Baden wie Telemachos: Strukturen und Kategorien der Schwimmkultur
Schwimmen und Baden klingt im Zeitalter des Massentourismus wie eine Selbstverständlichkeit. Doch das ist und war vor allem nicht
Schwimmen und Baden klingt im Zeitalter des Massentourismus wie eine Selbstverständlichkeit. Doch das ist und war vor allem nicht immer so. Deshalb müssen auch die Orte des Badens untersucht sein: als gemeinschaftliche Treffpunkte, als Möglichkeiten der individuellen Selbstverwirklichung, als Bühnen für die Präsentation des eigenen Sozialstatus und ebenso der gesellschaftlich mitbestimmten Körperkultur.
Die europäische Antike
Die europäischen Kulturen der Antiken Welt kannten viele Elemente der Bäderkultur schon – unter anderen Vorzeichen. Der kurze Blick zurück soll nicht zu der eher banalen Einschätzung führen: ‚Seht mal, was es alles früher schon gegeben hat‘, sondern vielmehr den Blick schärfen für grundsätzliche kulturhistorische Fragen und Blickwinkel.
Zuerst sind es vor allem Schriftquellen, später kommen bildliche Zeugnisse hinzu. Über Telemachos, Sohn der Penelope und des Odysseus, des Königs von Ithaka, heißt es in dem homerischen Epos „Odyssee“ (um 700 v. Chr.): „Doch den Telemachos badet´ indes Polykaste, die schöne, als die Jüngste des Nestor, Sohnes des Neleus, als sie ihn nun gebadet und eingerieben mit Salböl, warf sie ihm um einen schönen Mantel und einen Leibrock, und aus der Wanne stieg er darauf, den Unsterblichen ähnlich, ging und setzte zu Nestor sich hin, dem Hirten der Völker.“
Offenbar ist damit tatsächlich etwas mehr bezeichnet als die vielfach seit der Antike überlieferte „Fußwaschung“ – ein Brauch, der als eine Art ‚Willkommensgruß der Gastfreundschaft‘ eine anthropologische Konstante darstellt: von der Antike an bis tief ins christliche und jüdische Ritual bis heute. Ein beispielhaft gewähltes Bild einer Amphore attischer Produktion aus dem späten 6. Jahrhundert v. Chr. zeigt Frauen beim Badespaß in der freien Natur: sie ‚posen‘, sie springen vom Podest, sie zeigen sich in der Natur – ob das nur männliche Wunschprojektion ist, bleibt offen.
Schon frühzeitig gab es dann Schwimmteiche, auch das Schwimmenlernen galt im klassischen Athen als notwendiger Bestandteil der Erziehung. Ebenso existieren Indizien für Bäder für Frauen. In der römischen Kaiserzeit differenzierte sich das Bild: Neben Privatbädern, etwa für die Kaiser oder die aristokratische Oberschicht, sind öffentliche Bäder in der Stadt belegt – oftmals bestimmt von der Abfolge Kaltbad, Warmbad, heißes Bad.
Stuttgarter Ausstellung
Vielen dieser kulturhistorisch und soziologisch interessanten Fragen geht derzeit eine sehenswerte Ausstellung im Haus der Geschichte des Landes BaWü nach: Wer darf mit wem gleichzeitig ein Schwimmbad benutzen? Wer wurde wann ausgeschlossen oder diskriminiert? Inwiefern sind entsprechende Schwimmangebote unter der Maxime von Vielfalt und Toleranz auch substanzieller Ausdruck freiheitlich-demokratischer, diverser Gesellschaften? Die Sektionen der Präsentation sind kategorial eindrucksvoll reich bestückt: ein geschichtlicher Durchlauf durch wesentliche Etappen der letzten beiden Jahrhunderte bis in die Gegenwart. Also beginnt das mit den ‚Fürstenbädern‘ in Bad Wildbad und Baden-Baden, jeweils versehen mit natürlichen Mineralquellen und im 19. Jahrhundert mondän ausgebaut und dem internationalen Publikum touristisch offeriert – daneben das „Armenbad“ in Baden-Baden von 1810 für Bedürftige, eine „peinliche Bruchbude“. Ebenso existierten spezielle „Arbeiterbäder“, etwa in Kuchen und Leimen. Eine Wendung entstand mit der Bewegung der „Lebensreform“, verstärkt nach dem Ersten Weltkrieg: gemeinschaftliches Baden, Körperkultur und Nudismus waren nun angesagt – „Familienbäder“ kamen auf, so das Mannheimer Volksbad (1920) „für die gesamte Bevölkerung“: inklusive Dampfbad, Friseursalon, Hundebad, öffentlicher Bibliothek und Wäscherei. Natürlich gab es Protestnoten von Seiten der Konservativen, etwa gegen das gemeinschaftliche Baden in der Donau bei Ulm oder im Neckar bei Tübingen. Die nächste Etappe berührt die Badeverbote vielerorts für Juden unter der NS-Diktatur.

Freiburger Bäder
In dem Zusammenhang darf natürlich auch das „Loretto-Bad“ nicht fehlen: Das Bad im Stadtteil Wiehre geht auf das Jahr 1842 zurück. Das Schwimmbecken mit angeschlossenem Wirtshaus wurde vom nahen Hölderlebach gespeist. 1886 wurde die Frauenabteilung eingerichtet, angesichts großer Nachfrage. In den 1920er- und 1930er-Jahren wurde die Geschlechtertrennung erstmals in Frage gestellt. Eine Nutzerin schrieb in einem Leserbrief an die „Freiburger Zeitung“ vom 14.07.1927: „Männlein und Weiblein sind streng getrennt und in hoch eingeschlossenen Badeanstalten untergebracht (…). Damit wäre meiner Ansicht nach der Prüderie genügend Zugeständnisse gemacht. Aber das reicht der lieben Stadtverwaltung noch nicht. Es ist streng verboten, einen oder gar zwei Achselträger, selbst beim Liegen, zu öffnen, um sich gleichmäßig verbrennen zu lassen (…)“. Der Verleger der „Freiburger Zeitung“, Adolf Poppen, unterstützte die Forderung nach Aufhebung der Geschlechtertrennung in den 1930er-Jahren mit einer Pressekampagne und sammelte Unterschriften dafür. Die katholische Kirche wiederum versuchte, diesen Sittenverfall zu verhindern, allerdings ohne Erfolg. Um 1940 wurde der Herrenbereich des Lorettobades zum „Familienbad“ erklärt, das separate Damenbad blieb jedoch erhalten. Ende der 1960er-Jahre gab es erneut eine Kampagne für dessen Aufhebung, Studentinnen bezeichneten es als diskriminierendes „Ghetto“. Außerdem wurde das Damenbad zur „Oben-ohne-Zone“, wohingegen im Familienbad weiterhin Bedeckungspflicht besteht. Für die Stuttgarter Ausstellung wurde – sinnfällig – die hölzerne Tür zwischen den Geschlechterbereichen temporär demontiert und ausgeliehen. Dass dann einige der Beispiele aus der langen Serie „Damenbad“ der Freiburger Künstlerin Almut Quaas mitausgestellt sind, ist ebenfalls überzeugend.
Das „Strandbad“ aus dem Jahr 1934, das größte und meistbesuchte Freiburger Bad bis heute, liegt nicht nur an prädestiniertem Ort im Osten der Stadt, sondern war zweifelsohne auch eine programmatische Planung seiner Zeit.
Als Fazit wirkt dies: Das Bedürfnis nach Baden und Schwimmen, sei es im privaten oder öffentlichen Raum, ist offenbar eine anthropologische Grundkonstante. Die Rahmenbedingungen dessen variieren im Lauf der Zeiten. Daran Kriterien zu entwickeln für die Beurteilung des Zustands von Staaten und Gesellschaften, ist eine lohnende Aufgabe.
Ausstellung „FREI-Schwimmen“, bis 14.09.25 in Stuttgart: Haus der Geschichte Baden-Württemberg, www.frei-schwimmen.net
Bildnachweis: Frauen baden im Freien, Vasenbild aus Athen (Detail), um 520 v. Chr., Rom, Mus. Villa Giulia. (Quelle: Wikipedia, Creative Commons Lizenz: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Priamos_Painter_-_ABV_331_8ter_-_women_bathing_-_Dionysos_with_satyrs_at_vintage_-_Roma_MNEVG_106463_-_04.jpg?uselang=de ).





