Um die wohl bekannteste Kaiserin Österreichs weben sich bis heute zahlreiche Mythen. Ein Musical und einige Museen erzählen die Geschichte der Kaiserin Elisabeth von Österreich
Jedes Jahr in der Weihnachtszeit läuft die „Sissi“-Trilogie mit Romy Schneider und Karlheinz Böhm im Fernsehen. Die einen finden sie einfach nur kitschig, andere können gar nicht genug von diesen Filmen kriegen, die um Kaiserin Elisabeth und Kaiser Franz Joseph von Österreich kreisen. Obwohl die „Sissi“-Streifen von Ernst Marischka, gespeist von der Heile-Welt-Sehnsucht der Nachkriegsjahre, schon in den 1950ern gedreht wurden, begeistern sie bis heute ein Millionenpublikum. Wohl in erster Linie wegen der zuckrig in Szene gesetzten Liebesgeschichte. Die historischen Fakten treten zugunsten eines Märchenambientes eher in den Hintergrund. Anfangs kommt eine unschuldige Prinzessin an den Hof. Ihre böse Schwiegermutter empfängt sie nicht gerade mit offenen Armen, doch das Küken weiß sich gegen die Kontrahentin zu wehren. Gegen deren Willen treibt die junge Frau schließlich sogar die Aussöhnung Österreichs mit Ungarn voran. Nicht zuletzt aus diesem Bild, das der dreiteilige Klassiker zeichnet, hat sich der bis heute boomende Sisi-Mythos entsponnen.
Wer war die Kaiserin?
Realistischer soll man sich der Persönlichkeit der Kaiserin im Sisi Museum in der Hofburg Wien annähern können. Der Kurator Michael Wohlfahrt übernimmt die Führung durch dieses Haus. Gemächlich geht es von Raum zu Raum, vorbei an mehr als 300 Objekten vom Fächer über Kleider bis zum originalen Totenschein der gebürtigen Münchnerin. Natürlich hängt das berühmte Gemälde von Franz Xaver Winterhalter an einer Wand. Es dokumentiert Elisabeths Schönheit, sie galt über drei Jahrzehnte als die schönste Monarchin Europas. Das Winterhalter-Bild zeigt die 28-Jährige mit Diamantschmuck im Haar, dazu trägt sie ein Sternenkleid.
Zumindest rein äußerlich war die hübsche Romy Schneider, die später sagte, diese Rolle habe an ihr gepappt wie Grießbrei, die Idealbesetzung für die österreichische Kaiserin. Das Äußere, könnte man meinen, habe die echte Elisabeth am ehesten mit der Filmfigur verbunden. Michael Wohlfahrt sieht das jedoch etwas differenzierter: „Sisi war wie Romy, als sie nach Wien kam.“ Ihr schönes Gesicht, fährt er fort, habe sie von ihrem Vater geerbt. Während die beiden in den Filmen ein Herz und eine Seele sind, soll ihre Beziehung im wahren Leben längst nicht so innig gewesen sein: „Sisi hatte ein schwieriges Verhältnis zu ihrem Vater.“ Laut Michael Wohlfahrt soll Max Joseph in Bayern, den Gustav Knuth auf der Leinwand als bodenständigen Sympathieträger mit einem Faible für das Bürgerliche dargestellt hat, eigentlich seine unehelichen Kinder Elisabeth vorgezogen haben.
Vielleicht war Sisi deshalb so scheu, als sie an den Wiener Hof kam. Schritt für Schritt entwickelte sie sich aber zu einer unabhängigen Frau, die großen Wert auf ihr Äußeres legte. Ihr bodenlanges Haar pflegte sie intensiv, unter anderem mit einer Mixtur aus Eigelb und Cognac. Olivenölbäder liebte sie über alles. Sie war eine fanatische Verfechterin der Wespentaille. Obwohl sie 1,72 Meter groß war, hat sie nie über 50 Kilo gewogen. In ihrem Wohnbereich ließ sie sich ein Turnzimmer mit Ringen, Reck und Sprossenwand einrichten, das man in den Kaiserappartements, die an das Sisi Museum angrenzen, bestaunen kann. Zudem war sie eine leidenschaftliche Reiterin, die sehr genau darauf achtete, was sie gegessen hat. Nicht selten wird spekuliert, dass die Kaiserin wohl magersüchtig war.
Wer vor ihrer lebensgroßen Statue steht, hält das nicht für ausgeschlossen. Ihre Taille misst knapp 50 Zentimeter, auch ihre Hüften sind extrem schmal. Das habe dem damaligen Schönheitsideal entsprochen, erläutert Michael Wohlfahrt. Den Gerüchten über eine Essstörung widerspricht er. Überhaupt ist er bemüht, vor allem ein positives Sisi-Bild zu zeichnen. Etwa, wenn ihre vielen Reisen thematisiert werden. Gern überwinterte die Kaiserin zum Beispiel auf Korfu. Dort ließ sie die Villa Achilleion im pompejanischen Stil errichten. Zu diesem Domizil reiste Sisi mit ihrer Yacht Miramar. Seekrank wurde sie anscheinend nie, im Gegenteil. Bei stürmischem Wetter gab Ihre Majestät sogar die Anweisung, man möge sie im Freien an Bord auf einem Stuhl festbinden, damit sie das raue Meer besser beobachten konnte.
Mal stach die Kaiserin in See, mal fuhr sie mit der Eisenbahn. 1873 ließen die österreichischen Bahngesellschaften eigens für Sisi einen Salon- und einen Schlafwagen anfertigen. Letzterer ist bis heute erhalten geblieben, das Original steht im Technischen Museum Wien und kann von außen besichtigt werden. Durchs Fenster kann man auch einen Blick ins Innere erhaschen. Ein Teil des Schlafwagens wurde für das Sisi Museum nachgebaut. Schließlich war das Reisen ein wesentlicher Teil des Lebens der Kaiserin. Dennoch insistiert Michael Wohlfahrt, Sisi habe alles in allem 70 Prozent ihrer Zeit in Wien verbracht.
Im Gegensatz zu ihm stellt der Librettist Michael Kunze die Monarchin in seinem mittlerweile 32 Jahre alten Musical „Elisabeth“, für das Sylvester Levay die Musik komponiert hat, auf kein Podest. „Die Kaiserin war eine Egoistin“, sagt er beim Interviewtermin im Hotel Sacher in Wien frei heraus. „Aber sie musste auch egoistisch sein, um überleben zu können.“ Bekanntlich hat Sisi unter dem strengen Hofzeremoniell gelitten, deshalb flüchtete sie möglichst oft. Zu ihren beiden älteren Kindern hatte sie keine besonders innige Beziehung. Einzig ihre jüngste Tochter Marie begleitete ihre Mutter auf vielen Reisen. Als sich Kronprinz Rudolf 1889 erschoss, traf der Tod ihres Sohnes Sisi schwer. Fortan trug sie bei öffentlichen Auftritten in Ländern der Monarchie nur noch Schwarz. „Elisabeth litt an großen Schuldkomplexen“, fährt Michael Kunze fort. „Letztlich hat sie ihr Leben selbst zerstört. Sie ist nicht glücklich geworden.“
Den Sisi-Traum erleben
Im Musical, das einen Tag zuvor als halbszenische Inszenierung mit dem Orchester auf der Bühne vor Schloss Schönbrunn aufgeführt worden ist, wird das ganz deutlich, wenn Elisabeth mit dem Tod flirtet: „Sie ist verliebt in ihn. Er steht für ihre Depression.“ Diese psychische Krankheit ist bekanntlich in der heutigen Gesellschaft auf dem Vormarsch. Die Zahl der Erkrankten steigt stetig. Es ist nicht ausgeschlossen, dass sich allein deswegen einige Menschen auf eine gewisse Art mit der Kaiserin verbunden fühlen.
Für den Wahlhamburger Michael Kunze bietet sie auf jeden Fall bis in die Gegenwart Identifikationspotential, das dazu beiträgt, den Mythos Sisi am Leben zu erhalten. „Elisabeth war eine moderne Frau in einer Zeit, in die sie eigentlich nicht hineingehörte“, bilanziert er. Gern vergleicht er sie mit jemandem, der auf der Titanic war: „In ihrem Falle war die Habsburger Monarchie das Schiff und der Erste Weltkrieg der Eisberg. Obwohl sie wusste, dass das Schiff untergehen würde, konnte sie es nicht verlassen.“
Dennoch hat Sisi den Kriegsausbruch gar nicht mehr erlebt. Sie wurde 1898 in Genf erstochen. Ihr Mörder, der Anarchist Luigi Lucheni, schlüpft in „Elisabeth – das Musical“ in die Rolle des Erzählers. Einerseits ist er als Toter allwissend, anderseits erzählt er laut Michael Kunze eine Geschichte, die er gar nicht versteht. Die wird nun während einer Deutschlandtournee mit modernen Videoprojektionen halbszenisch inszeniert – wie in einem Popkonzert. Das Publikum bekommt quasi Elisabeth-2.0-Version, ohne dass sich der Inhalt grundlegend verändert. Allerdings gibt es weit weniger Rührseligkeit als in den Filmen…
Wer lieber den Sisi-Traum noch ein bisschen weiterleben möchte, kann durch die Kaiserappartements in der Hofburg Wien schlendern. Die Farben Rot, Weiß und Gold dominieren Franz Josephs Audienzzimmer – rote Stofftapeten, eine weiß getünchte Decke mit goldenen Verzierungen, ein Kronleuchter. In diesen Farben ist Sisis Turn- und Toilettenzimmer ebenfalls gestaltet. Zudem hängen an einer Wand zahlreiche Porträts von jenen Menschen, die die Kaiserin mochte. Wie in einer Galerie. Nicht minder interessant ist der Blick in Badezimmer und Toilette. Das WC-Becken hat die Form eines Delfins. Beim Baden in einer Wanne aus verzinktem Kupferblech schaute die Kaiserin einst auf eine Blumentapete.
Als weiteres Ausflugsziel bietet sich Schloss Schönbrunn an. Die Sommerresidenz der Habsburger und der wunderschön angelegte Garten sind tatsächlich ein barockes Gesamtkunstwerk. Ob Elisabeths Toilettenzimmer, das Schreibzimmer der Erzherzogin Sophie – sie galt als „einziger Mann am Wiener Hof“ – mit seinen blauen Sesseln oder das Millionenzimmer mit seiner aufwendigen Ausstattung, in dem einst Maria Theresia Privataudienzen gewährte: Man fühlt sich hier wie verzaubert. Von außen betrachtet ist alles wunderschön und doch weiß man, dass Sisi auch hier nicht wirklich glücklich war. Sie lebte in einem goldenen Käfig, zumindest aus ihrer eigenen Sicht. Vielleicht hat Sisis Aura Sylvester Levay inspiriert, wenn er die Musik für Lieder wie „Ich gehör nur mir“ komponiert hat. Der 79-Jährige bewohnt nämlich mit seiner Frau ein Appartement im Schloss Schönbrunn. Näher dran an Sisi könnte er also kaum sein…
Bildquellen
- Berglzimmer im Schloss Schönbrunn: © Schloss Schönbrunn Kultur- und Betriebsges. m.b.H. Severin Wurnig
- Im Sisi Museum hängen die berühmten Gemälde von Kaiser Franz Joseph und Kaiserin Elisabeth von F. X. Winterhalter (1895): © Schloss Schönbrunn Kultur- und Betriebsges. m.b.H. Severin Wurnig