Spiel mit der Schwerkraft: Das Museum Ritter in Waldenbuch zeigt Werke der Bildenden Künstlerin Birgitta Weimer
Es scheint zunächst eigentlich ganz simpel: Wer schon einmal Domino gespielt hat weiß, dass die Entnahme eines einzigen Steinchen den gesamten Ablauf zum Stillstand bringt. Das System funktioniert nicht mehr – oder zumindest nicht so, wie es vorgesehen war. Ähnlich verhält es sich mit unseren Ökosystemen. Jedes Tier, jeder winzige Organismus und jedes Element tut seines zum großen Ganzen. Welche Folgen zum Beispiel der Tiefseebergbau haben könnte, ist bis heute nicht gänzlich geklärt. Klar ist, dass monetäre Interessen in der Tiefsee für Goldgräberstimmung gesorgt haben. Sie ist das größte und eines der artenreichsten Ökosystem unserer Erde. Dr. Matthias Haeckel ist Projektkoordinator von „JPIO MiningImpact“ und forscht im Bereich der Marinen Biochemie – seit Jahren warnt er vor den Folgen des Tiefseeabbaus, fordert internationale Regeln. Denn wo der Mensch den Tiefseeboden umpflügt, finden sich auch Jahrzehnte später kaum noch Lebewesen. Goldgräberstimmung herrscht heute vor allem dort, wo sich polymetallische Knollen befinden, die Mangan, Kupfer, Nickel und Kobalt enthalten – essenzielle Rohstoffe für die Elektromobilität und den Ausbau der Windenergie. Zwischen Hawaii und Mexiko befindet sich z.B. die Clarion-Clipperton-Zone, ein Gebiet etwa so groß wie die Europäische Union.

Im Museum Ritter steht man am Eingang zur Ausstellung „Connectedness“ den meterhohen Medusen der Künstlerin Birgitta Weimer gegenüber. Sie schweben, an scheinbar unsichtbaren Fäden im Raum und wirken so, trotz ihrer Größe und der tiefroten Farbe, unendlich leicht. Ihre Tentakeln, in Wahrheit Vinnylan-Schläuche, erzittern beim kleinsten Windhauch. Beinahe so, als würden sie im nächsten Moment wieder davonschwimmen. Die Installation „Deep Sea“ (2012) ist eine Momentaufnahme, die den Raum einnimmt. So wie die Quallen, im wissenschaftlichen Sprachgebrauch Medusen genannt, die Weltmeere einnehmen. Sie gehören zu den wenigen Gewinnern der steigenden Wassertemperaturen und dürften zukünftig sogar bis in den arktischen Ozean vordringen. In Waldenbuch verharren sie über kleinen Plateaus am Boden, pardon, Meeresboden. Schwarz und kreisförmig, entstehen sie durch den Abbau der Manganknollen. Skurrile Lebensformen der maritimen Flora versammeln sich dort – beinahe wie eine Art Rettungsboot. Wer um diese Installation seine Runde dreht, entdeckt dahinter ein weiteres Spiel mit der Schwerkraft. Überhaupt scheint Weimer den natürlichen Gesetzen zu trotzen. Ihre „Wahrscheinlichkeitswolke“ (2017, lackierter Kunststoff) schwebt in einer spiegelnden Konstruktion, bei der sowohl der Boden als auch die Seite reflektiert. Dabei durchbricht die Künstlerin unser räumliches Verständnis und kreiert eine Art Zeit-Raum-Vakuum, in der die Wahrscheinlichkeitswolke, eine Gebilde aus schwarzen Kugeln, scheinbar schwerelos verharrt. Moleküle, die sich im Raum bewegen, aus den Wänden hervorbrechen und das für uns Unsichtbare erkenntlich machen. „Kunst muss wieder in die Zeit hineinwirken“, erklärt Birgitta Weimer in einem Interview. Ihre Ausstellung in Waldenbuch tut dies. Sehenswert, ästhetisch wie zeitgeistig.
Birgitta Weimer. Connectedness. Museum Ritter, Alfred-Ritter-Straße 27, Waldenbuch. Bis 21.04.25
Bildquellen
- Birgitta Weimer: „Deep Sea“, 2012, Museum Ritter 2025: Foto: E. Jockers
- Birgitta Weimer: Foto: Ulla Burghardt