„Räume, die Kreativität befördern“
Zehn Jahre hat es gedauert, bis die visionäre Idee Wirklichkeit wurde. Jetzt ist das vom Architekturbüro Böwer Eith Murken gebaute Ensemblehaus Freiburg fertig – und wird am 5. Mai 2012 mit einem Tag der Offenen Tür in Betrieb genommen. Die beiden Freiburger Spitzenensembles für Alte bzw. Neue Musik, das Freiburger Barockorchester und das ensemble recherche, haben nun einen gemeinsamen Standort, an dem sie proben, Pläne schmieden, CD-Aufnahmen machen und die gemeinsam veranstaltete Ensemble- Akademie Freiburg durchführen. Martin Fahlenbock, Flötist beim ensemble recherche, FBO-Intendant Hans-Georg Kaiser und Architekt Ludwig Eith erzählen im Gespräch mit Georg Rudiger von den Schwierigkeiten bei der Standortsuche, stimulierenden Räumen und faszinierenden Schattenspielen.
Kultur Joker: Herr Kaiser, wir sind gestern gemeinsam durch das Ensemblehaus Freiburg gegangen, in dem die Handwerker noch eifrig gearbeitet haben. Empfinden Sie im Moment eine große Vorfreude? Sind Sie stolz? Oder erreicht die Spannung jetzt kurz vor der Eröffnung eine Intensität, die kaum zu ertragen ist?
Hans-Georg Kaiser: Wir haben auf unsere Einladungskarte zum Tag der offenen Tür einen Satz geschrieben, der es ziemlich genau trifft: Unser Traum ist wahr geworden. Und ich erwache erst allmählich aus diesem Traum. Die ganze Tragweite des Ensemblehauses werde ich wahrscheinlich erst begreifen können, wenn wir wirklich hier mit dem ensemble recherche unter einem Dach sind. Und sich das erfüllt, was wir uns schon seit über zehn Jahren vorgestellt haben. Dann sehen wir, wie sich zwei Ensembles, die jeweils ein ganz eigenes Profil haben, noch weiter aufeinander zu bewegen und in Beziehung setzen. Dann sehen wir auch, welche weiteren Formen der Kooperation es noch geben könnte – und zwar über die Ensemble-Akademie hinaus, die wir ja schon seit acht Jahren jeden Sommer gemeinsam veranstalten. Kultur Joker: Es hat im Laufe der Planungsphase des Ensemblehauses zahlreiche Schwierigkeiten gegeben, über die wir noch sprechen werden. Hat es noch in der eigentlichen Bauphase größere Probleme gegeben, die überwunden werden mussten?
Ludwig Eith: Die Akustik war ein großes Thema – das ist auch ein sehr teures Unterfangen. Mit dem Akustiker Eckhard Kahle aus Brüssel hatten wir hier einen internationalen Experten zu Rate gezogen. Kultur Joker: Hat das noch zu einer konkreten Veränderung am Gebäude geführt? Eith: Das Volumen des großen Probenraums hat sich über dem Instrumentenlager nochmals vergrößert – auch in der Höhe, um dem FBO in großer Besetzung optimale akustische Bedingungen zu bieten. Kaiser: Das akustische Konzept war nicht von Anfang an fertig, sondern hat sich während der Bauzeit entwickelt. Nun hat jeder Raum, in dem Musik gemacht wird, eine ganz eigene Akustik. Kultur Joker: Sind bei diesen Planungen auch Musiker dabei gewesen? Martin Fahlenbock: Ja. Im Schlagzeugraum haben wir auch den Klang von einzelnen Instrumenten getestet. Die Akustik im Probenraum des ensemble recherche ist wieder ganz anders. Wir haben durch einfache Mittel wie Vorhänge weitere Möglichkeiten, an der Raumakustik etwas zu verändern. Eith: Diese Variabilität war den Musikern sehr wichtig. Nach der Benutzung wird natürlich in jedem Raum noch eine Feinjustierung nötig sein. Es war ja auch beim Konzerthaus so, dass sich der Raum erst einmal einklingen musste. Kaiser: Wir haben uns schon die Auswahl des Akustikers nicht leicht gemacht. Eckhard Kahle ist selbst Musiker. Vielleicht konnte er deshalb so gut auf die Bedürfnisse unserer Musiker eingehen. Kultur Joker: Hat es da von Seiten des ensemble recherche spezielle Wünsche gegeben? Fahlenbock: Wir sind zwar das kleinere Ensemble, aber, was den Schalldruck angeht, bei vielen Stücken das größere. Unser Probenraum ist deutlich kleiner, muss aber mehr Klangvolumen bewältigen. Deshalb ist er stärker schallgedämmt, aber nicht so stark wie der Schlagzeugraum. Kultur Joker: Welche Wünsche hatten Sie noch ans Ensemblehaus? Fahlenbock: Gute Arbeitsbedingungen für den Musikbereich und die Verwaltung. Wichtig war uns die Möglichkeit, auf kürzestem Wege Dinge besprechen zu können – gerade zwischen den Musikern und den Mitarbeitern des Büros. Ich freue mich auch sehr darauf, in eine Probe des Freiburger Barockorchesters hineinzuhören. Kultur Joker: Und die Wünsche des Freiburger Barockorchesters? Kaiser: Der Kernwunsch war, überhaupt mal einen eigenen Probenraum zu haben. Das ensemble recherche hatte ja eigene Räume im früheren Möbelhaus Weber in der Kronenmattenstraße, die sicherlich nicht optimal waren, aber durchaus praktikabel. Solch eine Heimstätte hatten wir ja nie gehabt. Wir mussten uns für teures Geld überall in der Stadt Probenräume anmieten – in Bürgerhäusern, im Theater oder in Gemeindezentren. Da war natürlich die Kommunikation zwischen dem Büro und den Musikern unglaublich schwierig. In Zukunft kann ein Musiker während einer Probe ganz schnell zu uns die Treppe hochkommen, um etwas zu besprechen oder im Archiv Noten zu holen. Außerdem hatten wir nie einen zweiten Probenraum gehabt. Jetzt kann sich mal unser Cembalist zum Üben zurückziehen. Oder die Bläser können eine Registerprobe machen. Eith: Es war für uns ein erklärtes Ziel, Räume zu schaffen, die Kreativität befördern. Helle Räume, großzügige Räume, in denen man sich wohl fühlt. Es gibt viele Plätze, an denen man sich ganz ungezwungen treffen kann – einige Sitzecken, ein großzügiger Flur und ein Treffpunkt im Erdgeschoss. Fahlenbock: Gerade der lichtdurchflutete Flur, der ja die Probenräume von den Büros abtrennt, ist unglaublich schön geworden. Hier wird in den Pausen sehr viel stattfi nden. Hier kann man sich zwanglos unterhalten oder fantasieren über Dinge, die noch weit in der Zukunft liegen. Dieses Haus und die Ensemble- Akademie sind ja auch mal nur eine Fantasie gewesen. Kaiser: Das Ensemblehaus wird kein Ort sein, zu dem man nur zu den Proben kommt und fünf Minuten später schon wieder weg ist, sondern man wird mit den Kollegen vielleicht noch einen Kaffee oder ein Bier am Abend trinken. Wir freien Ensembles verbringen in der Ensemblearbeit ja auch unser Leben. Und da ist es schön, wenn dies an einem anregenden, stimulierenden Ort passiert. Eith: Das ist auch ein Credo unseres Büro. Schlichte Räume, viel Tageslicht. Und daraus eine Atmosphäre erzeugen. Ich denke, es ist auch wichtig, dass die Ensembles nun einen eigenen Ort haben, an dem sie für die Öffentlichkeit auch wahrnehmbar sind. Kaiser: Absolut. Die Leute wissen jetzt, wo sie uns fi nden. Und wir wollen auch, dass das ein transparenter Ort wird, an dem unsere Arbeit sichtbar ist. Wir wollen auch viel stärker in die Jugendarbeit gehen. Wenn man einen eigenen Raum hat, kann man natürlich viel leichter eine Schulklasse einladen. Auf diesem Gebiet haben wir in Zukunft durchaus mehr vor, zumal seit kurzem eine Musikerin als Jugendbeauftragte tätig ist. Kultur Joker: Die Geschichte des Freiburger Ensemblehauses gleicht einer Odyssee. Zuerst hatte man lange Zeit keinen Standort, dann einigte man sich nach vielen Jahren auf den Umbau der St. Elisabeth-Kirche in Zähringen, dann sah man davon wegen der zu erwartenden Kostenexplosion wieder ab, ehe dann die Stadt dieses Grundstück aus dem Hut zauberte. Was war für Sie rückblickend das größte Hindernis, das man überwinden musste? Eith: Der große Tiefpunkt war, als die Entscheidung fiel, dass wir St. Elisabeth aufgeben. Man hatte vorher eine ganze Reihe von Standorten überlegt: Lycée Turenne, Friedrichsbau, Zollhofgebäude. Ich war deshalb nicht sehr hoffnungsvoll, dass die Stadt noch einen attraktiven Standort für uns finden wird. Deshalb waren wir alle natürlich hocherfreut, als wir von dem Grundstück hinter der Stadthalle erfuhren. Die Stadt kam uns dann sehr entgegen, indem der Bebauungsplan geändert wurde und somit aus einem Gelände, das eigentlich gar nicht bebaut werden sollte und als Parkplatz diente, ein Baugrundstück wurde. Kultur Joker: Hätte man nicht früher auf die Idee kommen können und sich den Zwischenschritt mit der Kirche St. Elisabeth sparen können? Kaiser: Ich bin der festen Überzeugung, dass jedes Projekt auch seine eigene Genese hat. Wir brauchten ja auch Zeit, die Finanzierung auf den Weg zu bringen und haben dafür auch 2008 eine große Spendenaktion gestartet. Wir haben bis heute 1,4 Millionen an öffentlichen Geldern gesammelt und ca. 1,6 Millionen Euro an privaten Spendern, Sponsoren und Stiftungen. Jetzt fehlt uns allerdings noch der Betrag von 300.000 Euro. Für das Spendensammeln war es wichtig, einen Ort wie die Kirche St. Elisabeth zu haben. Umso schwieriger war es dann für uns, als wir feststellten, dass wir uns an der Kirche möglicherweise verheben. Die Sanierung des 1960er-Jahre-Betons hätte einfach zuviel Geld verschlungen, das dann für die Gestaltung des Ensemblehauses gefehlt hätte. Deshalb haben wir irgendwann die Notbremse gezogen. Die Ideen für die Kirche konnten wir auf den Neubau übertragen – das war der ganz große Vorteil. Kultur Joker: Ist das Ensemblehaus durch den neuen Standort jetzt nicht nur anders, sondern auch besser geworden? Eith: Die Kirche hatte ihren Reiz durch den hohen Raum, aber wir mussten schon eine Reihe von Kompromissen machen bezüglich der Raumzuschnitte und der Lage. Ein Teil der Probenräume wäre zum Beispiel im Obergeschoss gewesen, was mit zusätzlichen Kosten wie großen Aufzügen verbunden gewesen wäre. Das neue Grundstück hatte aber auch gewisse Zwänge bezüglich Größe und vorhandener Leitungen. Wir mussten ein relativ kompaktes Gebäude entwerfen. Kultur Joker: Ist die Grundfläche kleiner als bei St. Elisabeth? Eith: Ja. Auch das Raumvolumen hat sich verringert – was natürlich auch Heizkosten spart. Wir konnten jetzt wirklich genau für die Bedürfnisse bauen. Kultur Joker: Was hat sich noch verändert im neuen Entwurf? Eith: Beim ersten Entwurf in der St. Elisabeth-Kirche hätten wir die ganzen Büro- und Verwaltungsgebäude außerhalb des Ensemblehauses im ehemaligen Pfarrhaus unterbringen müssen. Die enge Beziehung, die wir jetzt haben, wäre gar nicht möglich gewesen. Auch die Instrumentenanlieferung ist hier viel leichter, weil nun der Transporter direkt ans Gebäude fahren kann. Kultur Joker: Wie ist das aus Sicht der Musiker? Das Haus ist jetzt auch in einem ganz anderen Stadtgebiet, mit großer Nähe zur Musikhochschule und in ein paar Jahren auch zur Musikschule, die ja in die frei werdende Stadthalle einziehen soll. Fahlenbock: Wir sind uns alle einig, dass das gefundene Grundstück in diesem langen Suchprozess wirklich der ideale Standort ist. Das ist schon das Entscheidende an kreativen Prozessen. Heute wirkt es so schlüssig, dort zu bauen – vor zehn Jahren wäre es völlig undenkbar gewesen. Es braucht oft Umwege und Enttäuschungen, um ans Ziel zu gelangen. Der Ort ist nun wirklich genau der richtige – auch für die Stadt. Kultur Joker: Wann ist der Umzug der Ensembles abgeschlossen? Kaiser: Spätestens zur Eröffnung am 5. Mai sind beide Ensembles eingezogen. Kurz zuvor sind wir noch in New York. Anschließend haben wir schon eine CD-Produktion im neuen Haus, Mozart-Klavierkonzerte mit Kristian Bezuidenhout – das wird der erste Härtetest. Der Produzent aus Berlin ist ganz begeistert von dem Haus und seinen Möglichkeiten. Und sieht auch an vielen Dingen wie den schrägen Wänden, dem großen Raumvolumen und anderem, dass die akustischen Voraussetzungen dafür sehr gut sind. Wir können den großen Probenraum mit Elementen, die wir an den Wänden aufhängen, unterschiedlich dämpfen – solch ein mobiles akustisches Konzept gefällt natürlich auch den Tonmeistern. Kultur Joker: Die Schalldämmung ist ja einer der wichtigsten Punkte beim Ensemblehaus. Wenn die nicht funktioniert, dann funktioniert auch das Konzept mit zwei gleichzeitig probenden Ensembles nicht. Gestern haben Sie mir im Haus eine Fuge gezeigt, die nur aus Schallschutzgründen zwischen zwei Räume eingebaut wurde. Eith: Die Schallfugen, wie wir sie nennen, unterbrechen den Beton und damit auch die Übertragung des Körperschalls. Desweiteren haben wir zwischen den Probenräumen andere, untergeordnete Räume platziert wie Instrumentenlager oder Technikräume. Über die Schalldämmung an den Wänden haben wir schon gesprochen. Und bei den Fenstern haben wir die bestmöglichen Schallschutzfenster verwendet, um Außenlärm auszuschließen. Kultur Joker: Die dunkle Fassade des Ensemblehauses hat im Vorfeld ein bisschen für Unruhe gesorgt, weil sich der Bürgerverein Oberwiehre-Waldsee darüber beschwert hatte. Kaiser: Die Irritationen haben sich inzwischen weitgehend gelegt, nachdem wir mit den Mitgliedern des Bürgervereins eine Führung durch das Gebäude gemacht haben. Das Modell war aus einem hellen Holz – deshalb dachten manche, dass auch das Gebäude so hell werden würde. Aber das war nie geplant. Kultur Joker: Und warum wählten sie diesen dunklen Anstrich? Eith: Wir wollten eine hochwertige Fassade machen. Und ein Material haben, das sich nicht verändert. Deshalb haben wir diese kräftige, deckende Farbe verwendet. Und zu dem Grün der Umgebung gibt dieses Schwarz einen schönen Kontrast. Natürlich war es auch wichtig, dass das Gebäude sich neben der viel größeren, weißen Stadthalle behauptet. Unser Gebäude nimmt ja auch Formen der Stadthalle auf und tritt in Dialog. Die schwarze Fassade bietet auch hier einen klaren Kontrast. An der Fassade sind vertikale Leisten angebracht, die in unterschiedlichen Abständen angeordnet sind – hierbei könnte man auch an Taktstriche denken. Wir haben sozusagen das Gebäude selbst zum Klingen gebracht. Fahlenbock: Ich finde die Fassade wunderschön. Und je nach Lichteinfall ergeben diese Leisten auch wirklich ein faszinierendes Schattenspiel. Für mich ist die Farbe auch nicht schwarz, sondern eher silbern. Kaiser: Die auffällige Rundung am Gebäude mussten wir machen, weil darunter eine große Gasleitung verläuft. Sie erinnert mich an einen Instrumentenkorpus und gibt dem Gebäude noch einmal ein ganz eigenes Profil. Kultur Joker: Es wird am 5. Mai einen Tag der offenen Tür geben. Was wird da geboten? Fahlenbock: Das Gebäude steht im Vordergrund – die Freiburger Bürger können es sich in Ruhe anschauen oder sich einer der Architekturführungen anschließen. Zu jeder vollen Stunde wird es in verschiedenen Räumen parallel circa 15-minütige Konzerte von ganz unterschiedlichen Formationen geben. Beide Ensembles werden auch ein spezielles Kinderprojekt anbieten. Beim Freiburger Barockorchester ist es Telemanns „Don Quichote“ mit einer Schauspielerin. Und wir vom ensemble recherche werden Teile unseres Kinderprogramms „Max und Jule“ aufführen. Man kann also als Zuhörer den ganzen Tag bei uns verweilen. Langweilig wird es sicherlich nicht. Kultur Joker: Herr Eith, Herr Fahlenbock und Herr Kaiser, ich bedanke mich für das Gespräch und wünsche Ihnen und dem Ensemblehaus Freiburg alles Gute und viel Erfolg.