Theater

Vorurteil und Aberglaube: Im Theater Freiburg ist Heinrich von Kleists „Familie Schroffenstein“ zu sehen als Beispiel von Verschwörungswahn

Die Freunde sollen vor Lachen zusammengebrochen sein, wie auch der Autor selbst. Dabei kam Heinrich von Kleist beim Vorlesen nicht einmal bis zum fünften Akt und in dem wird es erst so richtig grotesk. „Das ist ein Spaß zum Totlachen!“, heißt es am Ende des Trauerspiels so als wendete sich Kleist direkt an sein Publikum. „Familie Schroffenstein“ ist das erste Werk des Autors und mag es auch mitunter haarsträubend sein und ein bisschen wie auf dem Reißbrett entworfen wirken, so finden sich doch bereits Motive wie das verschlossene Paradies und das Versehen, die auch spätere Dramen und Erzählungen bestimmen. Also: die Schroffensteins am Theater Freiburg sind nicht nur durch Verwandtschaft, sondern auch durch einen unglückseligen Erbvertrag miteinander verbunden, der bestimmt, wenn der eine Familienzweig erlischt, geht alles an den anderen. Sie sitzen auf ihren Burgen Rossitz und Warwand und könnten nicht tiefer miteinander im Zwist liegen. Ebenso spiegelbildlich verhält es sich mit den Temperamenten der beiden Grafenpaare. Rupert (Michael Witte) sinnt auf Rache, während seine Frau Eustache (Angela Falkenhan) auf Vernunft setzt, bei Sylvester (Holger Kunkel) und Gertrude (Marieke Kregel) auf Warwand sind die treibenden und ausgleichenden Kräfte vertauscht. Allein die Kinder, Ottokar auf Rossitz und Agnes auf Warwand könnten für Versöhnung sorgen, die Fehde hat sie bereits ihrer Geschwister beraubt. So scheint es jedenfalls.
In Johannes Leppers Inszenierung für das Theater Freiburg ist von der Burgenromantik des frühen 19. Jahrhunderts nichts zu spüren. Die Bühne im Kleinen Haus ist völlig weiß gestrichen, die Wände kassettiert, darüber sind Nischen zum Sitzen eingelassen. Überall finden sich Tapetentüren und versteckte Fächer, links und rechts treten die Darstellerinnen und Darsteller durch Drehtüren auf und ab und dann sind da noch ein paar schwarze Stühle (Bühne: Doreen Back). Dass diese Szenerie, in der die beiden Familien wie Untote einer Netflixserie agieren, durch ein Band mit Neonröhren an der Decke beleuchtet ist, macht es nicht weniger gespenstisch. Zumal sie weitgehend schwarz gekleidet und weiß geschminkt sind (Kostüme: Sabine Wegmann, Johannes Lepper). Grautöne sind hier nicht vorgesehen. Rechts befindet sich eine einfache Zinkwanne, davor zwei Stiefelchen, die einmal Peter gehört hatten, der tot im Gebirge aufgefunden wurde, neben der Kinderleiche zwei Männer aus Warwand mit blutigen Messern. Der Vater Rupert schwört die Seinen beim Abendmahl auf Rache ein. Michael Witte gibt diesen falsch gewickelten Familienvater wie einen Troll aus der Gegenwart mit sehr kurzer Lunte und wenig Bereitschaft, zuzuhören. Die Rache spiegelt sich auch in Ennio Morricones Motiv aus „Spiel mir das Lied vom Tod“, das wie Amy Winehouses „Back to Black“ den Soundtrack der Inszenierung bildet. Vermutlich liegt es am Italowestern, dass Henry Meyer als Jeronimus wie ein schlechter Cowboy-Verschnitt zwischen den Häusern vermittelt und doch sein eigenes Ding verfolgt.
Das Stück mag 1804 uraufgeführt worden sein, aber mit seiner Kritik am Umgang mit Gerüchten, dem Verhaftetsein in Ressentiments und Verschwörungstheorien wirkt es doch sehr gegenwärtig. Wir wissen wieder, was es bedeutet, wenn Risse nicht gekittet werden können und wenn Menschen sich in ihren Vorstellungen von Wirklichkeit verlieren. Nicht grundlos nähern sich die frisch Verliebten im Gebirge einander. Raban Bieling und Josefin Fischer haben zwar für ihre Liebe keine Blaupause, behandeln den Tod Peters aber so rational wie Ermittler einen Tatort. Sie sind es, die die Aufklärung hochhalten. Johannes Leppers „Familie Schroffenstein“ ist dann wirklich sehenswert, wenn das Kleistsche Drama deutlich zutage tritt. Doch zu oft gerät es in den Hintergrund, sei es durch das Verstottern des Textes, Spielereien mit den Namen oder Meyers nervtötendes Morricone-Solo auf einer Spielzeugtrompete, während sich das Drama auf den Höhepunkt zu bewegt. Man kann durchaus über dieses Stück lachen, aber nur weil es oft zum Verzweifeln wahr ist.

Wiederaufnahme ab 14. September. theater.freiburg.de

Bildquellen

  • Henry Meyer, Marieke Kregel, Thieß Brammer, Raban Bieling: © Rainer Muranyi