Streit um Freiburger Stadtjubiläum kann auch dem OB schaden
Kommentar: Damit die 900-Jahr-Feier nicht zum Boomerang wird
Die zurückliegenden Wochen waren in besonderer Weise geprägt von einer öffentlich gewordenen Diskussion um das Freiburger Stadtjubiläum 2020. Und dabei ereignete sich auch Unschönes: Es gilt wohl künftig strikt zu verhindern, Projekte durch deren insgeheime grundsätzliche Gegner mit Finanzierungsargumenten niederreden zu lassen, bevor eine wirkliche inhaltliche Debatte stattgefunden hat. Es darf auch tatsächlich nicht sein, dass aus den Kreisen ebendieser Gemeinderäte ein als streng „nicht öffentlich“ deklariertes Papier der Tagespresse zugespielt wird, damit diese dann, was sie flugs tat, durch entsprechende Berichterstattung ihren kräftigen Teil zum drohenden Ende eines Konzepts beitrug – bevor es im Gemeinderat überhaupt beraten werden konnte.
Farce Stadtjubiläum
Das unterfränkische Bad Brückenau, 1310 von König Heinrich VII. mit Stadtrechten ausgestattet, feierte vor nicht allzu langer Zeit sein 700-jähriges Jubiläum. Ein stolzes Ereignis für die Gemeinde mit etwa 7.000 Einwohnern. Ein großer Kurball, Dialekt-Workshops, eine eigenes Logo für das Jahr, der Jubiläumswein natürlich – manch schöne Event-Idee wurde am Rande der Schwarzen Berge gestrickt. Anlässlich der Feier inszenierte eine freie Theatergruppe findig die Farce „Das Festkomitee“. Denn der lokale Gemeinderat hatte sich einige Zeit an Konzepten zum Jubiläum aufgerieben: Den Einen erschien’s zu teuer, die Anderen waren bereit zu investieren; Diese wollten auf einen Umzug nicht verzichten und das Ganze in historischem Gewand sehen, Jene eher Zeitgemäßes. Und wieder Andere hätten gern auch ganz verzichtet.
Wer das nachliest, dem drängt sich unweigerlich die Parallele auf: Im gut dreißig mal größeren Freiburg finden nahezu identische Debatten derzeit statt. Übrigens, in Bad Brückenau befindet sich auch das Deutsche Fahrradmuseum – ein weiterer ernsthafter Grund, über die Besiegelung einer Städtepartnerschaft nachzudenken.
Wie war’s 1970?
Blättert man in den Zeitungsarchiven und Gemeinderatsprotokollen der Jahre 1969 und 1970 fallen einige Grundkonstanten auf, die auch heute für solche Veranstaltungen gelten. Oberbürgermeister Eugen Keidel stellte sich von Beginn an die Spitze der Befürworter einer 850-Jahr-Feier, dadurch kam nennenswerter Widerspruch gar nicht erst auf. Am 4.10.1970 wurde er mit 78 % der Stimmen im ersten Wahlgang von den Bürgern im Amt bestätigt.
In einer Zeit, da der Wiederaufbau der Nachkriegsjahre noch nicht allzu weit zurücklag, in der die Stadterweiterung nach Westen (Landwasser, Weingarten) gerade vonstattenging, waren es natürlich besonders Infrastruktur- und Verkehrsmaßnahmen sowie bauliche Projekte, die mit Verweis auf das Jubiläum in Gang gesetzt oder mindestens beschleunigt werden konnten. Dazu gehörten die Fertigstellung des Schlossberg- und Leopoldrings sowie der Beschluss zur Errichtung der Spannbetonbrücke in den Stadtgarten (Gemeinderat 8.7.1969). Gleichfalls unter dem Vorzeichen des Jubiläums wurde der Bau eines neuen Ratssaales im alten Rathaus beschlossen (11.2.1969, Kosten: 1,2 Mio. DM), die Idee der Fußgängerzone in der Innenstadt forciert, die Arbeiten an der Gesamtschule in Haslach setzten ein.
Zugleich ersann man kulturelle Akzente und, heute würde man sagen, Leuchturmprojekte: Herausragend hier der Beschluss am 29.4.1969, der Gemeinderat tagte im Haus der Jugend an der Uhlandstraße, das Schwarze Kloster, in dem seit 1936 die städtische Telefonzentrale und einige Verwaltungseinheiten beheimatet waren, großzügig umzubauen, in den Obergeschossen Ausstellungsräume (780 qm) und unter dem Dach Künstlerateliers zu errichten – Finanzvolumen 2,33 Mio. DM. „Das Schwarze Kloster wird Kulturzentrum“, titelte freudig tags drauf die BZ. Dem Großen Haus des Theaters bewilligten die Gemeinderäte eine neue Podiumsbühne für 175.000 DM.
Festwoche mit Bundespräsident
Die eigentliche Feierlichkeit blieb auf eine gute Woche beschränkt (6. bis 14. Juni). Und obwohl eine Reihe von Eckpunkten des Programms aus ohnehin stattfindenden Ereignissen bestand (Weinfest), sparte man nicht am Rande. Allein den Plakatwettbewerb zum Stadtjubiläum ließen sich die Gemeinderäte 89.000 DM kosten, nur die Versicherungen für die Sonderausstellung „Kunstepochen der Stadt Freiburg“ im Augustinermuseum beliefen sich auf 80.000 DM.
Der große Umzug führte durch die Innenstadt. Dem eigentlichen Festakt im Theater am 6. Juni folgte ein Festbankett für 300 Gäste im Restaurant „Alte Burse“. Die Speisenfolge huldigte Karl dem Großen, war indes schon ganz frankophil in der Diktion. Abgesandte der Partnerstadt Besançon saßen mit dem OB an Tisch 1. Überhaupt gibt die Gästeliste eine spannendes ‚Who‘s Who‘. Der Ministerpräsident (Filbinger) war zugegen, Prinz und Prinzessin von Baden, vor allem aber Bundespräsident Gustav Heinemann, auch Hans Maier. Rolf Böhme schaffte es immerhin schon an Tisch 3, der Maler Rudolf Riester an 14, Hansjörg Seeh an 35.
Wieviel Historie verträgt ein Stadtjubiläum heute?
Das Programm der Freiburger 900-Jahr-Feier mitnichten bei den Stadtgründern anzusetzen, diese gelegentlich angeklungene Äußerung der designierten Kuratorin für 2020 könnte durchaus irritieren. Aber freilich steckt genau darin auch eine Kern- und Konzeptionsfrage. Denn natürlich wird man des geschichtlichen Blicks zurück zwar bedürfen (unbedingt auch als eine europäische Wurzel, die Stadt und Region geprägt hat – vom Münsterbau über den Humanismus am Oberrhein, über die Badische Revolution bis Wyhl). Gleichwohl und selbstverständlich sollte jedoch heute, anders als vor 50 Jahren noch, der Blick stärker nach vorn gerichtet sein: ‚Wie wollen wir künftig in Freiburg leben?‘ ist der zweifelsfrei richtige Akzent.
Die Finanzfrage
Sicher wird sich heute kein Stadtjubiläum sich in einem Festumzug und einem Feuerwerk, auch nur in einer „Festwoche“ erschöpfen. Partizipative Projekte, die Diskussionsprozesse anstoßen und möglichst viele Stadtteile und Bevölkerungsschichten wollen, bedürfen eines etwas längeren Atems. Das kann dann immer noch etwas teurer und etwas preiswerter geraten, beides führen andere deutsche Kommunen Jahr für Jahr vor. Aber dass nachhaltige Effekte entstehen können, neue Kooperationen und Partnerschaften, Modellvorhaben, auch bleibendes Bauliches, dass es zudem nicht nur theoretisch den Begriff der Umwegrentabilität gibt (gerade der Wirtschaftsfaktor Kultur trägt dazu bei) – all‘ das steht außer Frage.
Und gewiss darf an die 2014 eingeführte „Übernachtungssteuer“ erinnert werden. Von der Stadtverwaltung angedacht war damals den Betrag, der 1 Mio. Euro pro Jahr übersteigt, spezifisch für touristische Vorhaben einzusetzen. Inzwischen beläuft sich dies Bettenbudget auf 3,4 Mio. Euro jährlich, nähme man aus drei oder vier Jahren bis 2020 diesen ‚Überschuss‘ und ließe ihn nicht im allgemeinen Haushalt oder bei der FWTM ‚verschwinden‘, wäre leicht ein schöner Etat beisammen.
Was nun?
Der Gemeinderat wird im März beraten, vielleicht noch gar nicht endgültig entscheiden. Die immer noch bestehende Chance, etwas Sinnfälliges und Vorausweisendes für die Stadt zu erzielen, sollte mit Bedacht genutzt werden. Falls das nicht passiert, wirft es nicht nur einen Image-Schatten auf Freiburg, sondern könnte auch den Kulturdezernenten und den Oberbürgermeister beschädigen, die die Kuratorin vorab mit so großer Verve aufs Tapet gehoben haben.
Martin Flashar