Uni ohne Campus? Die Rolle des Kollegiengebäude II für das Freiburger Unileben früher, jetzt und in Zukunft
eit 2019 ist das Kollegiengebäude II der Universität Freiburg geschlossen und wird seit 2020 saniert. Für Studierende, die seitdem an die Uni gekommen sind, war das Gebäude immer schon eine Baustelle. Das Gerüst verbirgt die Fassade, eine Absperrung aus Holzplatten umschließt das Gebäude. Wie ein Statist steht das KG 2 in der Mitte von Freiburg, während um es herum ein reges Treiben herrscht. Lediglich aus den Bibliotheken und Lagerräumen des restlichen Uni-Komplexes lässt sich erahnen, wie das Gebäude einmal Teil des Alltags war und irgendwann wieder sein wird. Auch der Platz der Weißen Rose, der Innenhof, den die drei Kollegiengebäude umschließen, wirkt durch die Baustelle nicht wie der Mittelpunkt des Standortes der Geistes- und Sozialwissenschaften. Durch die Absperrung ist der Platz nicht mehr ein Ort des Verweilens, sondern des Transits. Für die Baustelle wurde der Durchgang zum Platz der alten Synagoge und der Hauptbibliothek zwischen KG1 und KG2 geschlossen. Abgesehen von den umliegenden Universitätsgebäuden wirkt es hier nicht wie der Campus einer Universität. Verstärkt wird dieser Eindruck durch die wenig genutzten Fahrradständer, die lange Bank, auf deren feuchten Balken selten jemand sitzt, den Touristen, die den Eingang zur Tiefgarage suchen, der wiederum alle halbe Stunde neue Besucher ausspuckt.
Der Campus ist durch die Baustelle von 3800 Quadratmeter auf 480 Quadratmeter geschrumpft (als vergleichswert: der Platz der alten synagoge umfasst rund 4200 Quadratmeter). Der fast 90 Prozent kleinere Mini-Campus hat dennoch eine heimelige Atmosphäre, was aber nur am Kaffee Senkrecht liegt. Wie ein kleiner heller Hafen liegt das Kaffee Senkrecht im tragenden Element des brutalistischen KG3s. Hier herrscht zumindest zu den Stoßzeiten reges Treiben in einer sonst wenig einladenden Umgebung. Wie die Gezeiten schwärmen im Sommer die Studierenden von hier aus, und machen Bauzäune zu Lehnen, Mauern zu Bänken und Wiesen zur Außenbestuhlung, während sich im Winter nur noch wenige Raucher dicht gedrängt um die Überdachten Stehtische tummeln.
“Von Campus keine Spur”, so beschrieb Professor Immo Boyken, emeritierter Professor der Uni Konstanz, die Uni Freiburg, in der Ausgabe des Opus über das Kollegiengebäude zwei. Er bezieht sich damit jedoch nicht auf die gegenwärtige Situation, sondern auf seine Wahrnehmung der Uni als Student vor der Eröffnung des KG 2. Von einem auf den anderen Tag habe sich dann ein Zentrum gebildet, ein Raum zum sich-austauschen, denken und arbeiten. Die Räume und Flächen wurden direkt lebendig in Gebrauch genommen. Der Platz der weißen Rose bot Platz, sich zu erholen, im Gebäude selbst herrschte eine akademische Atmosphäre. Das Kollegiengebäude wurde 1955 als Wettbewerb ausgeschrieben, den Otto Schweizer gewann und 1961 fertiggestellt. Das denkmalgeschützte Kollegiengebäude II umfasst sechs Stockwerke und hat eine Grundfläche von 7000 Quadratmeter. Stahl, Glas, Beton und roter Sandstein vereinen optisch die Barock- und Renaissance-Elemente des neoklassischen Hauptgebäudes aus rotem Sandstein mit dem grauen Brutalismus des KG III. Schweizer hat nicht nur beim Grundriss Baufläche zugunsten des Campus freigelassen, sondern auch in der Höhe bewusst eingespart. Zum einen überragt das Kollegiengebäude nicht das Hauptgebäude von Hermann Billing, zum anderen sind die oberen 4 Stockwerke H-förmig angelegt. Dadurch sind nicht nur Seminarräume, Büros und Bibliotheken von der Eingangshalle, in der die Studenten flanieren, verweilen und sich unterhalten können, akustisch und räumlich voneinander getrennt. Durch die eingesparte Grundfläche der Stockwerke haben sie mehr Außenwände und Fenster. So wurden fensterlose Räume weitestgehend vermieden. Im Erdgeschoss befand sich neben den Eingängen zum Auditorium Maximum und den Zugängen zu den Treppen und Aufzügen auch das Kaffee Europa. Es war von der Eingangshalle und dem Platz der Weißen Rose aus erreichbar und hatte eine große Terrasse.
Sylvia Andernacht ist seit 42 Jahren an der Uni tätig, zuerst im Cafe Europa als Stellvertreterin und jetzt seit zwei Jahren Leiterin im Kaffee Senkrecht. Wir durften ihr einige Fragen über das Ambiente und den Alltag im und um das KG 2 stellen.
“Im [KG 2] war natürlich alles viel größer. Wenn man in die Halle reingekommen ist, hatte man eher das Gefühl, es ist ein bisschen unpersönlich, aber wenn‘s dann mal voll war nicht. Im Cafe Europa war mehr Platz. Die Studierenden haben dort gelernt oder sich in festen Gruppen zum Frühstück getroffen. Das Cafe hatte Kultstatus und das hat sich herumgesprochen. Es gab sogar mal ein Theaterstück vom SWFR über das Cafe Europa.”
Eine Konkurrenz hat es trotz der Nähe mit dem Kaffee Senkrecht nie gegeben, erzählt uns Frau Andernacht.
„Es gab Gäste, die sind immer ins Cafe Europa gegangen und nie ins Senkrecht und es gab Leute, die haben auf das Cafe Senkrecht geschworen. Jeder hatte da sein Ding”
Dass die Uni nun keinen Campus mehr hat, verneinte Frau Andernacht klar. Dennoch sei mit der Schließung etwas weggefallen. Besonders, dass es keine Außenterrasse und allgemein wenig Sitzgelegenheiten gibt, sei schade. Das Cafe Senkrecht ist dem Namen entsprechend als Stehcafe konzipiert worden und bietet dementsprechend nur wenige Sitzgelegenheiten. Es ist kleiner und dadurch auch gemütlicher als das Cafe Europa, um als Gruppe hier zu frühstücken oder zu lernen, reicht es jedoch nicht aus. Frau Andernacht hat auf unsere Anfrage hin mit einer Kollegin zusammen ermittelt, dass das Cafe Europa täglich zwischen 1800 und 2000 BesucherInnen hatte. Die Besucherzahl des Cafe Senkrecht schätze sie auf 500 pro Tag, wobei das schwieriger zu bestimmen sei, da einige Studierende auch gern dreimal am Tag kämen.
Auf die Frage, was sie sich wünschen würden, wenn das KG2 wieder aufmacht, sagte Frau Andernacht direkt und mit einem Schmunzeln: “Eine zweite Kasse”. Das ist in Anbetracht des Andrangs um die Mittagszeit nicht verwunderlich.
Wir haben auch Kerstin Krieglstein, seit 2020 Rektorin der Universität, gefragt, wie sie das Gebäude vor der Schließung wahrnahm. Insbesondere zu bestimmten Anlässen, wie etwa die Eröffnungen des Akademischen Jahres, oder auch Absolvent*Innen-Feiern der Medizinischen Fakultät besuchte sie das Audimax, den mit 788 Plätzen größten Hörsaal der Uni. Zur Atmosphäre berichtete Sie uns: “Über das Audimax hinaus habe ich das KG 2 als einen Ort kennengelernt, der beides hatte: ruhigere und belebtere Areale.”
Fragen über die Zukunft des Kollegiengebäudes und den Platz der weißen Rose beantwortete uns Christina Leib, Kanzlerin der Universität Freiburg. Zur Frage, was sich im Gebäude durch die Sanierung ändern würde, sagte sie uns: “Da das Gebäude unter Denkmalschutz steht, bewegt sich die Sanierung insgesamt in einem entsprechend begrenzten Rahmen. Neu im Innern sein werden unter anderem das Mobiliar sowie die gesamte Haustechnik, Medientechnik und das Datennetz. Diese werden heutigen energetischen und technischen Standards entsprechen. Einige der Neuerungen werden auf den ersten Blick nicht ins Auge fallen. Sichtbarer werden unter anderem Anpassungen in der Raumanordnung sein. Es wird etwa eine neue Forschungsbibliothek der Rechtswissenschaften geben, bestehend aus den ehemaligen Handbibliotheken der Rechtswissenschaftlichen Lehrstühle. Der Bibliotheksraum wird entsprechend durch Umstrukturierungen der Raumanordnung neu geschaffen. Zudem werden die Hörsäle 2004 und 2006 zu Teilen neu gestaltet sein, etwa mit schallreduzierender Decke, dies geschieht in Abstimmung mit dem Landesamt für Denkmalpflege. “
Auch die Rechtswissenschaftliche Fakultät werde wieder zurückziehen, die Wirtschaftswissenschaften werden hingegen in den 2020 bezogenen Räumlichkeiten in der Rempartstraße bleiben. Auch die Gewerbeflächen im Erdgeschoss sollen zur Fertigstellung wieder ausgeschrieben werden. Darüber hinaus werden Inklusivität und Barrierefreiheit vollständig nach aktuellem Baurecht gewährleistet sein.
Informationen über konkrete Pläne für den Platz der Weißen Rose bekamen wir von Seiten der Universität leider nicht: “Die Gestaltungspläne […] befinden sich derzeit in Abstimmung zwischen Vermögen und Bau Baden-Württemberg und der Universität Freiburg.” Auch der Durchgang zwischen KG1 und KG2 soll bis zur Fertigstellung geschlossen bleiben. Auf die Frage hin, ob sich die Umstände auf dem durch die Baustelle entstanden Mini-Campus zukünftig ändern werden, verwies Christina Leib auf die laufenden Abstimmungen. Bis zur Fertigstellung scheint die Uni keine Pläne zu haben, den Innenhof aufzuwerten.
In einer Pressemitteilung des Landes von 2021 bezüglich der Sanierungsarbeiten teilte die damalige Wissenschaftsministerin mit, dass eine kontinuierliche Anpassung der Infrastruktur immer auch zum Ziel der Exzellenz der Hochschule beiträgt. “Mit der Sanierung des Kollegiengebäudes II wird ein wesentlicher Beitrag geleistet, die Chancen der Universität Freiburg […] zu stärken.” 2012 hatte die Uni ihren Exzellenzstatus verloren und sich 2019 vergeblich erneut darum beworben. 2026 könnte sie den Status zurückerlangen. Christina Leib berichtet uns hingegen: “Einen Zusammenhang zwischen der Sanierung des KG 2 und der Exzellenzstrategie des Bundes und der Länder gibt es nicht.” Aktuell arbeiten zwischen täglich 50 bis 100 Menschen im und am Gebäude. Die Zahl wird mit der zunehmenden Gewerkedichte steigen.
Ob die Uni gegenwärtig einen Campus hat, scheint zwar auch am Platz zu liegen, aber vor allem daran, wie dieser genutzt wird. Schließlich hatte die Uni erst mit dem Kollegiengebäude Zwei einen richtigen Campus. Schweizer nahm in seiner Arbeit den Mensch als Maßstab mit dem Ziel, einen praktischen aber lebendigen Raum zu schaffen. Lebendig ist der Mini-Campus immer noch, aber nicht wegen, sondern trotz der räumlichen Gegebenheiten. Die Wege sind umständlich, die Optik trist und die Fläche nur wenig einladend und dennoch: Der Blick in die Vergangenheit macht Lust auf die Zukunft. Voraussichtlich 2026 sollen die Arbeiten abgeschlossen sein. Wir haben Besuchenden des Cafe Senkrecht, manche ehemalige Stammgäste des Cafe Europa, andere haben ihr Studium dieses Semester begonnen, was sie sich für den Campus wünschen. Die Antworten waren einstimmig: Mehr Sitzgelegenheiten, mehr Platz und mehr Grünfläche. Am liebsten schon vor 2026.
Bildquellen
- Blick auf PDAS, KG III und KG 1 um 1960: © Bruno Krupp
- Gäste des Cafe Senkrecht nutzen den Bauzaun als Lehne: © Justus Grundmann