„Schall und Rauch“ Ausstellung im Kunsthaus Zürich
Lässt sich die Epoche zwischen den beiden Weltkriegen, berühmt durch ihre sprühende Experimentierfreude, kühnen Manifeste, frappierenden Bilder und Designikonen, in einer Ausstellung vermitteln? Dies geschieht derzeit im Kunsthaus Zürich, wo „Schall und Rauch. Die wilden Zwanziger“ deutlich macht, dass in diesem Zeitraum alles hinterfragt wurde, von der Kunst über die Wissenschaft bis zu Kleidung, Architektur, Liebe und Zusammenleben. Seit dem verheerenden Ersten Weltkrieg entwickelte sich eine internationale intellektuelle Dynamik, die Denkgewohnheiten erschüttert und Stilrichtungen wie Expressionismus, Dada, Konstruktivismus, Bauhaus und Neue Sachlichkeit hervorbringt. Indessen wachsen die Metropolen, Technik, Industrie und Freizeitvergnügen expandieren; aufgebrochen werden traditionelle Geschlechterrollen und Arbeitsbedingungen. Frauen treten verstärkt in Erscheinung, engagieren sich für den Frieden, entwickeln eine kritische Ästhetik (etwa Jeanne Mammen, Hannah Höch), revolutionieren den Tanz (Suzanne Perrottet, Josephine Baker, Valeska Gert u.a.) und erfinden die moderne Kücheneinrichtung.
Zwischen expressivem Eigensinn und funktionaler Konstruktion entstand ein Spannungsfeld von Formensprachen und Wahrnehmungsweisen avantgardistischer Kunstströmungen, die in Berlin, Paris, Wien und Zürich ihre Zentren hatten. Die Ausstellung „Schall und Rauch“ erfasst dies anhand von rund 300 Werken von 80 Künstler*innen, darunter Albers, Arp, Baargeld, Blumenfeld, Brancusi, Breton, Breuer, van Doesburg, Duchamp, Feininger, Grosz, Hoerle, Hubbuch, Kandinsky, Klee, Léger, Moholy-Nagy, Mondrian, Ray, Richter, Rietveld, Schad, Schwitters, Stepanowa, Vallotton, van der Rohe u.v.a.. Die Exponate werden nicht nach Gattungen präsentiert, sondern sozio-kulturellen Themen zugeordnet, z.B. „Abschied vom Kriegstrauma“, „Neue Rollenbilder“, „Sehgewohnheiten“ oder „Rausch der Bewegung“.
„Die 1920er-Jahre waren ein Jahrzehnt der Aufbrüche und Rückfälle. In keinem Moment des 20. Jahrhunderts war die Sehnsucht der Menschen nach Neuerungen so groß wie damals“, sagt die Kuratorin Cathérine Hug. Eben diese spezifische Stimmung zieht sich als roter Faden durch alle Bereiche, Malerei, Skulptur, Zeichnung, Grafik, Collage, Fotografie, Film, Design, Architektur und Körperauffassung; letztere wird in der Sektion „Arbeitswelt und Freizeitgestaltung“ u.a. anhand der Pariser Modeszene der „Années folles“ beleuchtet, etwa durch ein Tanzkleid von Coco Chanel und eine Abendrobe von Paul Poiret. Die „Goldenen Zwanziger“, die schließlich durch Weltwirtschaftskrise, NS-Diktatur und Flucht ins Exil ein abruptes Ende finden, kennzeichnet bekanntlich auch erschreckendes Elend. Um dieser schillernden Komplexität mit nüchterner Distanz auf die Spur zu kommen, wird die Ausstellung von einem weiterführenden Katalog begleitet (Snoeck-Verlag. Texte von C. Hug, Petra Joos, Gioia Mori, Jakob Tanner, Alexis Schwarzenbach. 272 S., 200 Abb., 39,80 €). Zudem stellt die Schau explizit einen Gegenwartsbezug her, indem zeitgenössischen Künstler*innen, darunter Alexandra Navratil, Shirana Shabbazi, Veronika Spierenburg und Thomas Ruff, ein Forum geboten wird, um sich mit den Ideen und Widersprüchen der 1920er Jahren auseinanderzusetzen und diese ins Bewusstsein zu spielen.
Kunsthaus Zürich. Heimplatz 1. Di-So 10-18, Mi, Do 10-20 Uhr. Bis 11. Oktober 2020
Bildquellen
- Christian Schad, Maika, 1929 Öl auf Holz, Privatsammlung: © Christian Schad Stiftung Aschaffenburg, 2020 ProLitteris