Landy-Retrospektive im Museum Tinguely
“Out of Order”: Die Kreisläufe des Konsumierens
In Michael Landys Ausstellung geht es gedrängt zu, so gedrängt, dass man verleitet dazu ist, den Titel „Out of Order“ gleich auf die gesamte Retrospektive zu beziehen. Landy jedoch vergleicht seine Ausstellung mit einer englischen Landschaft. Folglich dürfte man also Sichtachsen und konstruierte Zusammenhänge erwarten.
Was zuerst auffällt, ist der Werkzyklus der „Appropriation“ aus den 1990er Jahren. Die Videoarbeiten zeigen die Vorbereitungen von Gemüsehändlern, das Richten der Auslagen vor den Schaufenstern, auf denen sie Pappkartons mit der Ware ausbreiten. Im Museum Tinguely liegen an den Rändern die Plastikkörbe, die Kartons und auch der Kunstrasen sowie die Metallständer, aus denen die stufenförmigen Auslagen gebaut sind. Mitten im Ausstellungsraum findet man sie dann aufgestellt, zu Podesten gestapelt oder zu mit Kunstrasen überzogenen Treppchen montiert. Wären Museen nicht derart kontemplative Orte, man könnte dem Impuls nachgeben, sich an den unendlichen Vorbereitungen zur Präsentation von Ware zu beteiligen.
Vielleicht kann man darin auch ein Bild für die Retrospektive selbst erkennen. Landy geht es in vielen seiner Arbeiten um Kreisläufe des Konsumierens und wie diese durchbrochen werden können. Michael Landy war unter den Young British Artists wohl derjenige mit dem größten Interesse an gesellschaftspolitischen Fragen.
Dass das Museum Tinguely nun diese Retrospektive ausrichtet, dürfte viel mit Landys Skulpturen „Saints Alive“ zu tun haben. Die Skulpturen, die entstanden als Michael Landy Artist in Residence der National Gallery war, lassen sich wie die von Tinguely in Bewegung versetzen. Landy waren bei seinen Besuchen der Gemäldesammlung die vielen Heiligen und die Märtyrerwerkzeuge aufgefallen, mit denen sie malträtiert wurden. Im Laufe des Projektes zeichnete er sie ab oder ließ sie reproduzieren und fügte sie zuerst auf Papier, dann dreidimensional neu zusammen. Tritt man auf die Bodenschalter, so schnellt ein ungläubiger Finger in die Wunde eines kopflosen Torsos oder ein Säbel geht auf den Kopf eines Franziskanermönches nieder, während das gesamte Arrangement mitsamt Waagschalen, in denen ein Menschenpaar und ein Gewicht liegen, durcheinander gerüttelt wird.
Wer Anfang der 60er Jahre in Großbritannien geboren wurde, hat den Neoliberalismus der Thatcher-Ära kennen gelernt. Vor allem dann, wenn man wie Landy aus der Arbeiterschicht stammt und im Londoner Stadtteil Hackney aufwuchs. Mitte der 90er Jahre war in der Tate Modern seine raumfüllende Installation „Scrapheap Services“ zu sehen. Auf dem Boden lagen Unmengen von Männchen, die Landy aus Verpackungsmaterial ausgeschnitten hatte, Straßenfeger waren damit beschäftigt, sie zu schreddern oder zumindest zu entsorgen. Billboards entwarfen spießige Idyllen. In Basel sind nun einzelne Objekte wie die Tafeln oder Mülleimer zu sehen. Auch andere Arbeiten haben in dieser Retrospektive ihren Platz gefunden. Etwa die Darstellungen des Körpers von Michael Landys Vater, der durch einen schweren Arbeitsunfall gezeichnet ist. Oder die Erfassung und Vernichtung von Landys gesamten Besitz 2001. Nach dieser Tabula Rasa kehrte er dorthin zurück, wo für ihn die Kunst anfing: zur Zeichnung. Der Brite wandte sich so genannten Pionierpflanzen wie Kamille oder Hirtentäschel zu, die als erste Brachen besiedeln. Landy porträtiert sie in minutiösen Zeichnungen, die keinen glamourösen, aber einen robusten Neuanfang darstellen.
Michael Landy, Out of Order, Museum Tinguely, Basel. Dienstag bis Sonntag 11 bis 18 Uhr. Bis 25. September. Im Kehrer Verlag ist ein Katalog erschienen, 240 S., 45 Euro, ca, 55 Franken.
Annette Hoffmann