Venedig durch die Brille zeitgenössischer Kunst
Eigentlich wäre jetzt der beste Moment, Venedig zu besuchen: Menschenleere Gassen, ein freier Blick auf die Monumente, weder von davorstehenden Menschenmassen noch von dahinter aufragenden Kreuzfahrtschiffen beeinträchtigt. Wo sich jährlich normalerweise 30 Millionen Besucher durch Venedig wälzen, könnte man die Stadt endlich ohne das Gefühl einer Massendemo durchstreifen. Da man das derzeit aber bekanntlich nicht kann, mochte man sich noch bis vor Kurzem in der Kunsthalle Messmer in Riegel mit einer Ausstellung trösten, die mittlerweile zwar wegen des Corona Virus geschlossen, jedoch bis 21. Juni anberaumt ist: „Venedig – Faszination und Mythos“.
Wie keine andere Stadt hat Venedig über Jahrhunderte die Künstler herausgefordert. Seine wie Kulissen wirkende Prachtbauten und von glucksenden Kanälen umspülten Mauern beschwören geradezu deren Reaktion herauf. Aus ihrem Blickwinkel, mithin abstrahiert durch die Brille der Kunst, kann man in Riegel diese Stadt nun „besuchen“. Doch nicht wie sonst sind hier die Großen der alten venezianischen Schule vertreten, „die man sowieso immer sieht“ (Jürgen Messmer bei der Pressekonferenz) – Tintoretto, Canaletto, Guardi oder Tizian. Vielmehr machte der Kurator und Heidelberger Galerist Winfried Heid die Not zur Tugend, indem er die Schau weitgehend aus eigenen Venedig-Beständen bestückte.
Was sich aber keinesfalls als Nachteil erweist, gestaltet sich doch der Gang durch die Ausstellung als ein Streifzug durch laufend sich erneuernde zeitgenössische Anschauung, die auch kritische und unschöne Aspekte dieser Stadt zulässt. Ob das nun Baustellen sind, wie in den fotorealistischen Zeichnungen Malte Sartorius’, die die Fragilität der auf Stelzen errichteten Serenissima ins Bewusstsein rücken.
Oder die malerisch bearbeiteten Fotografien Manfred Hönigs mit den wie auf alten Postkarten farblich überspitzten, jedoch eher trostlosen (imaginären) Ansichten. Ob nun Friedensreich Hundertwasser, der in seiner Farbserigrafie „Homo Humus“ der Morbidität dieser Stadt farbharmonischen Glanz verleiht; oder Horst Janssen, dessen Verehrung für den venezianischen Künstler Francesco Guardi ihn gleich mehrfach nach Venedig zog und sich in einer Grafikserie niederschlug. Ob William Turner, jener Impressionist, der wie Claude Monet weniger die Vedute als deren schematischen Abglanz im sich verflüchtigenden Licht in den Blick nahm; oder aus dem letzten Jahr stammend die verwischt-verwaschenen fotografischen Eindrücke von Tilmann Krieg (er nennt sie Malereien auf Lightbrush), in denen er, wie auch in seiner installativen Soundcollage „Venedig“, die Stadt in ihrer Eigenheit gerade durch das den Bildern anhaftende Flüchtige zu verewigen trachtet; oder die poetischen, mit der Camera Obscura eingefangenen Eindrücke des Canale die Sin Marco I: All die hier gezeigten Werke vermitteln eine Art ‚innere’ Einblicke in eine Stadt, welche sich in früherer Kunst eher in Form von Veduten präsentierte. Und genau das macht diese Ausstellung, die zudem mit Texten – auch Lyrik – aufbereitet ist, überaus sehenswert.
Vorübergehend geschlossen, noch bis 21. Juni in der Kunsthalle Messmer, Riegel, Tel. 07642-920 1620.
Bildquellen
- Hundertwasser-10002-Nights-Bei-Hundertwasser-©-Namida-AG-Glarus-Kopie: Hundertwasser 10002 Nights-Bei-Hundertwasser © Namida AG Glarus
- Hauptmotiv_Fotograf-Juergen-A.-Messmer-Seitenkanal-Venedig-2020-Juergen-A.-Messmer: "Seitenkanal Venedig", 2020, Foto: Jürgen A. Messier