Susanne Kennedy inszeniert am Theater Basel Philip Glass‘ Oper „Einstein on the Beach“ als begehbare Installation
Der Opernabend hat noch nicht begonnen, da wird man am Theater Basel schon Teil des Geschehens. Zur digitalen Soundkulisse bewegen sich seltsam gekleidete Menschen im Parkett mit Pultlampen auf dem Kopf, während die Zuschauerinnen und Zuschauer Platz nehmen. Die verstörenden Lotsen weisen den Weg zur Bühne, suchen den Kontakt und laden mit durchdringendem Blick ein, die eigene Komfortzone zu verlassen. Dass man während der vierstündigen Oper „Einstein on the Beach“ von Philip Glass und Robert Wilson auf die Toilette gehen oder einen Drink im Foyer zu sich nehmen kann, ist von den Autoren so gedacht. Das Theater Basel geht aber bei dieser Produktion, die in Kooperation mit den Wiener Festwochen und dem Haus der Berliner Festspiele entstanden ist, noch einen Schritt weiter. Das Publikum kann sich frei im Raum bewegen und die Bühne bevölkern. Regisseurin Susanne Kennedy und Bühnenbildner Markus Selg haben eine begehbare Installation geschaffen.
Was diese genau darstellt, bleibt im Ungefähren. Ein erhöhter, durchbrochener Strahlenkranz (oder eine Tunnelröhre?) dominiert einen Versammlungsort. Auf dessen Rückseite gibt es einen Wohnbereich mit Höhle und Papp-Lagerfeuer und eine Art Kultstätte mit Stierkopf. Hier essen, beeten, schlafen und tanzen diese gemusterten Menschen (Kostüme: Teresa Vergho), die sowohl in der Vergangenheit als auch in der Zukunft verortet werden könnten. Nur zwei von ihnen (Frank Willens, Ixchel Mendoza Hernández) treten mit technisch verzerrter Stimme ab und zu in einen sinnfreien Dialog. Auch die strenge Suzan Boogaerdt spricht gelegentlich einen englischen Satz. Die Basler Madrigalisten gehören ebenfalls zu diesem Stamm. Warum sie vor ihrem Gesicht Schutzschilder tragen, bleibt rätselhaft – wie so vieles an diesem ausuferndenAbend, zum Beispiel auch die digitalen Bildwelten, die über die beiden Großleinwände flimmern. Die Fantasielandschaften entstehen und zerfließen wieder, ohne dass es Konsequenzen hätte. Eine Dauerschleife der Beliebigkeit.
Nur das Basler Ensemble Phoenix im Orchestergraben ist ein Fixpunkt. Hier entstehen die sich wiederholenden Tonleitern und Dreiklangsbrechungen, die die Minimal Music des amerikanischen Komponisten kennzeichnen (souverän an der E-Orgel: Ludovic Van Hellemont und Samuel Wettstein). Die vorzüglichen Basler Madrigalisten übernehmen die Patterns mit instrumentaler Perfektion. Ein Rädchen greift ins andere. Der designierte Freiburger Generalmusikdirektor André de Ridder behält kühlen Kopf und orientiert sich mit erstaunlicher Gelassenheit in der Partitur. Die rechte Hand gibt den Puls vor, mit der linken zählt er für alle sichtbar die Wiederholungen. Die Präzision der musikalischen Interpretation verblüfft, die heiklen Übergänge und Schlüsse gelingen traumwandlerisch sicher. Vor allem schafft es de Ridder, die Musik nicht mechanisch ablaufen zu lassen, sondern Phrasierungen zu entwickeln. Diamanda Dramm an der Solovioline ist ein Ereignis. Die Sopranarie singt Alfheiour Erla Guomundsdóttir kristallin vom Bühnenrand, während ihre Doppelgängerin Ixchel Mendoza Hernández, auf Schultern getragen von ihren Stammesbrüdern und -schwestern, den Gesang simuliert.
Es dauert ein wenig, bis das Basler Publikum das revolutionäre Raumkonzept annimmt. Aber nach und nach verlassen immer mehr ihre Sitzplätze und verteilen sich auf und hinter der Bühne, die sich fast unterunterbrochen langsam dreht. Jeder einzelne kann sich so seine eigene Inszenierung von diesem Abend machen und Details fixieren oder, auf dem Boden liegend, meditativ in den Klang und die Bilderflut eintauchen. Das theatralische Erlebnis, die Basler Madrigalisten auf der Drehbühne aus nächster Nähe zu hören, sich mit einer hinzukommenden Performerin einen Felsen zu teilen und dabei die langsam vorbeiziehende Theaterwelt auf sich wirken zu lassen, ist enorm. Aber das Konzept von Susanne Kennedy und Markus Selg verhindert auch eine Fokussierung und bringt Unruhe mit sich. Szenen werden von Zuschauern störend kommentiert, ständig latscht jemand ins Blickfeld. Auch zwei herumstreunende Zwergziegen sorgen für Ablenkung. Die Musik bräuchte aber diese szenische Verdichtung, um ihre meditative, trancehafte Wirkung entfalten zu können und am Theater Basel die Spannung über die dreieinhalb Stunden zu halten. Das gelang der Oper Genf vor drei Jahren in der suggestiven, bildstarken Inszenierung von Daniele Finzi Pasca besser. Magie entfaltet die Basler Produktion keine. Ein ungewöhnliches Musiktheatererlebnis bietet dieser „Einstein on the Beach“ aber auf jeden Fall.
Bildquellen
- Diamanda Dramm an der Solovioline: Foto: Ingo Höhn