KolumneMixtape

Wie „fotzig“ darf’s sein?

Aufwändig designte Nägel, kurze Röcke, lange Haare, pinke Kleider: Hyperfemininity, schon mal davon gehört? Es ist eine Debatte, so alt wie das Christentum selbst. Wie darf Frau sich kleiden? Dass diese Frage nicht nur in Incel Foren diskutiert wird, sondern Teil des feministischen Diskurses geworden ist, zeigt, welchen Stellenwert Mode in unserer Gesellschaft einnimmt. Sie kann Ausdruck des Widerstands und Werkzeug der Befreiung sein, sie kann instrumentalisiert werden und sie kann (ja, das geht auch) Widerstand ausdrücken wollen und dabei alte, längst als überwunden verstandene Muster Stein für Stein wieder aufbauen.
Modetrends drehen sich also längst nicht mehr nur um die Kleidung, die wir tragen. Alle Jahre wieder ändern sich Schönheitsideale und Körper sollen sich doch bitte einfach daran anpassen. Gesagt, getan. Wer nun denkt, das Korsett sei die Spitze dessen gewesen, was man Frauen und ihren Organen antun kann, der irrt sich. Die vergangenen zehn Jahre dominierte Kim Kardashian mit ihren ausgeprägten, künstlich geformten Kurven das Körperideal einer gesamten (Social Media)Generation. Das sollte so weit führen, dass zwischen 2015 und 2019 die Anzahl der Brazilian Butt Lifts um 66 Prozent anstieg – nach Schätzungen der Internationalen Gesellschaft für Ästhetische Chirurgie unterziehen sich jedes Jahr etwa 335.000 Frauen dieser Operation, die nicht nur gesundheitlich absolut nicht notwendig ist, sie zählt zudem zu den gefährlichsten Schönheitsoperationen mit der höchsten Sterberate (1:3400). So kann das Streben nach Kim Kardashians Hintern wortwörtlich zum Tod führen – ein Absurdum der modernen Gesellschaft, die es, trotz einer über 100-jährigen Frauenbewegung, weiß, wie man weibliche Schönheitsideale so sehr auf die Spitze treiben kann, dass am Ende junge Frauen sterben. Nicht, weil sie krank waren, sondern die Gesellschaft und das System dahinter.
Wer denkt, Frau könnte heute selbst über ihren Körper entscheiden (auch jenseits von Abtreibungsdebatten), irrt sich. Warum? Naja, mit uns lässt sich verdammt viel Geld verdienen. Das weiß die Wirtschaft und das wissen Influencer:innen, die so tun, als wären sie mit ihren Followern befreundet, nur um sie im nächsten Reel mit zur Schönheitsop in die Türkei zu nehmen. Selbstverständlich gesponsert von der Klinik. Am Ende gibt‘s für die glücklichen Follower dann noch einen Rabattcode, das lohnt sich doch dann richtig, oder? 10 Prozent auf meine mentale und körperliche Gesundheit? Ist gebongt. Ohne vernünftige Nachsorge? Perfekt, je schneller, desto besser. Frauen sind letztendlich nichts anderes als die Projektionsfläche eines turbokapitalistischen Wirtschaftssystems, das nicht nach Sinn oder Nachhaltigkeit handelt, sondern ausschließlich nach Profit. 578,5 Milliarden Euro, so hoch waren die Umsätze des Kosmetikmarktes – und das allein 2023. Der Bekleidungsmarkt toppt das noch: 1,66 Billionen Euro, mit rund 850 Milliarden Euro wurde der meiste Umsatz mit Damenbekleidung erwirtschaftet. Tendenz steigend. Mit Folgen, die einige so gar nicht auf dem Schirm haben. 2023 ging die Gesamtzahl der verschuldeten Bürger:innen in Deutschland zwar zurück, stieg aber rapide in einer bestimmten Altersgruppe. Menschen zwischen 18 und 30 Jahren verschulden sich zunehmend. Expert:innen nennen dazu vor allem einen Grund: den klassischen Ratenkauf, der im E-Commerce im Trend liegt. Jetzt kaufen, später bezahlen. „Die Anzahl neu abgeschlossener Ratenkreditverträge ist alleine im letzten Jahr um rund 30 Prozent gestiegen, von 7 auf 9,1 Millionen“, so Creditreform. Übrigens: Auch hierfür werben Influencer:innen. Vielleicht doch keine Freunde, mh?
Zurück zum Feminismus, der sich immer wieder an Systemkritik übt, aber letztendlich auch dazu missbraucht wird, ein bisschen Profit abzubekommen. Hyperfemininity, der Trend, der spätestens seit dem unglaublichen Erfolg des Barbie-Films die Modehäuser in alle erdenklichen Pink-Nuancen gefärbt hat, versteht sich selbst als Akt der Befreiung. Frau darf sexy sein, wenn sie das möchte. Darf kurze Röcke tragen, durchsichtige Blusen, lange Nägel und auffälliges Make-up. Frau darf über Sex sprechen, Sex haben, und das mit so vielen Menschen, wie es ihr beliebt. Im HipHop hat sich daraus eine ganze Bewegung geformt. Junge Frauen, die über ihre Sexualität rappen, in knappen Outfits, top gestylt. „Bin ne Politschlampe, Feminist und Fighter“, rappt Mariybu auf ihrem Track „Politschlampe“ oder dreht gängige Rollenklischees um, wenn sie auf „Walkie Talkie Booty Call“ rappt: „Dient mir auf Knien, bis ich dann auf ihn komm.“ Dass dabei mit smartem Sarkasmus und Rollenklischees gespielt wird, zeigt Yung FSK18 spätestens mit dem Track und Video zu „Bonnie“: „Pimp sollte das Schimpfwort sein, doch Nutte klingt halt geiler.“ Während sich junge Frauen durch eine durch und durch sexualisierte Musikbranche kämpfen, haben andere es längst verstanden, Feminismus zum Profit zu machen. Zuletzt schlug Shirin David mit ihrem neuesten Track „Bauch Beine Po“ Wellen. Während die Rapperin in den vergangenen Jahren noch über weibliche Selbstermächtigung und Bodypositivity rappte, mit ihren „fotzigen“ Outfits und (dank Brazilian Butt Lift) Kurven für ordentliche Diskussionen auf der „Wetten, dass…?“-Couch sorgte und dabei den ein oder anderen lohnenswerten Werbedeal mit z. B. McDonalds abschloss, scheint das nun passé zu sein. „Geh ins Gymmie, werde skinny“ rappen heute 12-Jährige Kids auf TikTok zum neuesten Nummer-1-Chart-Hit Shirin Davids. „Bauch Beine Po“ lässt uns nicht nur auf der Stelle im Gymmie laufen. Der Track katapultiert Frauen meterweit zurück und promoted ein Körperbild, das dem Heroin-Chic à la Kate Moss aus den 1990er Jahren gleicht: abgemagerte Körper, blasse Haut, dunkle Augenringe. Man solle das doch alles mit einem Augenzwinkern sehen, heißt es von Seiten des Managements. David selbst äußert sich auf Instagram so: „Seid thicky, seid skinny, was auch immer ihr sein wollt – I‘m an artist and I rap about whatever I want.“ Naja. Wer seine Karriere auf dem Slogan der weiblichen Selbstermächtigung aufgebaut hat, sollte vielleicht einmal darüber nachdenken, ob das letztendlich nicht doch mehr Promomove als tatsächlich gelebter Widerstand war. Sich Feministin zu nennen und feministisch zu handeln, sind am Ende eben doch zwei unterschiedliche Paar Schuhe.

Bildquellen

  • Shirin David: © Anton Schmidt-Wünkhaus