Ausstellungen im ZKM Karlsruhe: Die Vielfalt echter und virtueller Lebensformen
Wer fantastische Tierwesen sucht, muss dazu nicht ins Kino gehen, sondern nach Karlsruhe fahren. Dort, im ZKM Zentrum für Kunst und Medien, kann man mit zutraulichen virtuellen Quallen spielen, mehr und auch weniger menschenähnlichen Robotern begegnen, Künstliche Intelligenz beim Lernen erleben und die Entwicklung des Lebens in längst vergangenen Erdzeitaltern studieren. Die beiden aktuellen Ausstellungen „BioMedien. Das Zeitalter der Medien mit lebensähnlichem Verhalten“ und „The Beauty of Early Life“ befinden sich im gleichen Lichthof und ergänzen sich perfekt.
Gleich rechts im Eingangsbereich der „BioMedien“ laufen und springen die seltsamsten Gestalten in Lebensgröße über den Bildschirm. Aus menschlichen Bewegungsmustern und digitaler Technik entstand diese Arbeit. „Infinity“ läuft sozusagen unendlich in immer neuen Farben und Formen. Vieles in der Ausstellung ist interaktiv, große und kleine Besucher können hier Erfahrungen sammeln und Spaß dabei haben. Zum Themenbereich „Leben mit Robotern“ lädt das „Reallabor“ des KIT, des Karlsruher Instituts für Technologie, dazu ein, die reizvollen leuchtenden Formen auf dem Boden zu verfolgen und dabei selbst spannende neue Muster zu kreieren.
Ein kleines bisschen Gott spielen kann man im Bereich „Interaktion mit neuen Mitwesen“. Ein bisschen singen oder summen, schon kommen die niedlichen virtuellen Quallen der Arbeit „The Jellyfish“ angeschwommen. Und auf dem Bildschirm vor dem scheinbar leeren Wasserbecken kann man Formen zeichnen, die dann im Wasser Gestalt annehmen. Zwar ähneln sie optisch alle einem leeren Eisbecher, aber sie verhalten sich wie Lebewesen, sie wachsen und manchmal fressen sie sich gegenseitig. „A-Volve“, Titel des Kunstwerks, ist natürlich ein Wortspiel, in dem „Evolve“, also Evolution, drin steckt.
Das Zentrum der „BioMedien“ wird von großen, wie Segel aufgespannten Stoffen eingenommen, die sich ganz langsam verändern. „Zoiratia“ soll dazu beitragen, dass die ganze Ausstellung wie ein großer, lebender Organismus wirkt. Echte Gurkenpflanzen gehören ebenso dazu wie der virtuelle Schwarm aus geometrischen Formen, die sich wie Insektenschwärme verhalten.
Einen Stock höher taucht man ein in die Schau „The Beauty of Early Life. Spuren frühen Lebens“, die allerdings auch wörtlich übersetzt als Schönheit des frühen Lebens gelten kann. Echte Fossilien aus dem Naturkundemuseum Karlsruhe sind zu sehen, aber auch spannende chemische Experimente mit lebenden Algen und ästhetisch faszinierende Kunstwerke. Folgt man der interaktiven „Archigenesis“ von Bernd Lintermann und Derek Hauffen, erlebt man wie sich aus einfachen Formen komplexe Wesen bilden, in leuchtenden Farben zu sanften Klängen.
Entlang eines Zeitstrahls folgt man den verschiedenen Erdzeitaltern, denn die Zeitreise zu den Ursprüngen des Lebens geht weit zurück. Es geht aber gar nicht so sehr um längst ausgestorbene Tier- und Pflanzenarten als um die Frage, wie Leben überhaupt entsteht, wie es sich entwickelt und was Leben eigentlich ausmacht. Lebende Mikroalgen in großen und kleinen Glasbehältern sind Teil der Ausstellung. Der beheizte „Zeitstein“ verweist auf ein Experiment in Schweden. Dort wird auf einer künstlichen Insel studiert, wie sich die Natur entwickelt, wenn sie konstant 5 Grad wärmer ist als derzeit üblich. Klimawandel gab es in vielen Erdzeitaltern, meist mit drastischen Auswirkungen wie dem Entstehen und Aussterben von Arten.
Wie man sich das frühe Leben vorstellen kann, zeigt das grandiose Panorama „Living Rocks: A Fragment of the Universe“ von James Darling und Lesley Forwood. Hinter Inseln aus Wurzelholz in Wasser sieht man auf einer großen Leinwand eine fantastische Landschaft aus Wasser und Inseln, Dämpfe wabern, Vulkane brechen aus… Wie der Blick in ein Aquarium wirken die Videos von Martin Lisec. Aber man sieht keine Zierfische, sondern das Meeresleben im Cambrium und im Ordovicium, als könne man einen langen Blick werfen zurück in der Zeit. Man kann sogar spazieren gehen zwischen Strahlentierchen. Nicht den Echten, sondern den vergrößerten, frei gestalteten und von der Decke hängen Tierchen aus Kunststoff, die Rainer Maria Matysik in seiner „radiolarienübung“ geschaffen hat.
Die Vielfalt des Lebens und der echten und/oder virtuellen Lebensformen in den beiden Ausstellungen „BioMedien“ und „The Beauty of Early Life“ ist beeindruckend und ausgesprochen inspirierend.
„BioMedien“ läuft bis zum 28. August, „The Beauty of Early Life“ ist bis zum 10. Juli zu sehen, Mi-Fr 10-18 Uhr, Sa+So 11-18 Uhr, Eintritt 7€, erm. 5€, Kinder&Jugendliche bis 17 frei, freitags ab 14 Uhr freier Eintritt, www.zkm.de
Bildquellen
- Universal Everything, »Infinity«, 2021, Computerbasierte Installation; (aus „BioMedien“): © Universal Everything