Wo ist der Platz des Menschen in der Natur? Die Hamburger Kunsthalle zeigt die Ausstellung „Caspar David Friedrich. Kunst für eine neue Zeit“
Wie beliebt Caspar David Friedrich, der am 5. September 1774 in Greifswald geboren wurde, 250 Jahre nach seiner Geburt immer noch ist, belegt die Ausstellung „Caspar David Friedrich. Kunst für eine neue Zeit“ in der Hamburger Kunsthalle. Mehr als 100 000 Besucher haben die umfangreiche Retrospektive mit über 60 Gemälden, rund 100 Zeichnungen sowie Arbeiten von Künstlerfreunden wie Carl Blechen, Johan Christian Dahl oder August Heinrich bereits gesehen. Selbst in den Abendstunden schieben sich noch Menschenmassen durch die Räume, um einen Blick auf weltbekannte Meisterwerke wie „Kreidefelsen auf Rügen“ oder „Der Mönch am Meer“ zu erhaschen. Auch wenn das Gedränge ziemlich anstrengend ist: Spätestens, wenn man vor „Das Eismeer“ (1823/24) steht, weiß man, warum man trotz der vielen Leute nicht kapituliert hat. Weil Caspar David Friedrich die Übermacht der Natur einfach eindrucksvoll darzustellen wusste. In seiner arktischen Landschaft hat er die Größe der sich auftürmenden Eisschollen ins Monumentale gesteigert, sie haben ein gekentertes Segelschiff unter sich begraben. Dieses Bild ist umso bemerkenswerter, wenn man bedenkt, dass sein Maler nie das ewige Eis besucht hat.
Ebenso entsprang „Der Watzmann“ (1824/25) weitestgehend der Vorstellungskraft des Künstlers. Er hat diesen Berg kein einziges Mal in natura gesehen, kannte aber Ludwig Richters Bild „Der Watzmann“ und stützte sich zudem auf Aquarellstudien seines eigenen Schülers Johann August Heinrich. Unabhängig davon gilt dieses Werk als die wohl bedeutendste Hochgebirgslandschaft der Romantik. Allein dieses Gemälde liefert den Beweis dafür, dass Caspar David Friedrich mit der traditionellen Landschaftsmalerei des Barocks und Klassizismus gebrochen hat. Sein zentrales Thema wurde das Verhältnis von Mensch und Natur. Immer wieder hat er sich mit Einsamkeit, Tod oder der Hoffnung auf Erlösung beschäftigt. Natürlich auch in jenem Werk, das Kunsthistoriker zum Schlüsselwerk der Romantik erklärt haben: „Der Wanderer über dem Nebelmeer“ von 1818. Es zeigt einen dunkel gekleideten Mann von hinten. Er steht auf einem Gipfel und schaut in die Ferne. Er scheint, so heißt es oft, am Ziel seines Lebens zu sein. Vielleicht hat er eine gewisse Todesahnung. Er weiß wohl: Auf das Diesseits folgt das Jenseits.
Ein weiterer Höhepunkt: „Kreidefelsen auf Rügen“. Dieses Gemälde entstand 1818, in jenem Jahr hatte Caspar David Friedrich mit seiner Frau seine Hochzeitsreise nach Rügen gemacht. Man sieht eine Steilküste am Meer, davor tauchen drei Personen auf. Ganz links sitzt eine Frau im roten Kleid im Gras, sie deutet auf die Felsen. In der Mitte kriecht ein Mann über den Boden, ängstlich blickt er in den Abgrund. Auf der rechten Seite steht ein weiterer Mann, der in die Ferne schaut. Er genießt offensichtlich den Weitblick, während die anderen Personen den Sog der Tiefe zu spüren scheinen.Diese drei Menschen sieht man von hinten, solche Rückenfiguren fanden in der Antike erstmals Eingang in die Kunstwelt. Der Betrachter soll ihre Perspektive übernehmen, damit er den gleichen Blickwinkel hat. Auf diese Weise erzeugt Caspar David Friedrich einen kontemplativen Moment. Er lässt viel Spielraum für die Deutung seiner Werke. Man fragt sich: Wer sind diese Charaktere auf den Bildern? Warum halten sie Zwiesprache mit der Natur? Im Grunde genommen ist die Identität dieser Leute aber völlig unwichtig, sie sind vor allem Staffage in einer Landschaft.
Gerade dieses Gemälde hat immer wieder andere Künstler zu eigenen Arbeiten inspiriert. Zum Beispiel Kehinde Wiley. In „The Prelude“ drehen sich seine Figuren kurzerhand um. Die Schwarzen wenden den Besuchern ihre Gesichter zu. Dieses Werk hängt im zweiten Stock der Hamburger Kunsthalle neben den Exponaten von 20 weiteren zeitgenössischen Künstlern, die sich ebenfalls mehr oder weniger direkt mit Caspar David Friedrich beschäftigt haben. Der Japaner Hiryuki Masuyama schuf 2007 die Fotomontage „Das Eismeer“ aus 780 Einzelbildern. Ob Ulrike Rosenbach oder Olafur Eliasson, besonders fasziniert moderne Künstler Caspar David Friedrichs Kernthema: die Beziehung des Menschen zu seiner Umwelt. Ein Sujet, das unsere Gesellschaft heute vielleicht mehr denn je interessiert. Gerade der Klimawandel verleiht Caspar David Friedrichs Kunst aus der Romantik in der Gegenwart wieder eine ungeheure Aktualität.
„Caspar David Friedrich. Kunst für eine neue Zeit“ lädt aber nicht bloß zum Schauen ein, in einem der Räume kann jeder selbst aktiv werden. Kästen, in die man seine Hand stecken kann, ermuntern die Gäste zum Fühlen und Tasten. Die Finger gleiten über Tannenzweige oder raue Steine. Düfte lassen sich erschnuppern. Auf Tablets können eigene Bilder gezeichnet werden. An einer Wand wird man mit Fragen konfrontiert, etwa: Wo siehst du den Platz des Menschen in der Natur?
Die Ausstellung in der Hamburger Kunsthalle macht den Auftakt zum Caspar-David-Friedrich-Festival. Die Alte Nationalgalerie in Berlin und die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden ehren den Künstler ebenfalls mit eigenständigen Schauen. In der Hauptstadt öffnet die Ausstellung „Caspar David Friedrich. Unendliche Landschaften“ vom 19. April bis 4. August die Türen. In Sachsen heißt es vom 25. August bis 5. Januar 2025 „Caspar David Friedrich. Wo alles begann“. Kein Wunder: Die Kunsthalle, die Alte Nationalgalerie und die Staatlichen Kunstsammlungen verfügen über die bedeutendsten Bestände an Caspar-David-Friedrich-Werken weltweit. Weil einige Gemälde zu fragil sind, um sie zu transportieren, und manche Zeichnungen wegen ihrer Lichtempfindlichkeit nicht länger in irgendwelchen Räumlichkeiten präsentiert werden können, wurde die Website eingerichtet. Online kann man rund 250 Arbeiten erleben. Das Portal bietet verschiedene Formate. Die Chronik lohnt sich für diejenigen, die sich einfach einen Überblick verschaffen wollen. Die Shortcuts analysieren Caspar David Friedrichs Themen aus heutiger Sicht. In den Digital Stories können die User tief in einzelne Werke einsteigen. So kann man den Romantiker neu entdecken oder aber sein Wissen vertiefen.
„Caspar David Friedrich. Kunst für eine neue Zeit“. Hamburger Kunsthalle. Bis 01.04.2024.
Bildquellen
- Caspar David Friedrich: Wanderer über dem Nebelmeer, um 1817, Öl auf Leinwand, 94,8 x 74,8 cm. Dauerleihgabe der Stiftung Hamburger Kunstsammlungen © SHK / Hamburger Kunsthalle / bpk: Foto: Elke Walford
- Caspar David Friedrich: Kreidefelsen auf Rügen, 1818, Öl auf Leinwand, 90 x 70 cm. Kunst Museum Winterthur, Stiftung Oskar Reinhart: © Foto: SIK-ISEA, Zürich / Philipp Hitz
- Caspar David Friedrich: Der Watzmann, 1824/25, Öl auf Leinwand, 135 x 170 cm. Staatliche Museen zu Berlin, Alte Nationalgalerie: © bpk / Nationalgalerie,SMB, Leihgabe der DekaBank / Andreas Kilger