetzt habt Ihr auch von offizieller Seite den Ritterschlag bekommen und seit für Euer Konzept „Pulverfass: Weimar!“ vom Kulturamt Freiburg und dem LaFT Baden- Württemberg auf drei Jahre gefördert worden. Wetter: Ja, das zeugt wirklich von großer Wertschätzung, die wir uneingeschränkt zurückgeben möchten. Gerade der Landesverband Freier Theater hat uns in Zeiten der Krise immer wieder den Rücken gestärkt und als Fürsprecher agiert. Nun hat auch die Stadt Freiburg offi ziell zum Ausdruck gebracht, das wir ein wichtiger Bestandteil des Kulturlebens geworden sind – das ist toll und wichtig. Für das erste Projekt kommt jetzt sogar noch der Fonds Darstellende Künste erstmalig als Förderer hinzu. Joker: Wie seid Ihr überhaupt auf das Thema gekommen und was werden die Inhalte des Konzepts sein? Kreitmeier: Wir werden drei ganz unterschiedliche Theaterstücke der Weimarer Republik aufführen und wollen damit auch eine Dichtergeneration wieder ins Bewusstsein bringen, die durch die Bücherverbrennung und das Dritte Reich beinahe verschollen zu nennen ist. Joker: Ernst Tollers „Hoppla, wir leben!“ wird ab dem 23. Februar als Auftaktproduktion zu sehen sein. Was ist das genau für ein Stück? Wetter: Uns war es wichtig etwas anzugehen, dass von der Größenordnung her ohne Förderung nicht möglich gewesen wäre und dennoch unserer eigenen Theateridee treu zu bleiben. Kreitmeier: Also jetzt nicht etwa auf Hollywood zu machen (lacht.) Joker: Und wie wird das konkret aussehen? Kreitmeier: Konkret? 16 Schauspieler auf der Bühne und drei Musiker im Hintergrund. Joker: Die Uraufführung im Jahr 1928 war ja eines der größten Theaterereignisse der Weimarer Republik … Wetter: Defi nitiv! Toller war während seiner Gefangenschaft zur Symbolfigur geworden. Jedes neue Stück war quasi ein Aufschrei. Als er dann 1924 freikam, war der Erwartungsdruck unendlich groß und es war fast unmöglich, dem gerecht zu werden. Mit dem Regisseur Erwin Piscator hat er dann zusammen Hoppla, wir leben! auf die Bühne gebracht – eine wahre Materialschlacht! Joker: Inwiefern multimedial? Wetter: Wir wissen, wie sich die Ereignisse in den 20er Jahren geradezu überschlagen haben – Hungersnot, Inflation, Wirtschaftskrise, Streiks, Attentate… Hinzu kommen die neusten Moden, Jazztänze, Errungenschaften modernster Technik – und all dies stürzt auf Tollers Protagonisten ein wie eine Flutwelle und reißt ihn mit sich fort. Um das auf der Bühne dazustellen, wurde alles aufgefahren, was man zur Verfügung hatte. Joker: Das klingt so, als sei das alles nicht zu mehr toppen. Wetter: Ist es auf diese Weise auch nicht. Kreitmeier: Und doch ist es zuvorderst das Stück eines echten Revolutionärs, das wir gerne als intensives Kammerspiel realisieren wollen. Wir haben den Text entschlackt, um ihn wieder spielbar zu machen ohne das ganze Brimborium, das der damaligen Inszenierung zugrunde lag und von der sich Toller selbst sehr distanziert hat. Er empfand sein Stück einer inszenatorischen Materialschlacht geopfert. Wetter: Und hier wollen wir ansetzen. Wir sind nicht mehr Menschen der 20er Jahre. Wir sind es gewohnt, tagtäglich mit Information und medialen Eindrücken bombadiert zu werden. Die Erfahrung die wir machen ist eine andere. Interessanterweise auch eine des frühen 20. Jahrhunderts: eine kafkaeske. Joker: Also eine Art surreales Erleben? Wetter: Mehr noch. Bei Kafka sind alle immer unheimlich beschäftigt mit etwas, von dem keiner weiß, was es ist. Es passieren Dinge, die irgendwie logisch scheinen und doch dem Verständnis für immer entzogen bleiben. Unserem Protagonisten Karl Thomas geht das genauso: Der möchte gerne Teil haben, möchte die Gesellschaft verändern, seine Ideale verständlich machen. Doch der Zusammenhang hat sich verändert. Die Gesellschaft ist eine andere. Was für eine, versteht er nicht! Kann er auch nicht, denn alles was er darüber erfährt, macht sie nur noch rätselhafter für ihn. Joker: Und welche Auswirkungen hat das auf die Inszenierung? Kreitmeier: Die Bühne wird ein 10 Meter langer aber nur ein Meter breiter Steg sein, an dessen Enden sich jeweils ein Fahrstuhl befindet. Ein Kommen und Gehen, ein Gedränge und Verlorensein in diesem imaginären Hotelflur.Und das entspricht eigentlich genau der psychischen Disposition des Protagonisten in Ernst Tollers Stück. Ein ehemaliger Revolutionär, der nach 8 Jahren Gefangenschaft freigelassen wird und sich nicht mehr zurechtfindet in der Welt. Er fühlt sich heimatlos im regen Betrieb seiner Zeitgenossen, die diesen Flur wie ein Warenhaus bevölkern. 1. Stock: Verlorene Ideale, 3. Stock: Waffenhandel und Korruption, 6. Stock: Präsidentenwahl und Wahlbetrug, 11. Stock: Politische Attentate und Terrorismus. Das alles ist Thema von Tollers Zeitsatire und ich glaube heute noch so aktuell wie 1927. Joker: Nun wird es dazu auch eine Livemusik geben. Wetter: Genau, daran arbeite ich gerade. Bei der Uraufführung war die Musik ein Teil der Reizüberflutungsmaschinerie. Meine Komposition will das Gegenteil, will Verdichtung auf die Essenz und die surrealen Qualitäten unseres Settings herausarbeiten. Joker: Und wie? Wetter: Gute Frage … Der richtige Einsatz der Musik ist entscheidend, also wo sie überhaupt kommt, damit sie Wirkung entfalten kann und wo man sie eben nicht braucht. Dann natürlich auch die klangliche Besetzung: Mit Klavier, Cello, Akkordeon und E-Bass haben wir, glaube ich, die richtige Mischung gefunden. Joker: Wie laufen die Proben derzeit? Kreitmeier: Eigentlich gut. Ich denke die Grundidee und die wunderbare Besetzung stimmen. Daraus lässt sich etwas machen. Was mich besonders freut, ist auch, dass wir es geschafft haben beinahe alle Schauspieler, mit denen wir die letzten zwei Jahre zusammengearbeitet haben, für ein gemeinsames Projekt miteinander auf die Bühne zu bringen. Joker: Zusätzlich zum Stück ist auch noch ein Rahmenprogramm in Planung. Wetter: Genau. Wir wollen ein paar erste Schlaglichter auf die Zeit werfen. Interessant wird hier die Gegenüberstellung von Toller und Hitler werden. Kreitmeier: Beide waren ja zur selben Zeit in unterschiedlichen Haftanstalten interniert. Der eine schrieb lyrische Gedichte, der andere eine weit weniger lyrische Autobiografie: „Mein Kampf“, nämlich. Darüber hinaus werden wir eine Lesung zu Rosa Luxemburg und ein weiteres Programm zu den „Verbrannten Dichtern“ machen. Und als Abschluss gibt es Ende März nochmals unser Theaterprojekt über den rätselhaftesten Serienmörder der Weimarer Republik, Peter Kürten, zu sehen. Joker: Habt Ihr schon Pläne für die Zeit nach Toller? Wetter: Wir möchten gerne einen ganz aktuellen Text auf die Bühne bringen und sind gerade noch in der Lesephase. Auf jeden Fall steht Büchners „Woyzeck“ noch in dieser Spielzeit auf dem Programm. Dann ein schräges Open-Air Stück im Sommer und ein sehr konzentrierter und kammerspielbetonter Herbst… Joker: Dann sind wir gespannt auf alles Weitere – vielen Dank für das Gespräch!