Zwischen staunen und lernen: Das Kunstmuseum Thun zeigt Yee I-Lanns erste europäische Ausstellung „Mansau-Ansau“
In Malaysia sprechen die indigenen Stämme Kadazan und Dusun in Yee I-Lanns Heimat Sabah von Mansau-Ansau, dem Gehen und
In Malaysia sprechen die indigenen Stämme Kadazan und Dusun in Yee I-Lanns Heimat Sabah von Mansau-Ansau, dem Gehen und immer Weitergehen ohne klares Ziel vor Augen. Dabei kann so einiges Neues entstehen. Konnte so absichtslos die Direktorin des Thuner Kunstmuseums ihre Schritte durch die rund 70 Einzelpositionen große Halle an der Art Unlimited während der Art Basel tun? Um schließlich in Basel die in mehreren Kunstformen arbeitende Lee I Lann aus Kota Kinabalu, der Hauptstadt von Sabah, Malaysisch Borneo zu entdecken. Diese beschäftigt sich mit den Themen Macht und Kolonialismus, der ab 1500 von Portugal, den Niederlanden und Großbritannien zum Zwecke des Gewürzhandels die Kontrolle über das Gebiet übernommen hat. Neokolonialismus und Patriarchat herrschten in Südostasien. Malaysia wurde erst 1963 unabhängig. Die 1971 geborene Künstlerin untersucht die Folgen dieser Ausbeutung auf die Gesellschaft von heute und arbeitet dazu intensiv mit indigenen Gruppen zusammen. Ihre Werke befinden sich heute vornehmlich im Kunstmuseum Singapore, dem SAM, das zusammen mit der Direktorin des Hauses Helen Hirsch diese auβergewöhnliche Ausstellung kuratiert hat. Staunen über die Farben in den zuweilen groβformaten Matten kommt auf und das Erfahren von Bewältigungsstrategien der Menschen, die uns im Videofilm „Tikar Reben“ vor Augen geführt werden. In verschiedenen Grundmustern wird Wissen an die folgenden Generationen weitergegeben. Ein über 62 Meter Länge gehender Abstand zwischen dem malaysischen Dorf Omadal Island und dem staatenlosen Wasserdorf der Bajau Sama wird mit Matten gleich einer Wasserbrücke geschlossen. Die Menschen waten dabei durch niedriges Wasser und halten die Matten über ihren Köpfen. Im Video „Oh my Dalling“ (2022), das die Insel Omadal samt Schule für staatenlose Kinder (ISKUL) zeigt, singt die Weberin Noraidah Jabarah von ihren Aktivitäten und Hoffnungen. Darin taucht die Erinnerung an die amerikanische Ballade „Oh, my Darling, Clementine“ von 1884 auf. Schließlich zeigt uns Yee I Lann acht Tänzer, die den „pangkis“ aufführen, einen zeremoniellen Murut Kampfschrei. Dabei geht es um Männlichkeit, Angst und Politik. Alle acht tragen Hauben, an denen Schläuche befestigt sind, die sie miteinander verbinden. Die Kolonisatoren brachten auch den Tisch „Meja“ ins Land, den niemand entbehrt hat, da die Menschen auf einer gewebten Matten saβen und lagen. Auf ihr wurden die Kinder geboren, in ihr der oder die Tote eingerollt. Der Tisch hingegen wurde als starr und voll administrativer Macht empfunden, die eine bestimmte Haltung erzwang. In feministischer Schläue ließ Lann eine Abbildung des Tisches von Frauen und Mädchen der Küstengemeinschaft Baja Sama Dilaut vervielfacht in „Tikars“, den Matten einweben, die angeschwemmte Plastiknetze (Abfall) mit verarbeiteten. Fotografien aus Archiven kombiniert mit eigenen Aufnahmen hat Yee I Lann zu oft märchenhaft anmutenden Kombinationen gestaltet. Wie sonst kommt eine Giraffe, die von einer weiβ gekleideten Frau an der Leine gehalten und einem Mann in schwarzemAnzug betrachtet wird, wohl einem Hochzeitspaar, auf eine kleine Insel? Ruhe strahlt ein in grau gehaltener Pigmentdruck auf Fotopapier aus, der die Suluseeregion abdeckt und einen Hauch von unendlich langem „Horizon“ vermittelt. So kommt zum Staunen das Lernen hinzu. Besucher:innen begeben sich in dieser ersten Ausstellung von Yee I Lann in Europa auf eine spannende Reise.
Yee I-Lann. Mansau-Ansau. Kunstmuseum Thun, Thunerhof am See. Bis 30.11.25
Bild: Das Kunstmuseum Thun zeigt erstmals in Europa eine Ausstellung der Künstlerin Yee I-Lann © David Aebi





