„Tosca“ bei den Osterfestspielen Baden-Baden
Simon Rattle dirigiert, Philippe Himmelmann inszeniert
Fünf kantige Akkorde im dreifachen Forte. „Robustissimo“ und „Tutta forza“ steht in der Partitur. So beginnt „Tosca“, Puccinis grandioser Opernschocker. Die Berliner Philharmoniker lassen im Festspielhaus Baden-Baden bei der Eröffnung der Opernfestspiele unter Simon Rattle diese kalten Klänge wie Blendraketen aufleuchten, um nach einer kurzen Panikattacke im Blech den Tuttiklang zu einem warmen Erzählton zurückzudimmen. Blitzschnell wechselt das Orchester zwischen Behaglichkeit und Bedrohung, zwischen Leichtigkeit und Drama.
Fast ist der Orchestersound ein bisschen zu elegant in seinen raffinierten Farbmischungen, der virtuosen Beweglichkeit und den wenigen Härten. Ein Luxusklang, der mehr betört als verstört. Aber wenn der erste Klarinettist Wenzel Fuchs sein Solo vor der Tenorarie „E lucevan le stelle“ (Und es blitzten die Sterne) bis an die Grenze der Hörbarkeit zurücknimmt, die Streicher die Gesangslinien in Watte packen oder das Orchester bei den genau dosierten Höhepunkten seine Muskeln spielen lässt, dann entstehen Momente, die sich einbrennen.
Der Beginn der Oper markiert mit seiner kühlen Härte das Revier von Polizeichef Scarpia. Philipp Himmelmann legt in seiner mit heftigen Buhs aufgenommenen Inszenierung den Fokus auf den von Scarpia vertretenen Überwachungsstaat. Diese Idee hatte der Regisseur schon einmal vor zehn Jahren, als er mit seinem Bühnenbildner Johannes Leiacker auf der Seebühne der Bregenzer Festspiele mit dem riesigen Auge ein starkes Bild schuf. Dagegen ist Himmelmanns Baden-Badener Inszenierung ein müder Abklatsch.
Die im Laufe der Oper bis zum Unerträglichen zunehmende Spannung wird von der Regie nicht unterstützt, sondern eher unterlaufen. Dem statischen, wuchtigen Bühnenbild von Raimund Bauer mangelt es an Suggestionskraft. „Tosca“ beginnt in Baden-Baden ganz traditionell in einem Kirchenraum. Das zu malende Porträt der Madonna hat Mario Cavaradossi an die Wand projiziert. Der Revolutionär Cesare Angelotti (Alexander Tsymbalyuk) sucht Schutz vor seinen Verfolgern und erhält einen Essenskorb. Das ist alles ganz traditionell und auch ein wenig bieder inszeniert. Es ist Marcelo Álvarez als über schier unendliche Reserven verfügender Cavaradossi, der die ersten Akzente setzt. Der argentinische Sänger verbindet tenoralen Glanz mit einer leichten, baritonalen Färbung. Von diesem Fundament aus geraten auch die mit voller Bruststimme gesungenen Spitzentöne nie zu eng, sondern beginnen zu leuchten.
Mit der lettischen Sopranistin Kristine Opolais in ihrem eleganten, roten Hosenanzug beziehungsweise Abendkleid (Kostüme: Kathi Maurer) hat er eine Tosca als Partnerin, die nicht ganz auf Augenhöhe agiert. Bei den Duetten ist die Balance nicht immer ausgewogen. Besonders in der Tiefe kommt Opolais kaum durch.
Am Ende des ersten Aktes wird diese „Tosca“ atmosphärisch dichter, wenn das kreisrunde Kirchenfenster zu leuchten beginnt und zu den wuchtigen Klängen aus dem Graben eine ganze Armee von gleich aussehenden Spionen (Peter Tantsits als Spoletta) mit grauem Anzug und Karl-Lagerfeld-Frisur (Philharmonia Chor Wien/Walter Zeh) die bevölkerte Bühne betritt (Cantus Juvenum Karlsruhe/Anette Schneider).
Jeder trägt diesen hellen Kreis als Erkennungszeichen am Revers – auch der Boss Scarpia, dem Evgeny Nikitin mit seinem tragfähigen, geschmeidigen Bassbariton Präsenz verleiht. Nur in der Verhör-Szene im zweiten Akt hat Nikitin eine kürzere Schwächephase, bevor er wieder emotionslos Schrecken verbreitet oder seine sexuelle Gier auf Tosca richtet. Scarpias Büro ist ein kühler, steriler Überwachungsraum. Im Hintergrund flimmern die Monitore und zeigen Menschen in U-Bahnhöfen und auf öffentlichen Plätzen. Der Folterknecht trägt Mundschutz und Aktenkoffer.
Im dritten Akt lässt der Regisseur den transparenten eisernen Vorhang herunter, der den gefangenen Cavaradossi von der Welt abtrennt. Seltsam, wie kühl Himmelmann das letzte Aufeinandertreffen mit Tosca inszeniert, die gerade Scarpia erstochen hat. Die beiden haben sich nichts zu sagen, stehen in großer Distanz zueinander oder wenden sich den Rücken zu.
Der Regisseur möchte laut Programmheft zeigen, dass auch sie sich im totalitären Staat entfremdet haben. Die Musik spricht hier eine andere Sprache, erzählt sie doch von Intimität und Ekstase, wenn die Liebenden im Unisono in die Höhe steigen. Cavaradossi wird mit einer Giftspritze in den Kopf exekutiert, Tosca wählt für ihren Freitod das gleiche Werkzeug. Szenisch wirkt das alles eher unbeholfen und gewollt. Es schafft keinen Raum für die Musik, die hier bedrohlich aus dem Orchestergraben erklingt. Das Finish ist von der Regie verschenkt, der Schock bleibt aus.
Georg Rudiger