Roland Schimmelpfennig zeigt „Die Bacchen“ am Theater Basel
“Die Geburt des Gottes aus der Rache”
Wenn Dionysos zu einer dramatischen Figur wird, ist er bereits auf gutem Weg zum Apollinischen. Was Euripides in „Die Bacchen“ erzählt, könnte so auch in Ovids „Metamorphosen“ stehen. Pentheus wird von der eigenen Mutter für einen Löwen gehalten, nachdem er die Bacchen im Gebirge Kithairon unerlaubt beobachtet hat. Agaue zerreißt den Sohn im bacchantischen Rausch.
In „Die Bacchen“ ist diese ungeheuerliche Tat eingebunden in einen Legitimationskonflikt von göttlicher und weltlicher Macht. Dionysos kehrt nach Theben zum Grabmal seiner Mutter Semele zurück. Während Asien bereits seinen Kult feiert, weigert sich Pentheus den Gott anzuerkennen. Dieser hat längst alle Frauen aus den Häusern in die Wälder des Kithairon gelockt, wo sie mit Gesang und Tanz dem Gott huldigen. Schlimmer noch Pentheus nimmt Dionysos gefangen. Er wird keinen Stein Thebens auf dem anderen lassen. Ganz schön heftig, beinahe zu gewaltig, um es auf die Bühne zu bringen. Bei Euripides ist der Untergang der Familie des Kadmos in eine strenge Form eingekleidet. In Basel ist nun Roland Schimmelpfennigs Bearbeitung der antiken Tragödie im Schauspielhaus zu sehen. Schimmelpfennig hält sich an die Geschehnisse, fasst aber Sprache und auch die Dramenstruktur freier auf. In Robert Borgmanns Basler Inszenierung wird etwa der Chor von den beiden reisenden Bacchantinnen (Pia Händler, Cathrin Störmer) übernommen.
Tatsächlich beginnt die gut dreistündige Vorstellung im Schauspielhaus wie sie idyllischer nicht sein könnte: das Ensemble verteilt gut gelaunt Trauben im Publikum und auch Flaschen gehen um. Derweil blickt man auf eine Tafel rechts, an der vertraut geplaudert wird, auch der Musiker Philipp Weber findet hier Platz und auf eine weiße Spielfläche, die nicht lange so clean bleiben wird. Minutenlang wird das Ensemble mit Blut, weißem Pulver und Erde um sich werfen und sich auf dem Boden suhlen, die Körper aneinander reibend, angetrieben von Webers Gitarre und Synthesizerklängen. Später wird die Leinwand mit den Abdrucken der Körper hochgezogen und wie ein Bild an der Rückseite der Bühne hängen und immer wieder wird vor diesem ein schwarzer transparenter Vorhang heruntergelassen (Bühne: Robert Borgmann). Das sieht dann so aus als legte sich etwas Zivilisation über das Orgiastische.
Tatsächlich entscheidet sich weder Euripides noch Schimmelpfennig, am ehesten noch Borgmann, ob man sich auf die Seite des Gottes oder des Herrschers schlagen soll. Wenn der eine für die Verschmelzung mit der Natur steht, verkörpert der Krisenmanager Pentheus (Ingo Tomi) die Rationalität. Und auch wenn Borgmanns Inszenierung keine aktuellen Anleihen sucht, so durchläuft die Geschichte der Vernunft doch einen Schnelldurchgang: einmal sieht man einen barocken Bacchus, das andere Mal tragen die Bacchantinnen Rokoko-Kostüm und am Ende ist eine Projektion von Found-Footage-Videos zu sehen, die dann aber nichts mehr mit Rationalität zu tun haben (Kostüme: Lili Anschütz). Vielleicht aber ist Dionysos (Thiemo Strutzenberger) auch nur ein Hochstapler mit göttlichen Kräften. Fest steht nur, dass seine Rache grotesk und unverhältnismäßig ist. Wenn Agaue (Katja Jung) später mit einem Etwas von Kopf, das von Fleischlappen umhüllt ist, zum Palast zurückkehrt und diesen immer noch für den Schädel eines Löwen hält, während ihr Vater Kadmos (Michael Gempart) das Ausmaß der Katastrophe längst begriffen hat, kann das schon an die Nieren gehen.
Thiemo Strutzenberger ist als Dionysos ein Darsteller, der solche Unwägbarkeiten herstellen kann. Strutzenberger gibt die göttliche Diva, die sich durchaus erniedrigen kann, gilt es, den Menschen eine Falle zu stellen. Dieser Gott girrt und lockt, wirbt um Vertrauen und zerstört. Aus allem wird er stilvoll im weißen Anzug wie ein Dandy hervorgehen. Robert Borgmann hat einen bildhaften Zugang zu diesem Stoff, manches wirkt ausgesprochen skulptural, doch vor allem sucht er eine geradezu dionysische Synthese von Literatur, Licht, Kunst und Musik, die einen über weite Strecken nicht los lässt. Man muss nicht alles an dieser Inszenierung mögen, vieles ist grotesk und hat Längen. Doch wenn am Ende außer einem Erdhaufen ein bürgerliches Sofa auf der Bühne steht, entwickelt der Untergang eine Dynamik, die mehr als nur eine Kleinfamilie mit sich reißt.
Weitere Vorstellungen: 3./ 7./15./17. und 29. April, Schauspielhaus Basel.
Annette Hoffmann