Vier Frankensteins mit geschmeidigen Hüften
Eine Hommage an Hollywood: Joan Anton Rechis deutsche Erstaufführung von Kurt Weills Musical „Love Life“ am Freiburger Theater
Das Freiburger Theater hat nun das so gut wie unbekannte Werk Kurt Weills, das 1948 am Broadway Premiere feierte und in der ein geschiedenes Ehepaar auf sein Leben zurückblickt, als deutsche Erstaufführung auf die Bühne gebracht. Georg Rudiger vermisst in der Produktion die szenische Stringenz.
Kurt Weills 1948 am Broadway uraufgeführtes Musical „Love Life“ beginnt mit dem Ende. Die Frau ist zersägt, der Gatte hängt in der Luft. In einer Zaubershow erinnern sich die beiden an ihre glücklichen Zeiten, als sie 1791 in der Kleinstadt Mayville einen Laden hatten und die beiden Kinder kamen. Die Industrialisierung bricht ein in ihr beschauliches Leben, der Mann muss in der Fremde arbeiten, die Frau wünscht sich vergeblich ein drittes Kind und engagiert sich in der Frauenbewegung. Am Ende sind sie einsam und entfremdet.
Es wurde ein unterhaltsamer Abend mit schönen Tänzchen (Choreographie: Emma-Louise Jordan, Graham Smith), süffiger Musik und witzigen Texten. Die deutsche Übersetzung besorgte Chefdramaturg Rüdiger Bering, der Teile von „Love Life“ bereits zum 100. Geburtstag von Kurt Weill im Jahr 2000 mit Studenten der Universität der Künste Berlin aufführen ließ.
Kurt Weill und sein Librettist Alan Jay Lerner legten das Stück als Vaudeville an – der speziellen US-amerikanischen Varieté-Form, die Künstler wie die Marx Brothers herausbrachte, bevor das Radio und der Film das Vaudeville in den 1930er-Jahren ablösten. In seiner Inszenierung verbindet Regisseur Joan Anton Rechi beide Bereiche.
Die Drehbühne ist ein Kinosaal – und auf der Rückseite ein Vaudeville-Theater (Bühne: Alfons Flores). Susan und Samuel Cooper schauen sich im Kino ihr Leben an. Auch die Shownummern sind eine charmante Hommage an Hollywood, wenn das erste Männeroktett aus steppenden Charlie Chaplins besteht oder gleich vier Frankensteins im Song „Ökonomisch“ mit geschmeidigen Hüften die Liebe besingen und vor der Industrialisierung warnen. Kapitalismuskritik durchzieht das ganze Stück – nur kommt sie nicht so bissig daher wie in Kurt Weills „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“.
Auch musikalisch fehlt „Love Life“ der Stachel. Die von den Streichern weich gebetteten Balladen sind an der Kitschgrenze; die schnellen Nummern haben zwar Charme und Eleganz, aber nicht den aufrührerischen, auch mal dreckigen Sound von Mahagonny. Die stilistische vielfältige Musik ist beim Philharmonischen Orchester Freiburg unter dem für den erkrankten James Holmes eingesprungen Daniel Carter in besten Händen.
Ob beim Madrigal „Ho Billy, O, die Frühlingslüfte wehen“ (mit Luis Buñuels und Salvador Dalis Film „Ein andalusischer Hund“ auf der Leinwand) oder der Polka „Der Frühling kommt“, ob kraftvoller Blues mit geschärfter Brass-Section („Women Club Blues“) oder schmalzige Ballade („Ich erinnere mich gut“) – der Sound wird im Orchestergraben auf Hochglanz poliert.
„Moderne Zeiten“, „Casablanca“ , „Vom Winde verweht“ – auch Rechis Inszenierung (Kostüme: Mercè Paloma) hat großes Entertainment-Potential. Großartig und berührend: das von Maria Pires und Graham Smith vertanzte Leben der beiden Protagonisten. Ein echter Wurf ist die Produktion aber nicht; dazu fehlt es ihr an szenischer Stringenz.
David Arnsperger besticht als Samuel Cooper mit Bühnenpräsenz und stimmlicher Souveränität, Rebecca Jo Loeb (Susan Cooper) changiert gekonnt zwischen Opern- und Musicalton, Tim Al-Windawe ist ein verführerischer Zauberer. Am Ende erhalten Susan und Samuel noch eine zweite Chance. Sie wollen sich nicht von Illusionen blenden lassen, sondern sich dem Leben stellen.
Nächste Vorstellungen: 14./28./31.1., 9./11./16./22.2. Karten: www.theater.freiburg.de und Tel. 0761 201 28 53.
Georg Rudiger