Würdigung eines Spätentdeckten
Pierre Bonnard in der Fondation Beyeler in Riehen
Picasso und Bonnard mochten sich nicht. Als „Potpourri der Unentschiedenheit“ soll Picasso die Malerei Bonnards bezeichnet haben. Doch vermutlich schätzte keiner von beiden das Werk des anderen. Und doch haben die beiden Maler Gemeinsamkeiten. In der Wahrnehmung des Kunsthandels und des Ausstellungswesens werden beide gerne auf die Beziehung zwischen Maler und Modell festgelegt. Zugegeben, bei Pierre Bonnard fällt die Variabilität geringer aus. Um Marthe de Méligny, Modell und Geliebte seit 1893 und spätere Ehefrau, ist kein Herumkommen. In Bonnards Atelier sind Bilder von ihr im Garten, im Badezimmer und am Frühstückstisch entstanden. Fast könnte man glauben, es mit zwei Vampiren zu tun zu haben, die sich gegenseitig das Blut aussaugen.
Bonnard hat seinem Modell das Leben abgeschaut und sie konnte dank seines Erfolgs ihre kleine Existenz als Pariser Nähmädchen hinter sich lassen. Das Häusliche und Zurückgezogene, das Private, das in Bonnards Bildern zentrales Motiv ist, wird wenn nicht mit ihrem neurotischen Charakter so doch mit ihrer Lungenerkrankung verbunden.
Bonnard erlaubten diese scheinbar alterslosen Sujets eine Kontinuität der Malerei. Straßenszenen wie er sie Ende der 1890er Jahre in Paris malte – und mit denen die Fondation Beyeler ihren Ausstellungsparcours startet –, wären Ende der 1940er Jahre so nicht mehr möglich gewesen. Zwei Weltkriege mit ihren sozialen Verwerfungen lagen dazwischen. Nicht dass sich in dieser Zeit nichts in Bonnards Malerei getan hätte, doch vergleicht man seine Werke mit denen anderer Künstler, die zur gleichen Zeit arbeiteten, wird verständlich, warum Bonnard als Spätentdeckung gilt. Nach dem Zweiten Weltkrieg wünschte man sich einen radikaleren Einschnitt als ihn der 1867 geborene Bonnard zu bieten hatte.
In der Fondation Beyeler entwirft die von Ulf Küster konzipierte Hängung eine imaginäre Architektur, die nach Innen führt. Auf Bonnards Darstellungen von Paris folgen Gartenlandschaften, dann Interieurs und Akte im Badezimmer. Das bewirkt, dass man Biografie kaum vom Werk trennen kann, doch zu verführerisch ist wohl die Geschichte, die sich damit verbindet. 1906/07 malte Bonnard noch eine Straßenszene am Place Clichy; es herrscht ein buntes Treiben, ein Fuhrwerk ist unterwegs, ein Radfahrer überquert gerade den Platz und im Hintergrund ist ein Bus zu erahnen. Der Vordergrund gehört jedoch den Passanten und die sind weiblich. Während sich links zwei Hunde beschnuppern, rafft eine Frau ihren Rock hoch, um schneller gehen zu können. Die Gebäude, die rechts das Blickfeld säumen, strahlen die Urbanität der Belle Epoque aus. Wie sehr Bonnard anfänglich den Einfluss des japanischen Holzschnittes verinnerlicht hatte – und damit die Ästhetik der Nabis vertrat – zeigt ein anderes Bild. „Deux chiens jouant“ aus dem Jahr 1891 stellt zwei spielende schwarze Hunde dar. Einer von ihnen hat sich mit dem Rücken auf das Gras gelegt und die Läufe nach oben gestreckt, er erscheint genauso flächig wie der zweite Hund der über ihm steht. Geradezu stillgelegt wirken die Figuren auf „La Partie de croquet“, das nur ein Jahr später entstand. Die dekorativen Muster der Kleidung scheinen sich geradezu zu verselbstständigen, keine Falte knickt den Stoff.
Später nimmt die Unruhe in Pierre Bonnards Bildern zu. Vor allem seine Landschafts- und Gartenbilder beginnen zu flirren, die einzelnen Farben sind nicht mehr voneinander abgesetzt, sondern legen sich in dünnen Schichten übereinander. In „Paysage au Cannet“ wirkt die weibliche lesende Figur mit dem Topfhut derart eins mit ihrer Umgebung, dass man sie erst spät bemerkt. Und bei vielen Interieurs schafft Bonnard Bildräume, die unversehens zu kippen drohen und die Wahrnehmung verunsichern. Etwa wenn eine Katze steil nach oben zum Küchentisch schaut, auf dem Hummer und Fisch liegen oder wenn er durch Spiegel das Gefüge der Räume irritiert. Und selbst Bonnards bekannte Frauenakte in der Wanne konservieren den weiblichen Körper kurz bevor er sich im Wasser auflösen kann. Denn vieles scheint hier in Auflösung: Objekte, Ornamente, Dekor und Körper, aber wohl auch der Augenblick. Es macht die Manie der Malerei aus, diesen festzuhalten gegen die Vergänglichkeit. Um dies in Bonnards Werk zu entdecken, brauchte es seine Zeit.
Pierre Bonnard. Fondation Beyeler, Baselstr. 101, Basel-Riehen. Öffnungszeiten: täglich 10-18 Uhr, mi 10-20 Uhr. Bis 13. Mai 2012. A. Hoffmann