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Im Gespräch: Hans Zimmer, Filmkomponist

Das Soho House in London liegt in einer Sackgasse in der Nähe der Oxford Street. Mit dem Fahrstuhl geht es hinauf zu einem großen Raum mit einer Sitzecke nahe dem Fenster. Hans Zimmer, ein kräftiger Mann mit einem festen Händedruck, nimmt auf dem Sofa Platz. Obwohl der Filmkomponist 1957 in Frankfurt am Main geboren wurde und den Großteil seiner Kindheit in Kronberg im Taunus verbrachte, ist ihm seine Muttersprache gar nicht mehr so vertraut. „Ich spreche Kinderdeutsch“, sagt er im Interview. Kein Wunder: Der vierfache Familienvater, der zwei Oscars gewonnen hat, pendelt seit Jahren zwischen London und Los Angeles. Heute ist er nicht bloß für seine Soundtracks bekannt, sondern hat sich parallel dazu als Konzertmusiker einen Namen gemacht. Am 22. und 23. Mai tritt er im Hallenstadion in Zürich auf, am 20. Februar ist seine Musik im Rahmen von „The Music of Hans Zimmer & Others – A Celebration of Film Music“ im Konzerthaus Freiburg zu hören. Dagmar Leischow sprach mit ihm über sein Rebellen-Image, seinen Start in Hollywood und sein Lampenfieber.

Kultur Joker: Herr Zimmer, wollten Sie als Filmkomponist schon immer Ihre Musik irgendwann auf die Bühne bringen?

Hans Zimmer: Nein. Zu meinen Konzerten haben mich die Musiker Pharrell Williams und Johnny Marr überredet. Wir saßen gemeinsam im Studio, da insistierten sie auf einmal: „Hans, du kannst dich nicht länger hinter der Leinwand verstecken. Du musst etwas in Echtzeit machen.“ Ich entgegnete: „Das geht nicht, ich habe Lampenfieber.“ Doch das ließen meine beiden Freunde nicht gelten. Jeder habe Lampenfieber, meinten sie. Als Johnny Marr ging, drehte er sich in der Tür um und sagte zu mir: „Ich trete bei der Grammy-Verleihung auf. Du kannst für mich Gitarre spielen.“ Ich dachte, nur ein Idiot würde dieses Angebot ablehnen. Das war der Beginn meiner Live-Auftritte. Nachdem ich es geschafft hatte, bei den Grammys vor vielen Menschen auf einer großen Bühne zu stehen, wusste ich: Ich kann ein Konzert überleben.

Kultur Joker: Haben Sie Ihr Lampenfieber inzwischen überwunden?

Zimmer: Keineswegs. Ich zittere, bin schlecht gelaunt und stelle dieselbe Frage zwanzigmal, ohne die Antwort wirklich zu hören. Manchmal übergebe ich mich vor einer Show sogar. Immerhin weiß ich jetzt, wie ich mein Lampenfieber zumindest auf der Bühne in den Griff kriegen kann. In den ersten vier Reihen sitzen nicht die Fans, sondern die Reichen. Einer von ihnen kommt garantiert zu spät, das entgeht weder dem Gitarristen Nile Marr noch mir. Wir machen diese Person dann für den Rest des Abends zur Zielscheibe unserer Witze.

Kultur Joker: Im Zentrum steht aber die Musik. Wie haben Sie die Setlist für Ihre Konzerte zusammengestellt?

Zimmer: Damit tat ich mich ziemlich schwer. Anfangs hatte ich ein fünfeinhalbstündiges Programm konzipiert, das war natürlich viel zu lang. Also wählte ich teils meine ganz persönlichen Favoriten aus, teils richtete ich mich nach dem Geschmack des Publikums. Nun habe ich die Möglichkeit, meine Show mit „König der Löwen“ zu beenden und in der Zugabe das James-Bond-Thema zu spielen. Das gefällt den Leuten. Es gibt aber auch Musik aus „Dark Phoenix“. Vielleicht ist dieser Streifen nicht der populärste „X-Men“-Film, doch ich mag das Stück und spiele es gern.

Kultur Joker: Auf welchen Soundtrack sind Sie besonders stolz?

Zimmer: Mit einem Begriff wie stolz kann ich nichts anfangen. Allerdings gibt es Projekte, die mir etwas bedeuten. „König der Löwen“ zum Beispiel liegt mir am Herzen, weil in diesem Zeichentrickfilm ein Vater stirbt. Auch ich habe meinen Vater verloren, als ich noch sehr jung war. Dennoch wollte ich die Musik für „König der Löwen“ ursprünglich gar nicht machen. Letztlich sagte ich bloß zu, um meine damals sechsjährige Tochter Zoe zu beeindrucken. Ich wollte mit ihr endlich einmal zu einer Premiere gehen. Dafür hätte sich ein Ridley-Scott-Blutbad nicht angeboten, ein Animationsfilm war offensichtlich die bessere Wahl.

Kultur Joker: Könnte aus den „König der Löwen“-Kompositionen möglicherweise sogar ein eigenständiger Konzertabend werden?

Zimmer: Durchaus. Als ich „König der Löwen“ zusagte, stellte ich unmissverständlich klar: „Ich hasse Broadway-Musicals.“ Man versicherte mir, die Geschichte werde niemals ein Musical. Nicht in hundert Jahren. Nachdem wir den Film beendet hatten, hatten wir aber noch weitere musikalische Ideen. Also kehrten wir mit meinem Freund, dem Komponisten, Musiker und Produzenten Lebo M, nach Afrika zurück und nahmen das Album „Rhythm of the Pride Lands“ auf. Diese Songs bildeten dann die Basis für das Musical. Wenn man sie mit dem Soundtrack zusammenbringen würde, könnte daraus ohne Weiteres ein abendfüllender Event werden.

Hans Zimmer live © Frank Embacher

Kultur Joker: Filmmusik-Konzerte sind unglaublich populär geworden. Wie erklären Sie sich das?

Zimmer: Ich habe dieses Phänomen auch beobachtet. Doch meine Shows sind anders. Ich zeige keine einzige Filmszene. Wenn ich das täte, bräuchte ich auch die Dialoge und Soundeffekte. Im Grunde würde man dann bloß wieder den Film gucken. Ich möchte aber meine Musik für sich sprechen lassen. Ohne Bilder. Ich denke, die Leute realisieren bei meinen Auftritten gar nicht, dass sie den Film nicht sehen.

Kultur Joker: Bei einer Show in London haben Sie einen kurzen Clip des ukrainischen Pianisten Alex Pian gezeigt. Wie kam es dazu?

Zimmer: Meine Tochter, die in London lebt, kam zu mir und sagte: „Sieh dir dieses Video an.“ Da stand ein Klavier im Freien, ein Mann spielte „Time“ aus „Inception“. Plötzlich setzten die Sirenen ein, alle flohen und begaben sich in die Schutzräume. Nur der Pianist spielte einfach weiter, bis das Stück zu Ende war. Das fand ich erstaunlich. Ich beschloss, den Clip während meines Konzerts auf eine Leinwand zu projizieren. Dann erklärte ich dem Publikum: „Sie hören das Stück jetzt unter völlig anderen Umständen. Man weiß nie, wie sich eine Situation von einer Minute zur nächsten verändert… Darum möchte ich, dass Sie darüber nachdenken, in was für einer glücklichen Lage Sie gerade sind, wenn Sie hier in der O2 Arena sitzen.“

Kultur Joker: Für Ihre letzte Tournee hatten Sie 2022 das Odessa Opera Orchestra engagiert. Konnte es während des Kriegs überhaupt ausreisen?

Zimmer: Wir hatten das Orchester drei Jahre zuvor gebucht. Als der Krieg begann, bekamen wir zehn Musiker aus der Ukraine heraus. Obgleich wir auf Social Distancing setzten, kamen wir uns emotional sehr nahe. Die ukrainischen Musiker hatten plötzlich kein Zuhause mehr. Sie machten sich ständig Gedanken um ihre Familien, um ihr Land. Es war unfassbar, wie sie jeden Abend die Auftritte durchstanden. Selbst auf der Bühne erreichten uns immer wieder Schreckensmeldungen. Das Haus eines Musikers wurde bombardiert. Wenigstens war seiner Mutter nichts passiert. So erlebten wir eine Tournee in Zeiten des Kriegs und Covid.

Kultur Joker: Einerseits scheinen Sie Durchhaltevermögen zu haben, andererseits gelten Sie als Rebell. Die BBC hat Ihnen die Dokumentation „Hand Zimmer: Hollywood Rebel“ gewidmet.

Zimmer: Das Rebellen-Image haben mir andere Leute aufgedrückt. In Hollywood taten mein Team und ich lediglich das, was wir zuvor in England gemacht hatten. Wir arbeiteten nicht immer mit einem 120-köpfigen Orchester, sondern auch mit Bands. Wir setzten Synthesizer und Computer ein. Eins war mir allerdings wichtig: Ich wollte meine Assistenten und Arrangeure auf jeden Fall würdigen. Deswegen war ich bestrebt, Harry Gregson-Williamson oder John Powell ins Rampenlicht zu holen. Ich animierte sie, selber Karriere zu machen und ihren eigenen Weg zu gehen.

Kultur Joker: Lassen Sie uns auf Ihren Start in Hollywood zurückblicken. Haben Sie sich sofort für Los Angeles begeistert?

Zimmer: L.A. ist ziemlich seltsam. Ich wusste: Ich musste dorthin gehen, um mit großartigen europäischen Regisseuren wie Ridley Scott, Chris Nolan und Tony Scott kooperieren zu können. Als ich zum ersten Mal nach L.A. kam, widmete ich mich mit Barry Levinson ganz dem Film „Rain Man“. Im Grunde pendelte ich damals nur zwischen meinem Hotel und Barrys Büro. Ich habe die Stadt Los Angeles nicht wirklich gesehen.

Kultur Joker: Ist sie Ihnen inzwischen ein Stück Heimat geworden?

Zimmer: Am ehesten fühle ich mich in London zuhause. L.A. ist vor allem eine Stadt zum Arbeiten, finde ich. Natürlich gibt es dort auch viele Partys, die versuche ich aber zu vermeiden.

Kultur Joker: Weil Sie ein Workaholic sind?

Zimmer: Das klingt mir zu negativ. Musik hat für mich etwas Spielerisches. Ich spiele mit ihr wie ein Kind. Also will ich nicht ins Bett gehen, sondern immer weiterspielen.

Kultur Joker: Und wenn Sie sich doch mal entspannen wollen, wie fahren Sie dann herunter?

Zimmer: Ich gucke Fernsehen, ich lese ein Buch, ich verbringe Zeit mit meinen vier Kindern. Außerdem unterhalte ich mich gern mit Menschen, die nichts mit Musik zu tun haben. Geschichte fasziniert mich. Wenn ich nicht Musiker geworden wäre, wäre ich vielleicht Historiker geworden.

Kultur Joker: Gehen Sie in Ihrer Freizeit manchmal ins Kino?

Zimmer: Selbstverständlich. Die Musik für einige Filme habe ich nicht gemacht, weil ich sie unbedingt sehen wollte. Für mich ist es nach wie vor ein Vergnügen, mir Geschichten erzählen zu lassen. Das Streaming bietet diesbezüglich noch mehr Möglichkeiten – das hat Vor- und Nachteile. Positiv ist, dass die Amerikaner dank der Netflix-Serie „Narcos“ endlich ihre Angst vor Untertiteln verloren haben.

Kultur Joker: Einige Leute befürchten, wegen der Streaming-Dienste wird das Kino sterben. Was glauben Sie?

Zimmer: Warum sollte ich mir darüber den Kopf zerbrechen? Ich bin kein Geschäftsmann. Sicher haben Amazon und Netflix die Macht zu diktieren, was die Menschen sehen oder nicht sehen. Aber Kopfhörer aufzuhaben und auf das Display eines Smartphones zu gucken, das ist eine völlig andere Erfahrung, als einen Film im Kinosaal gemeinsam mit anderen Leuten zu erleben. Letztlich kann jeder selber entscheiden, wie er eine Geschichte rezipieren möchte.

Kultur Joker: Vielen Dank für das Gespräch, Herr Zimmer.

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Bildquellen

  • Hans Zimmer live: © Frank Embacher
  • Hans Zimmer: © Frank Embacher