Wo Menschen im Mittelpunkt stehen
Mit Geldanlagen Armut bekämpfen und das in einem der ärmsten Länder Europas. Wie das geht, davon wollte sich Helmut Götz (69) ein Bild machen. Der Finanzexperte, der sich seit vielen Jahren ehrenamtlich bei der Ökumenischen Entwicklungsgenossenschaft Oikocredit engagiert, war anlässlich des UN-Jahres der Genossenschaften auf Studienreise in Bulgarien und hat dort Agrargenossenschaften besucht.
Doch gehen wir zunächst ein paar Schritte zurück in die Vergangenheit, als in den 70er Jahren die Idee für eine soziale Geldanlagemöglichkeit geboren wurde.
Am Anfang stand die Frage: Was machen die Kirchen mit ihren enormen Rücklagen? Bei welchen Banken liegt das Geld? Was wird damit finanziert? Die Fragestellung mündete in die Gründung der Genossenschaft Oikocredit. Hier legen inzwischen 45.000 Privatpersonen und Institutionen über 500 Millionen Euro an. Damit werden faire Darlehen an Mikrofinanzinstitutionen und Genossenschaften in 70 armen Ländern vergeben. Mit Erfolg! Denn neben der hohen Sicherheit und einer verlässlichen jährlichen Dividende von zwei Prozent, wird vor allem eine hohe soziale Rendite angestrebt: die Schaffung von Perspektiven, Einkommen und Arbeit.
Schwieriger Anfang:
veraltete Traktoren und
zersplittertes Land
Dass dieses Ziel erreicht werden kann, das hat Helmut Götz jetzt in Bulgarien erlebt. Für die Agrargenossenschaft KLAS 2002 war der Neuanfang nach Ende des Kommunismus extrem schwierig: Völlig veraltete Traktoren, ein kleinparzelliertes Land und kein Geld für dringend benötigte Investitionen. KLAS-Geschäftsführerin Mariyna Dzkendovo: „Wir konnten den Banken nicht genügend Sicherheiten bieten. Zudem arbeiten die hiesigen Banken viel zu langsam.“ Anders Oikocredit. 2005 gewährte sie KLAS einen ersten Kredit über 155.000 Euro. Damit wurden moderne Maschinen wie ein Mähdrescher angeschafft und das Betriebskapital für fünf Jahre gesichert. Der Kredit ist mittlerweile voll getilgt. Zwei weitere Darlehen folgten im Jahr 2010. Die Agrargenossenschaft steht wirtschaftlich gut da.
Sechs statt zwei Wochen Urlaub.
Das ist auch enorm wichtig. Im 400-Seelen-Dorf Bedvoditza an der Schwarzmeerküste, einer strukturschwachen Gegend, wo die Arbeitslosenrate bis zu 70% beträgt und junge Menschen in die Städte ziehen, ist KLAS der einzige Arbeitgeber – mit bemerkenswerten Arbeitsbedingungen! Die Gehälter liegen deutlich über dem nationalen Durchschnittsmonatslohn von 350 Euro. Sind in dieser Region sonst nur ein bis zwei Wochen Jahresurlaub üblich, gewährt KLAS sechs Wochen. Zudem werden medizinische Versorgung und eine Sozialversicherung sichergestellt.
Soziales Sicherheitsnetz
„Genossenschaft“
Den Boden hat KLAS von mehr als 400 Landeigentümern gepachtet. „Ohne den Pachtzins könnte ich nicht überleben“, sagt die 72-jährige Landbesitzerin Mariyka Kostova. Sie lebt mit ihrem Mann in einem bescheidenen Häuschen mit Garten. Ihre vier Kinder sind alle weggezogen. Ihre Pension beträgt gerade einmal 130 Leva (65 Euro) im Monat. Aber sie besitzt einen Hektar Land, den sie an die Genossenschaft verpachtet hat.
Das brachte ihr im letzten Jahr 350 Euro ein. Viele andere Landbesitzer sind genau in der gleichen Lage wie sie. Derzeit leben in Bulgarien über zwei Millionen Rentner, mehr als die Hälfte davon in Armut. Ein zusätzliches Einkommen wie die Pachteinnahmen sind deshalb existenzsichernd.
Doch die Genossenschaft übernimmt auch Verantwortung für Menschen, die weder Angestellte noch Mitglieder sind. Sie unterstützt kommunale Entwicklung und den Ausbau von Infrastruktur. So werden Kindergärten, Kirchen und Chöre mitfinanziert, im Winter werden Straßen geräumt und Brennholz geliefert.
Parallelen zum
Ur-Genossenschaftsmodell
150 Jahre nach Raiffeisens ersten Genossenschaftsgründungen in Mitteleuropa entstehen im postkommunistischen Bulgarien aus der gleichen Motivation Genossenschaften. Es sind Not und Armut, die zum Handeln zwingen. Der Wille, gemeinsam stark zu sein. So bündeln Menschen ihre wenigen Hektar Landbesitz, um große Felder gemeinschaftlich bewirtschaftet zu können.
Seit 2007 ist Bulgarien EU-Mitglied – und dessen wirtschaftliches Schlusslicht. Die sozialistische Vergangenheit hat ein heruntergewirtschaftetes Land hinterlassen. Armut, Pferdekarren, gebückte alte Menschen, die auf kleinen Grundstücken Subsistenzwirtschaft betreiben.
Aber der Ur-Genossenschaftsgedanke „Der Gewinn des Dorfes dem Dorfe“ leistet hier Großartiges – schafft Einkommen, sichert Existenzen und stärkt das Gemeinwohl. Helmut Götz freut sich, dass seine Geldanlage bei Oikocredit weltweit rund 300 Genossenschaften unterstützt – darunter auch die bulgarische Agrargenossenschaft KLAS.
Infos: www.oikocredit.org
Bildquellen
- 13-Klas-2002-Helmut-Götz-im-Gespräch-mit-Landbesitzerin-Mariyka-Kostova: Helmut Götz im Gespräch mit Landbesitzerin Mariyka Kostova