Stadtleben

#1 Schaurige Mythen aus Freiburg: Der Totengräber und das Seufzen der Toten – Ein Mordfall

Der Alte Friedhof im Norden Freiburgs könnte so manch eine schaurige Geschichte erzählen. Bei einem Spaziergang durch das idyllische Grün, werden aufmerksame Beobachter:innen belohnt. Denn am Fuße des Friedhofkreuzes ruht ein steinerner Schädel, durchbohrt von einem Nagel. In einer Hälfte des Schädels sitzt eine Kröte. Sie ist Zeugin eines Mordes vor über 300 Jahren…

Totenstille, oder doch nicht?

Im Jahre 1690* gehört der Alte Friedhof nicht zu den beliebtesten Ausflugszielen der Freiburger:innen. Viele Mythen ranken sich um diesen Ort, der die Seelen der Verstorbenen beheimatet und nicht wenige könnten beschwören, sie hätten nach Anbruch der Dunkelheit Stimmen vom nebelumwobenen Friedhof vernommen. Nur einen stört das nicht: den Totengräber der Stadt. Umhüllt von der Stille, die er selbst so genießt, geht er Tag ein, Tag aus seiner Arbeit nach – eine Arbeit, die in letzter Zeit beschwerlicher wurde und selbst für den alten Mann eine Herausforderung darstellt. Denn einige Gräber sollen umgesiedelt werden, seit Tagen muss er sie exhumieren. Der Gestank nach Fäulnis und Tod brennt in seiner Nase und er würde nicht verleumden, dass auch er so manch ein Flüstern vernommen habe. Ein Flüstern, das mal weint, mal lacht, mal in den Wind säuselt, aber niemals Ruhe gibt.

Das Weinen der Kröte

Die Dämmerung hat bereits eingesetzt, während der Totengräber eines von vielen Gräbern des heutigen Tages aushebt. Die Sonne streichelt ein letztes Mal die kalten Steinduette auf dem Friedhof, bevor sie sich endgültig verabschiedet und die Nacht, die in diesem Herbst besonders kalt, besonders feucht, besonders bedrückend ist, das Zepter übernimmt. Je dunkler der Himmel wird, desto lauter wird das Säuseln, das der Wind in das Ohr des Totengräbers trägt. Während er den Geschichten der Toten lauscht, durchschneidet ein seltsames Geräusch die Nacht. Es hört sich an wie… eine Kröte? Mitten in der Stadt? Auf dem Friedhof? Jenseits vom Fluss oder Bach? Der Totengräber stockt. Langsam dreht er sich um und versucht dem Geräusch der Kröte aus der Ferne zu folgen. Sein Blick fällt auf das Grab des alten Schmiedes, der vor einigen Jahren seine letzte Reise angetreten hat. Vorsichtig, einen Schritt nach dem anderen, geht der Totengräber hinüber zum Grab. Das Geräusch der Kröte wird lauter, das Säuseln der Stimmen erstickt und macht einem Schrei Platz, der die Nacht in Zwei zu teilen scheint. Ja, die Toten haben Geschichten zu erzählen. Manche heroisch und vom Leben durchzogen, andere erzählen die Geschichte ihres Todes.

Er könnte nicht mehr genau sagen warum er es tat, doch mit gezielten Spatenstichen hebt er in dieser Nacht das Grab aus. Das Stöhnen des Schmiedes vermischt sich mit dem Geräusch der Kröte zu einem angsteinflößenden Totengesang… bis die Schaufel auf den Sarg trifft. Mit sicherem Griff öffnet er den Deckel und unterdrückt einen Aufschrei. Da sitzt eine lebendige Kröte, mitten im Schädel des Schmiedes, einige Meter unter der Erde. Doch das ist nicht das Einzige, was den Totengräber einen Schauer über den Rücken jagt. Der Schädel des Schmiedes ist durchbohrt von einem Nagel, so brutal, dass der Totengräber einen Schritt zurückweicht.

Ein Schmied, seine Frau und sein Geselle  

Ohne es zu wissen, hat der Totengräber einen Mordfall entdeckt, der einige Jahre zurückliegt und die Geschichte von Liebe und Verrat erzählt. Der Schmied, der dort beerdigt liegt, verstarb zu seiner Zeit so plötzlich und unerwartet, dass die ganze Stadt darüber sprach. Er hinterließ eine junge Witwe, deren Weinen am Tag der Beerdigung so herzzerreißend war, dass sie vom jungen Gesellen des Schmiedes weggeführt werden musste. Der alte Totengräber erinnert sich noch genau, denn weder Frau noch Geselle sind an diesem Tag zur Beerdigung zurückgekehrt. Stattdessen heirateten sie kurze Zeit später. Der Geselle übernahm die Schmiede und die Stadt war froh, dass die Witwe ihr junges Leben nicht in Einsamkeit verbringen musste. Doch was keiner wusste: In einer dunklen Nacht planten Frau und Geselle den Tod des Schmiedes. Der Geselle durchbohrte mit gekonntem Schlag den Schädel seines Lehrers mit einem stumpfen Eisennagel, den sie später mit dem Haar des Schmiedes gekonnt versteckten, sodass niemand den Mord bemerkte.

Doch nun war es zu spät. Dank des Totengräbers, der den Geschichten der Toten lauschte, konnten Frau und Geselle überführt werden. Es heißt, dass auch noch heute, in so mancher Nacht, eine Kröte auf dem Alten Friedhof zu hören ist und wer genau lauscht, vernimmt auch das leise Seufzen des Schmiedes.

*Fiktive Jahreszahl, da die genauen Daten nicht bekannt sind.

Bildquellen

  • Der Schädel des Schmieds: Foto: Elisabeth Jockers