Zu Besuch bei der Freiburger Straßenzeitung FreieBürger
Es ist ein Montagmorgen als ich vor dem Redaktions-Gebäude stehe. Es ist einer dieser sonnigen Herbsttage im Stühlinger, an denen die Blätter wie durch einen Instagram-Filter erscheinen. Für den Soundeffekt sorgen Rennräder, die die Straße hinab sausen. Der Summer ertönt, im 2. Stock begrüßt mich Ekki freudig an der Tür. Ich stehe in einem schmalen hellen Flur, die Türen links und rechts weit geöffnet. An den Wänden hängen eingerahmte FreieBürger-Ausgaben und vereinzelt Poster. Ich treffe auf Carsten, Ekki, Oliver, Karsten und Harry – scheint wie eine Männer-WG. Voller Stolz zeigt Carsten auf eine Reihe eingerahmter Ausgaben, die das neue Layout tragen. Wir machen einen Flashback. Die Anfänge der Straßenzeitung finden sich um 1998 in der Obdachlosen- und Punkszene. Ein öffentlicher Austausch von Erfahrungen auf dem Arbeits-, Sozialamt und der Umgang mit Wohnungslosen war damals tabu. „Nützt ja nichts, wenn wir uns am Denkmal vor der Uni mit zehn Bier hinhocken und die Birne heiß reden. Wir haben mit der Zeitung bei den Leuten viele Denkweisen verändert.“ Alltagsstruktur und Nebenverdienst für Menschen in schwierigen Lebenslagen, das sei wichtig. „Wir bieten Raum für aktuelle Anliegen. Die Leute schauen bei uns vorbei und tragen Probleme vor“, so Harry. Oliver ergänzt: „zu teure Wohnungen, Wohnungsmangel, wenn nicht wir darüber schreiben, wer sonst?“ Zustimmendes Gemurmel in der Runde. Der Verkaufssprecher Karsten versteht sich als Sozialverein: „Wir haben zwar nicht die fachliche Kompetenz, aber dafür Möglichkeiten.“ Die Straßenzeitung wird auf der Straße von den vielfältigsten Leuten verkauft: „Ich bin davon überzeugt, dass es mehr Menschen in Sozialen Notlagen gibt, die den FreieBürger verkaufen würden. Jeder der in einer sozialen Notlage ist, kann davon Gebrauch machen.“
Alte Wache am Münsterplatz. Ich treffe dort Biggi (61) und Hündin Sarah. Nach Freiburg zog es sie vor 15 Jahren, seit 4 Jahren ist hier ihr Verkaufsspot: „Anfangs hatte ich noch Hemmungen, aber diese habe ich überwunden.“ Biggi hat schon viel durchgemacht. Schmerzliche Trennungen, plötzlicher Jobverlust und seit neuestem: Lendenwirbelbruch. Beim Verkaufen ist Biggis Motto: „Immer freundlich sein, ohne geht‘s nicht. Mal hier ein ‚Guten Appetit‘, mal da ein ‚Guten Morgen‘“, diese Details sind ihr wichtig. Mein zweiter Spot führt mich von der ruhig gelegenen Münsternische zur hektichen KaJo. Vor Fielmann erspähe ich Benjamin (40) mit Schiebermütze im Schneidersitz sitzend auf Decken eingebettet, zusammen mit seinem Hund Keks. „Eimer werde ich auch genannt“, scherzt Benjamin mit einem schelmischen Lächeln. Seine Geschichte beginnt in Mundingen als junger Punker, der mit 18 nach Stress mit den Eltern von zu Hause rausflog. 9 Jahre lebte er in Berlin. „Ich mag diese Ellenbogengesellschaft da nicht“ äußert er nachdenklich. In Freiburg schliefen seine Freundin Nadine und er im Zelt, bevor sie vor 3 Jahren eine Wohnung beziehen konnten. Beim Verkauf ist Keks Gesprächsthema Nummer Eins. Ob das wohl an seiner neonfarbenen Skibrille liegt? Die muss er tragen, weil er eine Augenkrankheit hat. „Viele Kund*innen kommen und erzählen mir, was gerade so bei ihnen schief läuft. Ich höre dann einfach zu.“ So wirkt er auch auf mich. Wie ein aufmerksamer Zuhörer. Was wünschen sich Biggi und Benjamin von ihren Mitmenschen zu Weihnachten? Neben den großen Sorgen auch mal Dinge und die Zeit mit der Familie wertzuschätzen. Benjamin ergänzt: „Und, dass der ein oder andere Obdachlose eine Wohnung findet.“
Bildquellen
- (v.l.n.r.) Oliver, Ekkehard, Karsten, Carsten und Harry sind die Gesichter hinter dem FreieBürger: Foto: M. Paustian
- Biggi und Hündin Sarah: Foto: M. Paustian
- Benjamin und sein Hund Keks: Foto: M. Paustian