Die Reißleine ziehen!
Was kann noch repariert werden bei der Platzgestaltung zwischen Freiburger Kollegiengebäude II und Stadttheater?
Freiburgern fährt ein Schaudern durch die Glieder. Denn sie merken in diesen Tagen, wie es im Zuge der Erneuerung des Innenstadtrings am sog. Platz der alten Synagoge in Kürze zu Baumaßnahmen kommt, von denen niemand so recht weiß, wer sie eigentlich warum gewollt hat.
Deshalb lohnt es, Rückschau zu halten und einige der grundsätzlichen Fragen zu stellen. Dazu unterhielten wir uns mit Dr. Immo Beyer, Archäologe und Bauhistoriker. Hier einige Auszüge des spannenden Gesprächs.
Was ist überhaupt das Besondere an diesem Platz? Es ist das ohne Zweifel ein zentraler Innenstadt-Platz, dessen urbanistisches Gewicht durch den Neubau der Uni-Bibliothek und die Beruhigung des Rotteck- und Werderrings noch deutlich zunimmt. Wenn sich hier kein städtisches Leben abbildet, wäre das ein Problem. Der Platz misst etwa 5.000 Quadratmeter, also knapp die Hälfte des Münsterplatzes.
Namensgebung historisch falsch
Wie verhält es sich genau mit der Synagoge? Die alte Synagoge Freiburgs war ein Gebäude des Mittelalters, 1349 zum ersten Mal schriftlich erwähnt, das in der Wasserstraße stand. Zu Beginn des 15. Jahrhunderts wurden die Juden aus Freiburg vertrieben und durften sich erst ab 1809 wieder niederlassen – zwanzig zählte man 1846. Die neue Synagoge des 19. Jahrhunderts wurde 1870 eingeweiht, ein Entwurf des Architekten Georg Jakob Schneider – der zuvor schon das Colombischlössle geplant hatte – mit der Front nach Westen zur Sedanstraße hin, orientiert am seitlichen Verlauf der Löwenstraße. Nach der Zerstörung durch Brandstiftung am 10. Nov. 1938 konnte 1987 die neue Synagoge an der Engelstraße eröffnen.
„Platz der zerstörten Synagoge“
Platz der Universität, Europaplatz, Werthmannplatz, seit den 1990er Jahren dann Platz der alten Synagoge – man sieht, wie leicht Umbenennungen, allein in den letzten Jahrzehnten, hier erfolgten. Immo Beyer meint: „Der Name muss historisch richtig Platz der zerstörten Synagoge heißen. Nur so wird eine wirkliche Erinnerungskultur ermöglicht. Außerdem entstünde ein Alleinstellungsmerkmal für Freiburg. Das wäre ein großer ‚Stolperstein‘!“ Und wirklich, eine Straße oder einen Platz der zerstörten Synagoge gibt es in einer deutschen Kommune nicht. Neben der geschichtlichen Korrektheit wäre das ein nachdrückliches und zeitgemäßes Zeichen des Gedenkens. Beyer trug die Idee schriftlich an die Stadtverwaltung heran, unterstützt u.a. von Prof. Wolfram Wette, dem in der Region bekannten Historiker und Politologen. In der ablehnenden Antwort wird vorgebracht, es seien den Anwohnern die Kosten für neues Briefpapier, geänderte Ausweise und Visitenkarten nicht zuzumuten. So viele Anrainer gibt es da freilich nicht, und die nutzen auch meist die Postfach-Adresse der Universität. Lächerlich.
Wettbewerb liegt lange zurück
2006 beschloss der Gemeinderat den architektonischen Wettbewerb, der 2008 durch eine Jury entschieden und später mehrfach konkretisiert und verändert wurde. Neben auswärtigen Experten nahmen aus Freiburg Wulf Daseking, Leiter des Stadtplanungsamts, Matthias Schmelas als Baubürgermeister und Martin Haag, Leiter des Tiefbauamts, teil. Die Ausschreibung beinhaltete einen umfangreichen Kriterienkatalog, so die „Betonung der historischen Situation, insbesondere des Standorts der Alten Synagoge“ und auch die „Wirtschaftlichkeit“. Beyer kritisiert treffend: „Über Jahrzehnte galt der Primat der autogerechten Stadt, er wurde abgelöst durch die Idee der fußgängergerechten Stadt – heute hingegen geht es um Klimaverträglichkeit.“
Tatsächlich setzte bald nach Bekanntwerden der Umbaupläne öffentliche Kritik ein. Vor allem seriöse klimatologische Gutachten warnten vor einer unmäßigen Erhitzung infolge der vorgesehenen steinernen Versiegelung des bis jetzt grünen Platzes.
Ergebnis entspricht nicht mehr heutigem Kenntnisstand
Das Wettbewerbsergebnis veranlasste Immo Beyer, selbst intensiver über eine gute Gestaltung des Platzes nachzudenken. 2011 fertigte er einen eigenen Entwurfsplan an, der hier zum ersten Mal veröffentlicht wird. Beyers Credo: „Der Platz muss die Solitäre Theater, KG I und II sowie die UB einbinden und darf sich nicht gegen sie abgrenzen. Er soll thematisch den Geist der Forschung und Lehre (Uni), der Künste (Theater) und des Gedenkens (zerstörte Synagoge) miteinander verbinden.“
Deshalb hält Beyer keine starr orthogonale Ausführung des Areals für geeignet und möchte mit einer Art absatzgestufter kurviger Form (in Erinnerung ans Theaterrund) eine Fläche, teils begrünt, schaffen, die auch die klare Front des Kollegiengebäudes II eher umspielt als versucht, ein Gegengewicht zu setzen.
Kunst als Erinnerungszeichen
Wie sieht es dann künftig mit der Kunst auf diesem Platz aus? Was wäre eine angemessene Form der Erinnerung an die Juden-Pogrome?
Das künstlerische Konzept der „Liegenden“ entwickelte Henry Moore aus eigenen Zeichnungen der Menschen, die sich während der Bombardements des Zweiten Weltkriegs in den Londoner U-Bahn-Schächte verborgen hielten. So entstand die kraftvolle plastische Erinnerung der „Reclining Figure“ in der Nachkriegszeit. Deshalb möchte Beyer den bisherigen Standort der bedeutenden, 1961 zur Fertigstellung des KG 2 angekauften Bronzestatue nicht verändern.
Zusätzlich schlägt er vor, die zerstörte Synagoge zu reflektieren, nicht durch ein Wasserbassin, sondern hier vielleicht wirklich durch eine Steinsetzung. Zudem könnte (und sollte) die bedeutende Skulptur „Mahnmal für die Opfer des Nazi-Regimes“ von Walter Schelenz, dem Reinhold-Schneider-Preisträger, 1975 am Rotteckring, wenige Meter nördlich, an eher unspektakulärer Stelle platziert, hierhin versetzt werden. Eine glänzende Idee!
Kosteneinsparung, auch jetzt noch
Immo Beyers Vorschlag sieht vor, den neuen Platz gleichsam in thematische Tortenstücke aufzuteilen, die jeweils auf den architektonischen Kontext oder die Historie Bezug nehmen. Im Schnittpunkt, an der Westseite, möchte er eine Wasserinstallation, eine Fontäne vielleicht.
Die kann sich in der Tat aus dem tiefer liegenden Gewerbebach speisen und mit entsprechender Druckröhre quasi kostenneutral betrieben sein.
Klar ist: Lärm und Überhitzung werden durch Sand und Wiese gemindert – die Kosten sowieso. Nicht zuletzt deshalb stimmten auch die Juso-Hochschulgruppe und der Juso-Kreisverband gleich 2011 Beyers Vorschlägen vehement zu.
Wird jetzt die Reißleine gezogen und – zugegeben: im letzten Moment – noch einmal umgeplant, kämen nicht nur ein ästhetischer und historischer Gewinn, sondern mutmaßlich auch eine finanzielle Ersparnis dabei heraus.
Martin Flashar