Nachhaltig

Selbstwirksamkeit: Ein gelungener Coup macht Lust auf mehr

Eine Anekdote aus dem Buch „Ziviler Ungehorsam schaltet Deutschland Atomkraft aus! Eine historische Bewegung und die Kultur des Widerstands“ erschienen im Verlag Belleville

Duisburg 1989. Ich war Mitte 20, meine Abneigung gegen Atomkraft war in in Tatendrang umgeschlagen, nachdem die Tschernobyl-Wolke das Versagen des globalen Atomdorfs schonungslos offenbarte. Ich wollte mich nützlich machen und wurde von einer Bürgerinitiative herzlich aufgenommen. Anti-Atom, mitten im Kohlenpott, erst auf den zweiten Blick folgerichtig: die Kohle-Blütezeit neigte sich dem Ende und damit die Zeit, als die SPD sogar einen Besenstil als Kandidaten hätte aufstellen können und damit über 70% geholt hätte. Ein wackerer Kommunalpolitiker ließ sich von der Gesellschaft für Nuklearservice mit Arbeitsplatz und Steuergeld-Verheißungen ködern und so wurde eine alte Thyssenhalle zur Atommüll-Konditionierungs-Anlage. Die Menschen in Schule, Kindergarten und Wohnungen nebenan waren durch Filter der Güteklasse „S“ geschützt – erklärte man uns, die wir Fragen stellten. Aus der Zeitung war wenig zu erfahren – auch das war folgerichtig – die Westdeutsche Allgemeine pflegte eine lange Tradition der SPD-Hofberichterstattung. Meine Mitstreiter:innen schilderten, als wir gemeinsam eine Demo organisierten, wie ihre komplette Pressearbeit bei der WAZ im Papierkorb landete. „Ey, dann druckt doch wenigstens mal ne Terminankündigung, Briefmarken-Größe!“
Wie sollte man am medialen Platzhirsch vorbei Öffentlichkeit schaffen? „Wir könnten doch die großen, gelben Fässer mit dem Radioaktiv-Zeichen auf Autos schnallen, als Hingucker, für die Plakate in den Autofenstern. Mein Freund ließ mich seinen R4 dekorieren, der genau da parkte, wo ständig die Atomschrott-Laster vorbeikamen. Dann passierte Wunderliches: „Da steht Polizei an Eurem Auto, und ein Typ in Zivil, mit Messgerät!“ berichtete ein amüsierter BI-Mitstreiter, den ich auf der Straße traf. „Dat isser!“ rief er plötzlich, sprang auf die Fahrbahn, breitete die Arme aus und erklärte dem verdutzten Fahrer: „Hier, ich hab se! Die is dat mit dem R4 und dem Fass!“ Ich erkannte ihn wieder und brach innerlich zusammen. Der freundliche Herr von der Gewerbeaufsicht, der mir tags zuvor die Finessen der Filter (Güteklasse S) unterbreitet hatte! Nervös und fahrig rezitierte er Passagen aus der Strahlenschutzverordnung, die mir angeblich verbieten, eine Deko, die jeder Honk als Attrappe identifiziert, auf‘s Auto zu schnallen. Von Bußgeldern über Tausend Mark war die Rede. Die bettelarme Studentin war amüsiert und lächelte den diensteifrigen Behörden-Diener freundlich an, versuchte Druck aus dem Kessel zu nehmen. Der entfloh jedoch in sein Auto und fuhr von dannen. Unter Lachtränen rannte ich in die Wohnung und telefonierte alle Käseblättchen durch: “Hören Sie, ich hab ne lustige Geschichte.“ Und weil ich grad in Schwung war, rief ich auch bei der WAZ an. Wie konnte ich ahnen, dass unser bockigster Widersacher gerade im Urlaub war? Als die Zeitung einen Fotografen rausschickte und am Folgetag einen großen Artikel mit Bild druckte, konnte ich mein Glück kaum fassen. Das Telefon stand nicht still, Freund:innen und BI-Leute meldeten sich kichernd und glucksend. Ach und auf der Demo war was los! Als wir die laut donnernden Fässer durch die Stadt rollten, bekamen wir Gelächter, Applaus und Kommentare à la: “Hömma, dat dürft Ihr doch gaanich – dürft Ihr dat denn?“

Bildquellen

  • WAZ Fass-Atrappen versetze Gewerbeaufsicht in Alarm: Quelle: privat
  • Eine Anekdote aus dem Buch „Ziviler Ungehorsam schaltet Deutschlands Atomkraft aus! Eine historische Bewegung und die Kultur des Widerstands“, erschienen im Verlag Belleville: Quelle: Verlag Belleville
  • Eine Anekdote aus dem Buch „Ziviler Ungehorsam schaltet Deutschlands Atomkraft aus! Eine historische Bewegung und die Kultur des Widerstands“, erschienen im Verlag Belleville: Quelle: Verlag Belleville