Interview

Wachstum und wie weiter?

Im Gespräch: Prof. Dr. Niko Paech, Wirtschaftswissenschaftler und Wachstumskritiker

Wir wachsen, wachsen und wachsen und zuweilen fragt man sich, wohin die Menschheit noch wachsen will. Auf dem stetigen Wachsum beruht der Wohlstand der westlichen Industriegesellschaft – so zumindest suggerieren es die Politik und die Wirtschaft, eben diejenigen, die in aller erster Linie von unserer Wirtschaftsordnung profitieren. Allerdings gibt es mittlerweile auch viele kluge Köpfe, die erkannt haben, dass sich die nicht enden wollende Wachstumsspirale längst in einer Sackgasse befindet. Die Natur wird von nimmersatten und profitgierigen Großkonzernen gnadenlos ausgebeutet und ein Garant für Stabilität und soziale Sicherheit ist das auf permanente ökonomische Expansion getrimmte System schon längst nicht mehr. Die Eskalation auf den Finanzmärkten, die Schuldenkrisen und die Verknappung jener Ressourcen, auf deren unbegrenzter und kostengünstiger Verfügbarkeit das industrielle Wohlstandsmodell bislang basierte, sind deutliche Indizien dafür. Zu den schärfsten Kritikern der endlosen Wachstumsparty zählt hierzulande Prof. Dr. Niko Paech von der Universität Oldenburg, dessen Arbeits- und Forschungsschwerpunkte unter anderem im Bereich der Umweltökonomie und der Nachhaltigkeitsforschung liegen. Im Rahmen der Tagung „Wachstum und wie weiter?“, die am 25. Januar in der Katholischen Akademie Freiburg stattfindet, wird Niko Paech nicht nur seine Bedenken äußern, sondern auch darlegen, wie er sich ein nachhaltiges und zukunftsfähiges Wirtschaftssystem vorstellt. Im Vorfeld hatte Claus Weissbarth die Gelegenheit, dem Wirtschaftswissenschaftler einige Fragen zu stellen.

Kultur Joker: Herr Paech, Sie vertreten die Ansicht, dass wirtschaftliches Wachstum weder nachhaltig noch klimafreundlich gestaltet werden kann. Wie kommen Sie zu dieser Auffassung?
Niko Paech: Weiteres Wachstum des Bruttoinlandsproduktes (BIP) scheitert erstens an absehbaren Ressourcenengpässen – wie fossilen Ressourcen, Flächen, seltenen Erden – und verringert zweitens per se keine Verteilungsungleichheiten. Drittens sorgt es nach Erreichen eines bestimmten Wohlstandsniveaus nicht mehr für Glückszuwächse. Viertens ist Wirtschaftswachstum niemals zum ökologischen Nulltarif zu haben.

Kultur Joker: Wohin wird uns das aktuelle Wirtschaftssystem führen?
Niko Paech: Wir werden multiple Krisenszenarien erleben, die in immer kürzeren Zyklen wiederkehren und sich verschärfen. Die weitere gesellschaftliche Entwicklung wird zusehends in nichts anderem mehr bestehen als in Reaktionsmustern, um die Eskalationen zu verarbeiten.
Kultur Joker: Welche Szenarien sind zu befürchten, wenn sich die Wirtschaft immer schneller weiterentwickelt und die vorhandenen Ressourcen weiterhin ausgebeutet werden?
Niko Paech: Peak Everything, psychische Krisen, ökologische Krisen und Finanzkrisen.
Kultur Joker: Hat die aktuelle Wirtschaftsordnung ihrer Ansicht nach überhaupt noch eine Perspektive?
Niko Paech: Nicht die aktuelle Wirtschaftsordnung ist das Problem, sondern eine von niemandem mehr hinterfragte, inzwischen kulturprägende Anspruchsexplosion in den Bereichen Mobilität, Konsum, Digitalisierung und Bequemlichkeit.
Kultur Joker: Die permanente ökonomische Expansion maximiert die Gewinne von vergleichsweise wenigen großen Konzernen und geht zu Last der Allgemeinheit und der Natur. Welche Veränderungen sind von Nöten, um diese Spirale zu stoppen?
Niko Paech: Nicht nur die Gewinne werden maximiert, sondern auch die Einkommen und Konsummöglichkeiten breiter Mittelschichten. Es existiert eine stillschweigende Kumpanei der ökologischen Plünderung, von der die einen mehr, die andern weniger haben – aber teilhaben daran wollen alle. Um diese Spirale zu stoppen, sind spürbare Eskalationsszenarien nötig, die das Wachstumsparadigma erschüttern und damit ein „Window of Opportunity“ öffnen. Diese Instabilität kann von hinreichend ausgeprägten Subkulturen, in denen postwachstumstaugliche Daseinsformen eingeübt wurden, als Hebel zu deren weiterer Verbreitung genutzt werden.
Kultur Joker: „Befreiung vom Überfluss“ lautet der Titel einer ihrer Publikationen. Was erachten Sie denn als überflüssig?
Niko Paech: Erstens alle Dinge, die nicht verantwortbar sind, nämlich nach Maßgabe des Umstandes, dass jeder Mensch nur begrenztes Kontingent an ökologischen Ressourcen in Anspruch nehmen kann. Zweitens alle Dinge, die sowieso nur mein Leben verstopfen, weil ich gar nicht die Zeit habe, sie zu genießen, oder die mich abhängig von Geld und industrieller Fremdversorgung machen. Zwischen beiden Bereichen existiert eine enorme Schnittmenge.
Kultur Joker: Auf welche Art und Weise ließen sich denn die offensichtlich so gegensätzlichen Komponenten Wirtschaft auf der einen sowie Nachhaltigkeit und Klimafreundlichkeit auf der anderen Seite ihrer Meinung nach verbinden?
Niko Paech: Durch das Konzept der Postwachstumsökonomie.
Kultur Joker: In ihren Vorträgen und Publikationen tauchen immer wieder die Begriffe Suffizienz und urbane Subsistenz als Ergänzung zu einem reduzierten und zugleich umstrukturierten Industriesystem auf. Wie sollte die Wirtschaft der Zukunft nach ihren Vorstellungen aussehen? Welche Visionen und Konzepte schweben ihnen vor?
Niko Paech: Puh… das kann ich hier nur skizzieren. Grob vereinfacht sind zwei Stoßrichtungen vonnöten, nämlich erstens ein Zeitalter der Entrümpelung, also eine Suffizienzbewegung, und zweitens eine neue Balance zwischen Selbst- und Fremdversorgung, also mehr Subsistenz. Suffizienz kehrt das moderne Steigerungsprinzip ins Gegenteil um: Kreative Reduktion als Gestaltungsprinzip. Wir könnten viele Energiesklaven, Komfortkrücken und Infrastrukturen ausfindig machen, die wir gar nicht nötig haben – ganz gleich ob elektrisches Küchengerät, Wellness-Rezeptur, Flugreise oder Tiefseehafen. So sparen wir Zeit, Geld, Raum und ökologische Ressourcen. Weg mit dem Wohlstandsschrott, der nur unser Leben verstopft! Der zweite Ansatzpunkt zielt darauf, unabhängiger von geldbasierter Fremdversorgung zu werden. Eigenarbeit ist angesagt! Wer durch handwerkliche und manuelle Versorgungsleistungen unentgeltlich produktiv ist, und zwar sowohl für sich selbst als auch das nahe soziale Umfeld, schlägt drei Fliegen mit einer Klappe: Erstens ist es der beste Selbstschutz gegenüber zukünftigen Ressourcenknappheiten, die das aktuelle Wohlstandsmodell unbezahlbar machen. Zweitens schützen wir direkt die Umwelt. Und drittens mildern wir strukturell Wachstumszwänge, die einem geldbasierten, arbeitsteiligen Industriemodell innewohnen.
Kultur Joker: Welche Rolle spielen die Finanzmärkte, die mit den Ressourcen und auch mit Lebensmittel spekulative Geschäfte betreiben?
Niko Paech: Die wären schlicht abzuschaffen.
Kultur Joker: Welche Chancen sehen Sie, dass sich das Modell der Postwachstumsökonomie durchsetzt?
Niko Paech: Sehr große, insoweit die nächsten Krisen nur eine Zeitfrage sind.
Kultur Joker: Das Interesse der Wirtschaft und somit auch der Politik an diesem Modell dürfte überaus gering sein. Bei wem finden Sie mit ihren Theorien Gehör?
Niko Paech: In der Politik bei niemandem, außer bei der ÖDP.
Kultur Joker: Sie verbinden die Postwachstumsökonomie unter anderem mit dem Slogan „Glück ohne Kerosin“. Heißt das, dass wir unseren Urlaub künftig in heimischen Gefilden verbringen müssen?
Niko Paech: Ja.
Kultur Joker: Welche Menge an CO2, die ein Mensch freisetzt, würde sich demnach noch in einem umweltverträglichen Rahmen bewegen?
Niko Paech: 2,7 Tonnen pro Jahr und Person, solange auf der Erde 7 Mrd. Menschen leben.
Kultur Joker: Bei aller Kritik: Betrachten Sie denn wenigstens die Energiewende als Schritt in die richtige Richtung?
Niko Paech: Nein, die ist eine Verschlimmbesserung, unter anderem weil sie vom Sparen ablenkt.
Kultur Joker: Ihre Theorie basiert auch auf kürzeren Versorgungsketten. Müssen wir uns auch darauf einstellen, dass gewisse Lebensmittel nur noch zu bestimmten Jahreszeiten zur Verfügung stehen?
Niko Paech: Exakt.
Kultur Joker: Herr Paech, wir bedanken uns für das Gespräch.

Niko Paech kommt am 25. Januar zu einer Tagaung in die Katholische Akademie nach Freiburg. Der Titel „Wachstum und wie weiter? Vom Entrümpeln und Entschleunigen“. Weitere Referenten: Heike Leitschuh (Autorin/Moderatorin, Frankfurt/M.), Jürgen Schmidt (Begründer der memo AG) und Uwe Lübbermann (Premium Cola, Hamburg). Infos/Anm.: www.katholische-akademie-freiburg.de