Theater

Die Osterfestspiele der Berliner Philharmoniker im Festspielhaus Baden-Baden präsentieren viel Russisches/Klare Positionierung zum Ukrainekrieg

Russische Musik wegen des Ukrainekriegs von den Konzertprogrammen streichen? Das Festspielhaus Baden-Baden und die Berliner Philharmoniker gingen bei den Osterfestspielen ganz bewusst einen anderen Weg und hielten am lange geplanten Russlandschwerpunkt fest. Neben den beiden Tschaikowsky-Opern erhielten auch alle Orchesterkonzerte und zwölf der dreizehn Kammerkonzerten Werke russischer Komponisten. Gleichzeitig bezog man klar Stellung. „Der heimtückische und völkerrechtswidrige Angriff Putins auf die Ukraine ist ein Messer in den Rücken der ganzen friedlichen Welt“, sagte der Kirill Petrenko bereits am 25. Februar. Gleichzeitig warnte der russische Chefdirigent der Berliner Philharmoniker vor der Diskriminierung russischer Künstler und bat um Spenden für die Ukraine – er selbst spendete 100 000 Euro für die UNO-Flüchtlingshilfe. Auch während des Festivals ist der Spendenaufruf mit Aufstellern im Foyer des Festspielhauses und durch Anzeigen im Programmbuch sichtbar.
Nachdem die letzten beiden Osterfestspiele in Baden-Baden wegen der Coronapandemie ausgefallen sind – immerhin konnte Tschaikowskys Oper „Mazeppa“ im Herbst noch bei einem kürzeren Gastspiel der Berliner Philharmoniker konzertant nachgeholt werden – ging man mit der aufwändigen szenischen Realisierung von Tschaikowskys „Pique Dame“ (Regie: Moshe Leiser und Patrice Caurier) in die Vollen. Warum das Regieduo die Geschichte nach einer Novelle von Puschkin in ein Edelbordell verlegte (Kostüme: Agostino Cavalca), erschloss sich zwar nicht, zumal gerade im ersten Teil vor der Pause viel Belangloses dekoriert wurde. Zumindest nach der Pause wird die Inszenierung dichter, weil das in die Breite gezogene Bühnenbild von Christian Fenouillat variabler eingesetzt wird und sich der Fokus noch stärker auf den sich immer stärker isolierenden Hermann (präsent: Arsen Soghomonyan) richtet, der immer mehr die Kontrolle verliert. Auch die musikalische Umsetzung braucht bei der Premiere ein bisschen Anlauf. Im ersten Akt hapert es noch an der exakten Koordination von Orchester, Bühnenmusik, Kinderchor (Cantus Juvenum) und Chor (Slowakischer Philharmonischer Chor). Aber nach und nach entwickelt Kirill Petrenko mit den Berlinern Philharmonikern eine perfekte Mischung der dunklen Farben, einen magischen Streicherklang und eine Sogwirkung, der man sich nicht entziehen kann. Elesa Stikhina (Lisa), Vladislav Sulimsky (Graf Tomski), Boris Pinkhasovich (Fürst Jelezki) und Aigul Akhmetshina (Polina) setzen auch stimmlich Akzente im hervorragend besetzten Solistenensemble. Die konzertante Produktion von „Jolanthe“ wird dann zu einem regelrechten Fest der Stimmen (besonders eindrucksvoll: Sonya Yoncheva in der Titelpartie und Liparit Avetisyan als Vaudémont). Der lyrische Einakter über eine blinde Königstochter, die am Ende durch die Liebe sehen kann, wird von den Berliner Philharmonikern unter Kirill Petrenko zu einer ganz differenzierten psychologischen Studie. Erst am Ende zum mächtigen Gotteslob lässt der Dirigent den Klang im Orchester und Chor voll ausfahren, ohne dabei Härten in Kauf zu nehmen – ein Ereignis!
Mit Anna Netrebko als Publikumsmagnet sollte eigentlich die bekannteste russische Künstlerin in einem Konzert präsentiert werden. Mit ihrer Absage kam sie einer Ausladung zuvor. Dass Intendant Benedikt Stampa bei seiner Begrüßung zu Beginn der Ersatz-Gala die Sängerin gar nicht erwähnt, der er das ausverkaufte Haus zu verdanken hat, mutet dann doch etwas seltsam an, zumal er das eigentlich wegen Netrebko gekommene Publikum für seine Treue lobt. Der von Andris Nelsons dirigierte Abend bietet ein buntes Opernprogramm zu den Themen Freiheitskampf und Vaterlandsliebe, aber auch Unpolitisches wie Richard Wagners „O du mein holder Abendstern“ (mit schöner Diktion: Thomas Hampson) oder die ganz textlose „Vocalise“ von Sergej Rachmaninow, veredelt von Katharina Konradi. Insgesamt fehlt der kurzfristig zusammengestellten Gala der dramaturgische und musikalische Zusammenhang. Auch Igor Strawinskys „Feuervogel“ wirkt, wenn auch brillant musiziert, in diesem Zusammenhang etwas verloren. Spannenderes gibt es beim ebenfalls von Nelsons geleiteten Konzert am Samstagabend zu entdecken. Mieczyslaw Weinbergs ungewöhnliches Trompetenkonzert aus dem Jahr 1967 changiert zwischen Zirkuston und Klagegestus. Statt ausgreifender Melodien treffen im ersten Satz rhythmisch akzentuierte Motivschnipsel auf beruhigende Liegetöne. Der das Konzert eröffnende, vertrackte Trompetenaufgang wird mit der gleichen Energie vom Orchester wiederholt. Wie überhaupt der Dialog zwischen Solist und Tutti lebendig und ganz präzise bleibt. Solist Hakan Hardenberger besitzt einen glasklaren, schlackenlosen Trompetenton, mit dem er die Solostimme veredelt. Skurril dann das am Ende zerfallende, wie improvisiert wirkende Finale des Schostakowitsch-Freundes Weinberg mit „Carmen“-Anklängen und Hochzeitsmarsch-Parodie, dem sich eine farbintensive Version von Strawinskys Ballettmusik „Le Sacre du printemps“ anschließt. Der Orchesterklang hat Tiefe, Plastizität und in den Streichern eine selten zu hörende Homogenität. Und eine Durchsichtigkeit, die noch jedes kleine Kontrabassgrummeln und Piccolozirpen hörbar macht. Aber auch dem in der Musik enthaltenen Rausch und der Ekstase widmen sich die Berliner Philharmoniker mit größter Hingabe. Strawinsky at its best!

Bildquellen

  • Gräfin (Doris Soffel) und Lisa (Elena Stikhina) in „Pique Dame” bei den Osterfestspielen 2022: © Monika Rittershaus