„In Flagranti“ oder „auf frischer Tat“
Xenia Hauser im Musée Würth Erstein
Eine verblüffend expressive Dramaturgie menschlicher Figuren wird hier entfaltet; Gesichter und Körper sind hyperpräsent, u.a. durch heftige Blau- und Rottöne. Die Personen scheinen sich in dramatischen Situationen (Sterbebett, Unfall, Umarmungen) zu befinden, strahlen einen psychischen Zustand aus, der den Betrachter ob seiner Rätselhaftigkeit in den Bann schlägt. Körperpositionen und spannungsvolle Blicke wirken brüsk gestoppt, „in flagranti“ erwischt – doch bereits im Begriff, vorbei zu sein.
„In Flagranti“ heißt das Gemälde, dem die Ausstellung ihren Titel verdankt; er spricht Wesentliches an. Dem Betrachter bieten sich intensive Bilder, die an Theaterszenen und Filmausschnitte denken lassen, nur täuschend echter, so dass er sich als Zeuge fühlt – von unbestimmt dramatischen Ereignissen. Xenia Hausner arbeitet methodisch mit solchen Szenen, die sie zum Bild fixiert; sie betreibt eine „Strategie der Piktoralisierung“, die Rainer Metzger im Katalog „Staging a picture“ nennt. Fotografie und Malerei (Öl, Acryl) gehen hier eine ausgefallene Mischung ein, indem fotografische Fragmente malerisch neu interpretiert werden und Fotografie mit den Mitteln der Malerei auf ihren Gehalt an „Geschichten“ und ihre Eigenschaft als Erinnerungsträger untersucht wird.
Seit 1992 widmet sich Xenia Hausner (*1951) ausschließlich der Kunst. Die in Wien geborene Künstlerin lebt teils in Österreich, teils in Berlin, viele Jahre hat sie als Bühnenbildnerin gearbeitet, was ihrem Sinn für die Beziehung von Bild und Stoff, Malerei und Skulptur gewiss zuträglich gewesen sein dürfte. Ein Grundmotiv der 35 großformatigen Werke, die momentan im Musée Würth Erstein gezeigt werden, sind Frauen, darunter Schauspielerinnen. Hausners Bilder handeln von starken Ereignissen („Wem die Stunde schlägt“), Angst („Nine eleven“), tröstenden Umarmungen („Winterreise“). Der Betrachter, mit Einsamkeit, Nähe, Zuneigung oder Gewalt konfrontiert, wird zur Selbstbefragung herausgefordert. Michael Haneke sieht in dem Gemälde „Blind date“ einen „Zweistundenfilm in den Moment gebannt.“
Insgesamt spricht aus diesen Bildern das Vergnügen am Pinselstrich, der Fotografien verfremdet und mit Anleihen, Zitaten und Paraphrasen anderer Maler (etwa Max Ernst, Balthus, Matisse, Lucian Freud) spielt. Denn schließlich sind „Bilder der Gegenwart“ niemals einfach so vorhanden, „in Naivität und Unschuld“; vielmehr gehören sie von vornherein „zu einem Archiv des Visuellen, das man bewusst oder nicht parat hat“ (R. Metzger).
Bei Xenia Hausner erkennt die Malerei ihre Grenzen und überschreitet sie, hin zu einer Kunst, die auf die produktiven Möglichkeiten anderer Medien und Gattungen reflektiert. Ein hervorragender Katalog begleitet die Ausstellung.
Xenia Hausner. Fla-grant délit – In Flagranti. Musée Würth France Erstein. Z.I. ouest / rue Georges Besse, Erstein. Tel. + 33 (0) 3 88 64 74 84. www.musee-wurth.fr. Di-So 11 bis 18 Uhr. Bis 2. September 2012.
Cornelia Frenkel