Rebecca Mary Narums erste abendfüllende Soloperformance „The Doll in her Pocket“ feierte im E-Werk in Freiburg Premiere
Stereo- und Archetypen, Klischees und Rollenzuschreibungen – Frausein war schon immer Projektionsfläche für komplexe, sich ständig wandelnde Gesellschaftssysteme. Aber was ist eigentlich weiblich und wer definiert das? Wie fühlt es sich an, eine starke Frau zu sein? – Inmitten lebhafter Gender-Debatten und befreiender Geschlechtervielfalt hat sich die in Freiburg lebende US-amerikanische Choreografin und Tänzerin Rebecca Mary Narum (Tanztheaterkollektiv Quizzical Körper) auf eine sehr persönliche Spurensuche nach der eigenen Geschlechtsidentität gemacht. Parallel forschte sie in Literatur und Film, transportierte sie in ihrem Studio Körper- und Bewegungsstudien in Choreografien. Begleitet wurde ihre monatelange Recherche von Mitbewohnerin Antonia Bischof. Jetzt feierte Rebecca Mary Narums erste abendfüllende, von Stadt und Land geförderte Soloperformance. „The Doll in her Pocket“ im Freiburger Südufer Premiere und ist per Livestream in der Mediathek von infreiburgzuhause.de zu sehen.
Nur zwei Live-Zuschauerinnen sind an diesem Abend zugelassen. Also sitzt man wie beim Filmset neben konzentrierter Technik-Geschäftigkeit zwischen Kabeln, Kameras und Mikros rund um Monitor und Schaltpult. Letzte Checks, der Countdown wird ein gezählt, dann ist die minimalistische Bühne live auf Sendung: Weißer Tanzboden, weiße Rückwand, weißer Tisch, von der Decke schwebt ein imposantes Ballkleid in Purpur. Wie eine vierbeinige Königin thront Narum auf dem Tisch, dessen Platte unter ihrem ausladendem Rock ganz verschwindet. Mit warmem Lächeln und großzügigen, grazilen Gesten hält sie Hof: Kopf, Arme und Oberkörper deklinieren minutenlang in großer Anmut bedeutungsschwere Gesten. Die werden zu Posen, dann zu mechanischem Spielfiguren-Ruckeln. Erst als Narums Blick sich vom fiktiven Gegenüber löst, schwingt sie sich mit einem beherzten Schritt vom Podest.
Es ist diese betörende Arie „Che si puó fare, Op. 8“ von Barbara Strozzi, die bei goldenem Bühnenlicht (Jenny Herman) in ferne Zeiten entführt und damit in eine 45-minütige Assoziationsreise durch die Jahrhunderte. Immer wieder wird sich die 29-jährige Kulturanthropologin und TIP-Absolventin (2017) dabei neue Räume und Bewegungssprachen erobern und dabei ganz unterschiedliche Gefühle und Energien erzählen. Die ausgewählten Musikstücke sind stark und wirken als Soundtrack stellenweise zu illustrierend, auch gibt es choreografische Längen. Intensiv ist dieses Solo aber unbedingt, ist Narums Tanz doch fein ziseliert, wandelbar und sehr ästhetisch, triggert mühelos eigene Fantasien und Bilder: Ob im wirbelnden Kleid oder in schwarzer Hose, ob als Zehenspitzen-Ballerina, neckische Verführerin, aufgedrehte Barbie-Parodie oder Kriegerin – Narums geschmeidige Bewegungslust ist spürbar, ihre Choreografien erwecken ausdrucksstark Klischees und Geschlechterrollen zum Leben.
Dabei verschiebt sich der Körperfokus im Laufe der Performance entlang romantischer Klaviermusik, indianischem Trommeln, melodiösem Wolfsgeheul und viel Spanischem: Beweglichkeit und Ausdruck wandern vom Oberkörper in die Hüften und von dort in Becken und Beine, bis nackte Füße kraftvolle Rhythmen in den Boden stampfen. Immer wieder gibt es Brüche und damit Momente von Selbstermächtigung und Befreiung. – Inspirierend! Da hätte es das nachfolgende Künstlergespräch auf Englisch, bei dem Narum über Konzept- und Probenprozess erzählt, so ausführlich nicht gebraucht, zumal Zuschauerfragen zu kurz kommen. Am lebendigen Publikumsgespräch per Live-Chat lässt sich auf dieser tollen Plattform noch tüfteln.
„The Doll in her Pocket“, live aus dem Südufer unter www.infreiburgzuhause.de
Bildquellen
- Rebecca Mary Narum: Foto: Jürgen Gocke