Vom schwerelosen Schweben
„Marc Chagall – Poesie & Traum“ – Ausstellung in der Kunsthalle Messmer in Riegel am Kaiserstuhl.
Seine Bilder erzählen Geschichten: „Ich habe meine Lebenswelt gemalt, mein Leben, alle Dinge, die ich geliebt und von denen ich geträumt habe.“ Marc Chagalls (1887-1985) Bildsprache ist phantastisch und naiv, den logischen Koordinaten von Raum und Zeit enthoben – so kann auch der Betrachter seine Vorstellungen frei flottieren lassen. Er wollte die „Elemente der Welt, die nicht sichtbar sind“ zur Geltung bringen. Träumerisch verbinden sich hier Esel, Fisch, Kuh, Vogel, Pferd, Hahn und Wolken mit Geigern, Sehnsucht und Liebespaaren. In das geflügelte Pferd der Poesie – Pegasus – verwandelt sich der Maler gar selbst in seiner letzten Lithografie („Dem anderen Lichte zu“, 1985).
In zwölf offenen Räumen präsentiert die Kunsthalle Messmer momentan 120 Werke Chagalls, ein Ölbild, ansonsten Druckgraphik: Radierungen, Gouachen, Monotypien und Lithografien, oft mit Aquarell und Gouache zu Unikaten koloriert. Die Ausstellung ist chronologisch und thematisch gruppiert, am Anfang frühe Radierungen von 1922/23 aus der Serie „Mein Leben“ („Der Vater“, „Der Straßenkehrer und der Wasserträger“); sie weisen auf die jüdisch geprägte Welt seiner Herkunft und sein Heimweh nach ihr. Er wurde als erstes von neun Kindern geboren und wuchs im ländlichen Russland (Witebsk) auf. Danach waren Berlin und Paris wichtige Stationen seines Lebens, der Naziverfolgung entkam er in die USA und lebte schließlich im französischen Bergdorf Saint-Paul-de-Vence.
Marc Chagall, Maler und Poet, hat zahlreiche Werke der Literatur illustriert, das ist nun in der Kunsthalle Messmer zu sehen. Er schuf Radierungen zu den Fabeln von Jean de La Fontaine (ab 1926) und Lithografien zu den Märchen aus „Tausend und eine Nacht“ (1948). Das Alte Testament fasste er wie eine große Dichtung auf und bereitete seit 1931 eine illustrierte Bibelausgabe vor, die 1956 veröffentlicht wurde – darunter, in 24 Blättern, der Zyklus „Exodus“ (1966).
Die Proportionen und Kräfteverhältnisse des Wirklichen zu überwinden, das interessierte ihn; in seinen Zirkus-Bildern (1967) widersetzten sich dynamische Akrobaten, Clowns und Schauspieler der Schwerkraft. Hindernisse überwinden auch Pan und Eros in seinen Illustrationen zum antiken Hirtenroman „Daphnis und Chloe“ (1961). Licht und Farbe durchdringen die Atmosphäre in seinen Bildern zu „Paris“ und zur „Côte d’Azur“ (1950er Jahre) und im Zyklus „Odyssee“ (1974). Und oft schwebt ein Liebespaar in der Luft, bald auf dem Rücken eines roten Vogels über dem Wasser, bald in Gestalt eines Hahns und einer Nackten mit kullerrundem Busen („Die Nacht“) – das ist weltberühmt, unverkennbar Chagall und seine Liebste Bella. Was es zum grafischen Gesamtwerk zu wissen gilt, das erhellt ein Katalogbuch.
Chagalls frühes Schaffen (1911-1922) legt desweiteren ein neuer Grundlagenkatalog dar (Chagall. Meister der Moderne. Hatje Cantz Verlag 2013), der eine Ausstellung in Zürich begleitet. Er sucht Klischees zu korrigieren und stellt heraus, dass sich in der Bildsprache des Malers nicht nur eine surreal verfremdete russische Volkskunst mit der jüdischen Mythologie des armen Schtetl seiner Herkunft verbindet, sondern auf ganz autonome Weise fauvistische, kubistische und konstruktivistische Elemente verarbeitet sind – und Chagall die Avantgarde seiner Zeit wegweisend beeinflusst hat.
Kunsthalle Messmer, Großherzog-Leopold-Platz 1, Riegel a. K. Di bis So 10–17 Uhr. Infos: 07642/9201620. www.kunsthallemessmer.de. Bis 30. Juni 2013.Cornelia Frenkel