„Sagt Lila“ – Die Liebe im Schattenhain
Es ist eine Gegend, in der man vor herabfallenden Kühlschränken acht geben sollte. Die Blöcke F, H und X bilden zwar eine Gerade, aber Fortschritt muss man darin nicht erkennen. Eher Stagnation, da kann es schon mal passieren, dass sich einer der Bewohner mit dem Herabstoßen eines Kühlschranks ein bisschen Bewegung verschaffen will. Es empfiehlt sich, einen Sicherheitsabstand zu den Häuserwänden einzuhalten. Die übrigen Bewohner von Paris tun dies sowieso – weiträumig.
Schlicht „Sagt Lila“ heißt der Roman eines gewissen Chimo, der Grundlage für Luzius Heydrichs Inszenierung in der Kammerbühne des Theater Freiburg ist. Der Text kam auf dem ungewöhnlichen Weg einer Vermittlung durch einen Rechtsanwalt Mitte der 90er Jahre an den Verlag. Der Autor selbst will anonym bleiben und gibt seiner Geschichte doch die größte denkbare Authentizität. Sie erzählt von einer ersten Liebe in der französischen Banlieue. Ob sie wirklich biografisch ist, wird man anzweifeln dürfen, zu gebaut und eindeutig zu literarisch wirkt „Sagt Lila“. Genau dies macht die Qualität dieses Textes aus.
Im Theater Freiburg findet diese Liebe im Schattenhain eines Turms aus Plastikboxen statt, ein bisschen Grün kränkelt angegraut vor sich hin (Bühne: Birgit Holzwarth). „Sagt Lila“ lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Das kann man pornografisch nennen, dann übersieht man jedoch, dass hier zwei Jugendliche auf der Suche nach einer Sprache füreinander sind. Und die Zeichen stehen schlecht. Chimo (Konrad Singer) beklagt die Verwahrlosung im Viertel, das nur ein „Fick dich, Opa“ oder „Opfer“ kennt. Er selbst flüchtet sich aus der Hochhaussiedlung auf ein Baustellengelände, auf dem er sich mitten im Gras eine Schreibklause einrichtet. Lila (Elisabeth Hoppe), die zu Beginn von Heydrichs Inszenierung in Spitzenleggings und Tanzröckchen auf dem Turm balanciert, macht deutliche Angaben. „Willst Du meine Möse sehen?“ – soviel Verheißung verschlägt Chimo erst einmal die Sprache. Und dennoch ist „Sagt Lila“ auf eine fast altmodische Art eine romantische, scheue Liebesgeschichte und Chimo ihr Erzähler, also alles andere als sprachlos. Er schreibt und erzählt, anstatt zu handeln, in diesem Fall zu retten. Es ist nicht das erste Mal, dass so Literatur entsteht.
Regisseur Luzius Heydrich lässt seinen beiden Darstellern Raum. Immer wieder brechen sie die Intimität der Kammerbühne auf und drängen mit der Wucht der Jugend ins Publikum. Zueinander findet das Paar so nicht. Konrad Singers Chimo macht Fußballkunststücke ohne Ball, wenn er reden müsste und ist doch im Monolog noch gestisch und dialogisch. Elisabeth Hoppe verleiht der Figur der Lila ein unschuldiges Mädchengesicht, das man im 19. Jahrhundert madonnenhaft genannt hätte und zugleich eine sexuelle Zügellosigkeit. Keine Frage, sowohl Chimos Sensibilität als auch Lilas Tabulosigkeit sind Projektionen. Die Geschichte, die Regisseur Heydrich mit den beiden intensiv aufspielenden Darstellern erzählt, berührt dennoch, ohne dass ein sozial affiner Voyeurismus bedient werden würde. Am Ende erfüllt sich Lilas Vorstellung vom Geschenk, das sie dem machen wollte, den sie liebt, aufs Falscheste. Ein starker Abend.
Weitere Vorstellungen:
6./22. und 29. März in der Kammerbühne
Annette Hoffmann