„Takakia hat die Dinosaurier kommen und gehen sehen“: Die älteste lebende Landpflanze ist angepasst an Extreme und vom Klimawandel bedroht
Das seltene Moos Takakia hat sich über Jahrmillionen an ein Leben im Hochgebirge angepasst. Die Frage danach, wie genau die Moospflanze ihre Fähigkeit des Überlebens bei Frost und lebensfeindlich hoher UV-Strahlung entwickelte, löste nun ein internationales Forschungsteam unter der Leitung von Prof. Dr. Ralf Reski der Universität Freiburg und Prof. Dr. Yikun He der Capital Normal University / China. Im renommierten Fachjournal „Cell“ beschreiben sie die genetischen Merkmale, die das Moos vor extremen Umweltbedingungen schützen und zugleich dokumentieren die Forschenden, wie der Klimawandel den natürlichen Lebensraum dieser hoch spezialisierten Art innerhalb weniger Jahre stark verändert hat.
Die Gattung Takakia umfasst nur zwei Arten, die nur im Hochland von Tibet, dem „Dach der Welt“, einem Hotspot der Biodiversität, vorkommen. Dort hat Prof. Dr. Xuedong Li, einer der beiden Erstautoren der Studie, im Jahr 2005 Populationen der Art Takakia lepidozioides auf über viertausend Metern Höhe entdeckt. Seitdem hat das Team die Pflanze über ein Jahrzehnt lang im Gebirge und im Labor untersucht. „Es ist schwierig, in dieser Höhe zu arbeiten. Die Höhenkrankheit ist ein Problem und manchmal haben unsere Instrumente versagt“, erklärt Li. „Dennoch liebe ich es, in dieser Umgebung zu arbeiten. Dort verstehen Sie eindrücklich, wie wichtig es ist, die Umwelt zu erhalten und zu schützen“, so Hu.
Im Hochland von Tibet ist das Moos Takakia acht Monate im Jahr unter einer Schneedecke begraben und den Rest des Jahres einer hohen UV-Strahlung ausgesetzt. Um dort zu überleben, brauchen Lebewesen besondere Anpassungen, die bei Takakia in den letzten 65 Millionen Jahren entstanden sind: Erst seitdem hat sich diese Erdregion durch Kontinentalverschiebungen gehoben und den Lebensraum des Mooses immer extremer werden lassen. „Diese geologischen Zeitdaten helfen uns, die schrittweise Anpassung an ein Leben im Hochgebirge im Genom von Takakia nachzuvollziehen“, erklärt Reski, der an der Universität Freiburg forscht. Sein Team hat im Rahmen der aktuellen Studie untersucht, welche biologischen Signalwege die Zellen des Mooses unter anderem vor Kälte und erbgutschädigender UV-Strahlung schützen.
Takakia ist die älteste noch lebende Landpflanze
Das nur wenige Millimeter große Moos ist für die Forschung vor allem deshalb so interessant, weil seine systematische Einordnung lange unklar war, da es Merkmale von Grünalgen, Lebermoosen und Laubmoosen kombiniert. „Wir konnten nun belegen, dass Takakia ein Laubmoos ist, das sich vor 390 Millionen Jahren, kurz nach der Entstehung der ersten Landpflanzen, von den anderen Laubmoosen getrennt hat“, sagt He.
Die besondere Gestalt von Takakia findet sich schon in 165 Millionen Jahre alten Fossilien aus der Inneren Mongolei. Damit liefern die Fossilien den Biologen eine weitere wertvolle Zeitangabe, denn sie zeigen, dass genetische Veränderungen mit Auswirkungen auf das Aussehen vor mehr als 165 Millionen Jahren stattgefunden haben – unter noch ganz anderen Umweltbedingungen.
Veränderte Stoffwechselprozesse schützen vor UV-Strahlung
Genetische Merkmale, die die Verarbeitung von Stresssignalen und die Regulation bestimmter Stoffwechselprozesse beeinflussen, sind laut der aktuellen Studie dagegen jünger und entstanden erst nach der Hebung des Hochlands von Tibet. Die Forschenden konnten deren schrittweise Entstehung innerhalb der letzten 50 Millionen Jahre rekonstruieren und zeigen, wie sie die Zellen des Mooses vor schädlichen Umwelteinflüssen schützen. „Takakia reguliert zum Beispiel seinen Stoffwechsel so, dass sich Moleküle wie Flavonoide und ungesättigte Fettsäuren anreichern, die vor schädlicher UV-Strahlung und freien Radikalen schützen“, erklärt He. „Wir sehen im Genom, dass Signalmoleküle, die DNA-Reparatur, Photosynthese und Mechanismen gegen oxidativen Stress regulieren, unter besonders starker positiver Selektion stehen und sich in den letzten paar Millionen Jahren stark verändert haben.“
Klimawandel kann der Evolution von Takakia nach 390 Millionen Jahren ein Ende setzen
Während Takakia viele Millionen Jahre Zeit hatte, sich an sinkende Temperaturen und steigende Strahlungsintensitäten anzupassen, ändert sich sein Lebensraum nun innerhalb von Jahrzehnten: Seit Beginn der Messungen im Jahr 2010 stellten die Forschenden dort einen durchschnittlichen Temperaturanstieg von fast einem halben Grad Celsius pro Jahr fest. Der nahe der Probestandorte gelegene Gletscher wich gleichzeitig fast 50 Meter pro Jahr zurück. Das hoch spezialisierte Moos kommt mit diesem Temperaturanstieg weniger gut zurecht als andere Arten: Die Takakia-Populationen wurden im Studienzeitraum deutlich kleiner, während andere Pflanzenarten von der Erwärmung profitierten. Dieser Trend wird wahrscheinlich weitergehen, fürchten die Forschenden: „Unsere Studie zeigt, wie wertvoll Takakia ist, um die Evolution von Landpflanzen nachzuvollziehen. Der von uns festgestellte Populationsrückgang ist erschreckend“, sagt He. „Zu wissen, dass die Pflanze vom Aussterben bedroht ist, gibt uns zum Glück aber auch die Chance, sie zu schützen, etwa durch eine Vermehrung im Labor“, betont Hu. „Takakia hat die Dinosaurier kommen und gehen sehen. Es hat uns Menschen kommen sehen. Nun können wir von diesem winzigen Moos etwas über Resilienz und Aussterben lernen“, fasst Reski zusammen.
Bildquellen
- Wildwachsende Takakia-Population im Hochland von Tibet.: Foto: Xuedong Li / Capital Normal University Peking.