Wie wollen wir enden? Die Senioren-Theatergruppe Die Methusalems feierten Premiere im Theater Freiburg
Acht Stühle stehen sich in zwei Reihen gegenüber, darauf die Spielerinnen und Spieler der Senioren-Theatergruppe „Die Methusalems“ in blassgelben Heim-Kitteln. Dazwischen jongliert Gastschauspielerin Veronika Bendiks als Altenpflegerin Laura einen Handtuchstapel über die aseptisch-weiße, hell ausgeleuchtete Kammerbühne des Freiburger Theaters (Ausstattung: Isabell Pollmann). Dann aus dem Off der Tagesschau-Gong und eine Meldung über Burnout-Statistiken bei Pflegekräften. „Erste Wahl – einen Zukunftsroman“ nennt die Freiburger Autorin Kathrin Pläcking ihr 2011 erschienenes Buch, dessen Uraufführung hier in Form einer szenischen Lesung auf die Bühne kommt: Mit wenigen Ton- und Video-Einspielungen, vor allem mit ganz unterschiedlichen Erzählerstimmen und deren Perspektiven, Haltungen und Entwicklungen. (Regie: Sahar Amini-Jörger und Frank Albrecht).
Ein heftiger Stoff – verarbeitete Pläcking doch ihre Erfahrungen und Befürchtungen als Altenpflegerin in einem fiktiven Schreckens-Szenario und verortet ihre Geschichte der an Alzheimer erkrankten Susanne und deren vier Geschwister in einem nahen Morgen: Immer mehr alte Menschen, darunter 5 Millionen Pflegebedürftige, Tendenz steigend. Jede zweite Gemeinde bankrott, die Pflegekassen leer. Die in kürzester Zeit an die Regierung gekommene Partei „Der Fortschritt“ hat dafür eine Lösung: Das Gemeinwesen kauft sich frei – mit 150 000 Euro für jede und jeden über 75 Jahren, bei Verzicht auf alle weiteren Forderungen. Ist das Geld aufgebraucht, liegt im Bürgeramt das Pulver zur Selbsttötung zur Abholung bereit. Staatlich verordnete Sterbehilfe ganz ohne Rezept. „What a Wonderful World“ singt Louis Armstrong aus dem Off…
Die ethischen und gesellschaftlichen Aspekte dieses Gesetzes werden auf der Kammerbühne lediglich angerissen: Entsolidarisierung, der Druck auf Betroffene und Angehörige, das Recht der Reichen auf ein langes Leben, die Fragen um Menschenbild, Würde und ein lebenswertes Leben im Schatten des Euthanasie-Horrors des Dritten Reichs – all das überträgt Kathrin Pläcking im Rahmen ihrer politischen Dystopie auf ein komplexes Familiensystem – was in der Inszenierung dann doch stark verkürzt und damit ziemlich blass bleibt. Der Fokus liegt hier ganz auf den Geschwister-Dynamiken: Denn Susannes Erkrankung (Gisela Braun) verändert alles und fordert weitreichende persönliche Entscheidungen: Wer also will das Geld und Susanne sterben lassen? Wer hat Kapazitäten sie durch ihre Krankheit bis zum Ende zu begleiten? Für wen ist ihr Leben noch lebenswert? Wann endet ihr Recht auf Selbstbestimmung und wer hat darüber die Deutungshoheit? Und dann ist da auch noch die alleinerziehende Laura, die als Privatpflege für die demente Susanne eingestellt wird und mit ihrer „Hochachtung vor dem Leben und dem Tod“ mitmischt…
Gespielt und gelesen werden Szenen aus Susannes Leben: Geburtstagsfeiern im engsten Familienkreis, kleine Freuden, zunehmende Verwirrung und Hilflosigkeit, ihr folgenschwerer Unfall im Zoo – mit wechselnden Erzählerstimmen und vielen Dialogen von Herbert Pielmaier, Ricarda d´Heureuse-Harosky, Heide Cerny, Barbara Motz, Jochen Loh und Hennes Haller zum Leben erweckt. Vor allem die Kloszene ist da sehr berührend und lebensnah… Wie wollen wir also enden? Im Anschluss an die Vorstellung steht die Autorin für Diskussionen bereit, leider hat das betagte Publikum da aufgrund fehlender Rückenlehnen keine Sitzkapazitäten mehr. Eine Inszenierung der Methusalems in die Kammerbühne zu verlegen ist so wenig barrierefrei, wie das mit winzig-enger Schrift prall gefüllte Programmheft.
Weitere Termine: 17./19.12., 3./4.1, je 20 Uhr. Am 22.12. 19 Uhr.
Bildquellen
- Barbara Motz, Ricarda d‘Heureuse-Harosky, Jochen Loh, Herbert Pielmaier, Veronika Bendiks, Gisela Braun: Foto: Britt Schilling