Interview

Woodstock auf Badisch

Im Gespräch: Alex Heisler, Gründer des Zeltmusikfestivals Freiburg

Foto: Klaus Polowski/NDR

Wenn man mit Alex Heisler spricht, muss man sich Zeit nehmen. Der in Köndringen lebende Arzt, der in diesem Monat 63 Jahre alt wird, hat viel erlebt – und mit der Gründung des Freiburger Zeltmusikfestivals vor 30 Jahren Stadtgeschichte geschrieben. Georg Rudiger hat ihn in seinem Garten besucht. Ein Gespräch über Chick Corea in der Limousine, Kondome im Eschholzpark und
Mais als Protest.

Kultur Joker: Herr Heisler, das 30. Freiburger Zeltmusikfestival steht in den Startlöchern. Worauf freuen Sie sich? Alex Heisler: Auf viele Begegnungen mit Weggefährten wie in der Galanacht am 8. Juli, angefangen mit Elza Kolodin bis hin zu dem Cellisten Daniel Müller-Schott und dem Sänger Max Mutzke. So eine Galanacht kann die ganzen Ideen zeigen, die wir immer gehabt haben. Dieses Jahr veranstalten wir wieder mehr klassische Konzerte mit vielen jungen Talenten. Auch der Jazz ist nach wie vor fester Bestandteil des Festivals – hier denke ich an Keb’ Mo’ am 6. Juli, Melody Gardot am 12. Juli oder Caro Emerald am 19. Juli, bei der auch ein wenig die angelsächsische Street-Buskers-Tradition eine Rolle spielt. Dass die Straßenkunst bei uns nicht verloren gegangen ist, freut mich sehr. „Les Clochards“ am 7. Juli im Spiegelzelt gehören in die gleiche Tradition wie „Manouches de Paris“, die beim ersten Festival gespielt haben. Kultur Joker: Würden Sie sagen, dass es dieses Jahr ein „normales“ Zeltmusikfestivalprogramm ist? Oder gab es besondere Akzente aufgrund des Jubiläums? Heisler: Ich finde es normal, aber sehr attraktiv. Wir haben bewusst widerstanden, einen Topact wie Seal zu buchen, der zum 25-jährigen Jubiläum gekommen ist. Die 30. Ausgabe ist ja auch kein echtes Jubiläum. Mit Patti Smith haben wir aber schon eine echte Ikone der Rockmusik dabei, und das gleich zum Auftakt am 4. Juli. Kultur Joker: Wenn Sie mit dem Blick von vor 30 Jahren auf das heutige ZMF-Programm schauen – welche Konzerte hätten Sie prinzipiell damals schon machen können? Und welche nicht? Heisler: Ich veranstalte jetzt seit 42 Jahren Konzerte. Und habe immer gut daran getan, Künstler zu verpflichten, die mir selbst gefallen. Die Frage, wie kommerziell erfolgreich die dann sind, ist sekundär – und oftmals ja auch Spekulation. Man muss bei der Programmplanung eher auf den Proporz achten. Janelle Monáe spielte im vergangenen Jahr in einem gemeinsamen Konzert mit Joy Denalane vor einem nur halb gefüllten Zelt. Ihr Auftritt war sensationell. Deshalb haben wir die Sängerin für den 10. Juli nochmals verpflichtet. Bislang läuft der Vorverkauf noch mäßig. Aber sie wird die Beste sein.

Wir werden immer Konzerte haben, bei denen wir erst danach schlauer sind bezüglich der Finanzen und der nicht so leicht berechenbaren Freiburger Seele. Bryan Ferry hier einen Korb zu geben – zwei Jahre zuvor hatte er beim Stimmenfestival in Lörrach dreimal so viele Zuhörer – das beschämt einen ein bisschen. Diese Unberechenbarkeit ist nach wie vor dabei. Aber auch viel Herzblut von unserer Seite. Kultur Joker: Wie teilen Sie überhaupt die Programmplanung unter sich auf, seit Ende 2006 nach der drohenden Insolvenz die Koko & DTK Entertainment beim Zeltmusikfestival eingestiegen ist? Heisler: Der Hauptbooker ist Dieter Bös. Wir kennen uns ja schon lange. Es gibt Programmsitzungen, bei denen auch Pressechef in Brigitte Schömmel, Achim Rau und Koko-Geschäftsführer Marc Oßwald dabei sind. Da sprechen wir uns ab und delegieren die einzelnen Konzerte. Dieter ist durch seine anderen Festivals wie das Southside-Festival nah an der Jugend dran und natürlich ein absoluter Profi im Geschäft. Das ZMF ist nach wie vor eine gute Adresse für besondere Lage und die einmalige Atmosphäre. Viele Künstler hatten hier ihre ersten wichtigen Konzerte, zum Beispiel Xavier Naidoo, Boss Hoss, Clueso und Max Mutzke. Auch Thomas Hengelbrock, der ja im letzten Jahr bei den Bayreuther Festspielen dirigierte und Chef beim NDRSymphonieorchester geworden ist, hatte bei uns im ersten Festival 1983 einen seiner ganz frühen Auftritte als Dirigent, als er den erkrankten Dennis Russell Davies vertrat. Nigel Kennedy haben wir engagiert, als er in Deutschland noch kaum bekannt war. Kultur Joker: Sie machen anlässlich des Jubiläums in diesem Jahr auf dem Festival eine Fotoausstellung mit Ihren eigenen Aufnahmen. Welches Foto ist Ihnen am meisten in Erinnerung geblieben? Und welche Geschichte verbinden Sie damit? Heisler: Martha Argerich, die nicht gekommen ist. Kultur Joker: Beim ersten Festival? Heisler: Ja. Ich bin am Vortag zu ihr nach Genf gefahren, als ich von ihrer Absage erfahren habe – und um Mitternacht leider ohne sie zurückgekehrt. Ihre damalige familiäre und psychische Belastung musste ich akzeptieren. Für die erste Ausgabe unseres neuen Festivals war solch eine Absage aber natürlich Harakiri. Kultur Joker: Und was haben Sie dann gemacht bei dem Konzert? Heisler: Ihr Klavierpartner Nicolas Economou hat in der Nacht die Klavierduo-Stücke für ein Klavier umgeschrieben. Und wurde vom Publikum gefeiert. Kultur Joker: Hat sie später nochmals beim Festival gespielt? Heisler: Ja, vor einigen Jahren. Es gibt ein Schubertstück, das heißt wohl übertragen: Es ist nie zu spät. Und dieses Stück hat sie mir dann gewidmet. Und als sie vor ein paar Wochen in Freiburg beim Gilels-Festival war, hat sie mir auf das erste Plakat von 1983 und den ZMF-Ball von 2006 eine Widmung geschrieben. Kultur Joker: Vielleicht noch ein anderes Foto mit einer positiveren Geschichte. Heisler: Es gibt ein schönes Foto von Vladimir Ashkenazy, der bei einer Probe mit Handschuhen Klavier spielt. Das Festival fand damals im Mai statt – und es war bitterkalt. Wir haben ihm dann eine Bauheizung hingestellt, die natürlich gehörig Lärm machte. Aber der große Klassikstar war nicht beleidigt, sondern kam dann sogar im Folgejahr als Dirigent mit dem Royal Philharmonic Orchestra. Kultur Joker: Welche persönliche Beziehung haben Sie zur Musik? Heisler: In unserer Familie hat die Musik immer schon eine wichtige Rolle gespielt. Ich selbst habe als Kind Querflöte gelernt. Meine Großmutter war Pianistin. Mein Großvater hat vor neunzig Jahren gemeinsam mit Albert Schweitzer eine Konzertreihe aufgebaut. Mein Großvater und mein Vater betrieben Sanatorien – dort war auch immer die Musik elementarer Bestandteil des Patientenalltags. Bei uns wurden auch viele Hauskonzerte gegeben, durch die ich ersten Kontakt zu Künstlern bekam. Uli Koch, der Freiburger Bratschenprofessor, fragte mich dann mal, ob ich für Studenten ein Konzert organisieren würde. So entstand dann Anfang der 1970-er Jahre eine eigene Klassikreihe im Freiburger Audimax. Ab 1975 nahm ich Jazzkonzerte dazu. Kultur Joker: Was war Ihr Motiv? Heisler: Ich habe einfach schon früh erlebt, wie schön und verbindend die Musik sein kann – bis zur Party danach. Nach den Konzerten im Audimax haben wir ganze Kneipen gebucht: den „Bären“, den „Meyerhof“ oder den „Feierling“. Hier haben wir die Abende ausklingen lassen. Und hier entstand auch ein Freundeskreis, der uns unterstützte. Das war die Keimzelle des Zeltmusikfestivals. Sicherlich 20 Prozent der heutigen Mitglieder des Förderkreises sind aus dieser Zeit. Kultur Joker: War es auch ein Ziel, Hemmschwellen abzubauen und ein anderes Publikum für Klassik zu begeistern? Die Albert-Konzerte gab es damals ja auch schon. Heisler: Bei den Albert-Konzerten stand ich immer und habe Handzettel für unsere Konzerte verteilt. „Ach, der Herr Audimax persönlich“, hieß es dann spöttisch. Das war für mich aber das größte Kompliment. Kultur Joker: Und wie haben Sie Chick Corea kennengelernt, der in Ihrer Jazzreihe spielte? Heisler: Ich war im Sommer 1972 neun Wochen in München, weil ich bei den Olympischen Spielen einen Job hatte als Betreuer des IOC-Vizepräsidenten. Mit dem Betreuerausweis von Lord Exeter kam ich dann zu Coreas Konzert. Und bekam Einlass in den Backstagebereich, wo ich auch John McLaughlin traf. Den beiden habe ich dann in meiner Olympia- Limousine München gezeigt. Kultur Joker: Es gibt also Kontinuitätslinien von Ihren Freiburger Klassik- und Jazzkonzerten zum Zeltmusikfestival. Heisler: Auf jeden Fall. Beim ZMF kam dann noch die Art von Straßentheater dazu, die ich beim Edinburgh-Festival kennengelernt hatte: Kleinkunst, Kabarett, Varieté. Kultur Joker: Das erste Festival 1983 hatte zwei verschiedene Standorte – den alten Messplatz und den Platz vor dem Theater. Heisler: Ich wollte das Spiegelzelt nicht auf den großen Messplatz stellen, sondern mitten in die Stadt – wegen der Atmosphäre. Das erste Festival war ein echter Kraftakt. Und bedeutete auch für mich persönlich einen großen f inanziellen Verlust. Rund 30 000 DM hatte ich in den Sand gesetzt, die ich wieder durch Nachtwachen in der Schweiz verdienen musste. Kultur Joker: Stand das Festival auf der Kippe? Heisler: Ja, zumal es viele Beschwerden der Anwohner gab. Viele vom Organisationsteam bekamen kalte Füße. Über den Freundeskreis meiner Frau Antje, die ich beim ersten Festival kennengelernt hatte, entstand eine neue Unterstützergruppe. Ich denke hier unter anderem an Bettina Schuler, Dietmar Kargoll, Rita Summ und Stefan Schönfeld – ganz wichtige Persönlichkeiten der ersten Festivaljahre. Wir brauchten nicht nur Geld, sondern auch einen neuen Standort. Glücklicherweise war Oberbürgermeister Rolf Böhme, der neu im Amt war, dem Festival gegenüber sehr aufgeschlossen. Er wollte die Stadtteile im Westen kulturell beleben. Wir haben viele Plätze angeschaut. Und kamen dann auf den Eschholzpark im Stühlinger. Kultur Joker: Da wohnen aber auch Menschen in der Nähe. Heisler: Wir wollten möglichst stadtnah sein. Wegen der Sperrstunde konnten wir aber am späten Abend keine Konzerte mehr machen. Kultur Joker: Hatte es da auch Beschwerden gegeben von Anwohnern? Heisler: Interessanterweise von Anwohnern des Messplatzes. Kultur Joker: Aha. Heisler: Das kann man wirklich kaum glauben. Diese Leute hatten in der Zeitung gelesen, dass das Zeltmusikfestival wieder stattfindet – und sich dann gleich mal beschwert. Die absurdeste Geschichte war dann, dass der Gemeinderat eine Platzbegehung machte und Kondome fand. Kultur Joker: Sex and Rock ’n’ Roll. Heisler: Diese Angst um die Moral der Jugend wurde dann zum Glück von Böhme eher belächelt. Kultur Joker: Und im dritten Jahr sind Sie dann weitergezogen auf das Mundenhofgelände. Heisler: Dort war natürlich die große Schwierigkeit, dass wir die gesamte Infrastruktur erst schaffen mussten. Unser heutiger Platzchef Dieter Pfaff war damals schon dabei. Er hatte viele Beziehungen – und fand immer irgendwelche Unternehmer, die uns mal ein paar Ladungen Kies kostenlos vorbeigebracht haben oder halfen, die Stromleitungen zu legen. Aber auch da hat es noch Widerstand gegeben. Der Leiter des Mundenhofs wollte uns partout nicht haben. Und hat deshalb auf dem Festivalgelände Mais gepflanzt. Als wir dort aufbauen wollten, mussten wir das erst einmal herrichten. Kultur Joker: In den ersten Jahren des ZMFs bestand das Programm hauptsächlich aus Klassik- und Jazzkonzerten und Varieté. Rockoder Popbands gab es fast keine. Heisler: Der Jazz hatte damals noch eine viel größere Ausstrahlung. Die meisten Festivals waren Jazzfestivals: Münster, Burghausen, Montreux. In die richtige populäre Musik wollten wir nicht gehen. Die großen Rockbands waren für uns noch nicht erschwinglich. Wir hatten ja kleinere Zelte als heute. Unser großes Zelt mit 1200 Besuchern war einfach zu wenig attraktiv für eine Agentur wie Fritz Rau. Da konnte er nichts verdienen. Kultur Joker: Meiner Erfahrung nach sind reine Klassikkonzerte im Zirkuszelt schlecht aufgehoben. Die Akustik ist einfach zu trocken, die Unruhe im Publikum zu groß, die Temperatur oft zu hoch. Ich erinnere mich an ein Konzert des Klarinettisten Dimitri Ashkenazy, der bei den ganz leisen, zerbrechlichen Stücken op. 5 von Alban Berg gegen das Rauschen von Ventilatoren anspielen musste. Heisler: Die Frage ist schon berechtigt. Im kleinen Spiegelzelt ist die Klassik nach wie vor gut aufgehoben. Im großen Zirkuszelt müssen wir so ein Konzert wie die Gala gut timen und beispielsweise darauf achten, dass keine parallelen Gigs stattfinden. Aber mit dem Generalmusikdirektor Fabrice Bollon hat das Philharmonische Orchester Freiburg einen wunderbaren Dirigenten, der sehr aufgeschlossen ist und neues Publikum gewinnen möchte. Die jährlichen philharmonischen ZMF-Galas mit Topsolisten aus verschiedenen Sparten begeistern immer wieder das Publikum. Kultur Joker: 2006 stand das ZMF mit einem Verlust von 300.000 Euro vor der Insolvenz. Wegen der Fußballweltmeisterschaft hatte man deutlich weniger Publikum als in den ohnehin immer knapp kalkulierten Vorgängerjahren. Was hat sich verändert, seit Koko dabei ist? Heisler: Ich bin sehr froh, dass mit dieser großen Agentur mehr ökonomische Professionalität eingezogen ist. Außerdem unterstützt Koko unsere Gesellschaft finanziell und beherbergt unser ZMF-Büro. Auch der Aufbau, die Platzgestaltung und die Gastronomie wurden weiterentwickelt. Ich selbst brauche mich nicht mehr um alles kümmern. Und kann trotzdem mit meinen Gesellschaftern weiter mitgestalten. Die ZMF-GmbH ist gemeinnützig organisiert und darf keine Gewinne machen. Und in Marc Oßwald haben wird den idealen Geschäftsführer. Kultur Joker: Es sind jetzt nur noch wenige Wochen bis zum Start des Festivals. Nochmals die erste Frage – auf was freuen Sie sich? Heisler: Ich freue mich darauf, wie immer gemeinsam mit meiner Familie auf dem Festivalgelände zu wohnen. Ich freue mich auf viele tolle Konzerte und die ZMF-Preisträger, aber auch auf die DJ-Nächte und die Mitarbeiterpartys nach den Konzerten. Elvis Costello sagte einmal – das Zeltmusikfestival ist Woodstock auf Badisch. Kultur Joker: Herr Heisler, vielen Dank für das Gespräch und Alles Gute für die 30. Ausgabe des Festivals.

Ein Gedanke zu „Woodstock auf Badisch

  • Hi, toller Artikel! Bitte mehr Artikel dieser Art. Viele Grüße

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