Zwischen Freiheit und Kontrolle
„Auf der ganzen Linie! Positionen zeitgenössischer Zeichnung“ – Ausstellung im Kunstraum Alexander Bürkle
Wenn im Kunstraum Alexander Bürkle eine Ausstellung über die Möglichkeiten der Linie gezeigt wird, reizt das nicht alles aus. „Auf der ganzen Linie! Positionen zeitgenössischer Zeichnung“ bleibtvor allem auf der Linie der Sammlung. Die thematische Schau widmet sich einem sehr lebendigen Medium, dessen Vitalität jedoch gerade in der Gleichzeitigkeit von abstrakt und figurativ beruht.
Was bleibt, wenn man sich ganz auf die Abstraktion konzentriert, ist eine Art Selbstorganisation des Zeichengrundes. Das kann in Regeln beruhen, die Künstlerinnen und Künstler sich selbst setzen. So hat die jüngst verstorbene Marcia Hafif in stupender Regelmäßigkeit Striche aufs Papier gesetzt. Diese Zeichnungen aus den frühen 1970er Jahren werden als Übergang zu ihrer monochromen Malerei gesehen.
Nicht weniger konsequent sind die Arbeiten von Sebastian Rug, der mit Bleistift oder der Radiernadel Strukturen schafft, die auf Linien beruhen. Rug verdichtet diese horizontalen und vertikalen Linien. Es ist wohl kein Zufall, dass diese Striche an Gewebe und an Stoffliches erinnern. Beschränkt man sich auf die elementarsten Komponenten, wird es zwangsläufig elementar.
Dann wird der Rhythmus wichtig, das Abwägen zwischen Freiheit und Kontrolle. Vielleicht ist das die eigentliche Paradoxie der Ausstellung, je autonomer und selbstreflexiver es wird – und im Selbstverständnis moderner, desto näher sind die Arbeiten alten Kulturtechniken wie dem Weben.
Der erste Raum der Ausstellung legt noch eine andere Fährte. Sie besteht in der wirklich radikalen Formulierung der Linie. So bildet das Entree dieser Schau eine Gegenüberstellung von Fred Sandback und Norbert Kricke. Während Sandback 1972 einen weißen Acrylfaden diagonal übers Eck laufen lässt, verformt Norbert Kricke weiß bemalten Stahl zu einer Linienführung. Das geschieht gerade einmal vier Jahre später und ist zugleich eine intensive Auseinandersetzung mit dem Raum. Innerhalb der Ausstellung bleiben diese beiden Positionen singulär.
Es überwiegt eine Beschäftigung mit dem Material, meist mit dem Papier oder eine Beschäftigung mit der Zeit und dem Prozess. Katharina Hinsberg, deren Arbeiten im Raum 2 gezeigt werden, greift in das Papier ein. Bis auf eine Grafitzeichnung handelt es sich bei ihren Arbeiten um Papierschnitte, sie selbst nennt den Werkkomplex „Ajouré“. „Ajouré meint, was hier zu sehen ist: eine durchbrochene Struktur; doch selbst hier ist das Textile nicht weit in Form des gleichnamigen Lochmusters.
Sowohl Thomas Müller als auch Stephan Baumkötter verankern sich auf bereits bestehenden Arbeiten, indem sie frühere Werke umdrehen und sich an deren Strukturen abarbeiten. Bei der jungen, 1979 geborenen Künstlerin Caroline Kryzecki finden sich andere Normierungen. Sie zeichnet mit Kugelschreiber und daher mit dem üblichen industriellen Farbspektrum.
Mitunter erinnern diese Kompositionen an Felder von Brettspielen, immer wieder kommt es zu Überlappungen und Verschiebungen von Hell und Dunkel. Das ist reizvoll, zumal ihre Arbeiten erstmals im Kunstraum Alexander Bürkle zu sehen sind. Nichts jedenfalls scheint komplexer zu sein als eine Linie zu ziehen.
Annette Hoffmann
Was: Auf der ganzen Linie! Positionen zeitgenössischer Zeichnung
Wann: bis 16. September 2018, Di-Fr+So, 11 bis 17 Uhr.
Wo: Kunstraum Alexander Bürkle, Robert-Bunsen-Str. 5, 79108 Freiburg
Web: www.kunstraum-alexander-buerkle.de