Theater

Ralf Burons Inszenierung von Ferdinand von Schirachs „Gott“ fragt, wie wir sterben wollen

Es tagt der deutsche Ethik­rat. Es warten Dr. Keller (Natalia Herrera), Frau Gärtner (Doris Wolters) und ihre Anwältin Dr. Brandt (Elisabeth Kreßler). Und wir, dass noch der letzte von uns seinen Platz eingenommen hat und, dass die ersten Experten zum Sachverhalt Stellung beziehen werden. Frau Gärtner möchte nach dem Tod ihres Mannes, mit dem sie 42 Jahre glücklich verheiratet war, nicht mehr. Ihre Ärztin verweigert der 78-Jährigen die lebensbeendenden Medikamente. Und da ihr Mann ihr, als er starb, riet, es richtig zu machen, hat sich Frau Gärtner an den Ethikrat gewandt. Denn ihr Fall – es geht ja um nichts anderes als mit ärztlicher Hilfe, aber im Vollbesitz der geistigen Kräfte, das Leben zu beenden ‒ ist von grundsätzlicher Natur. Spielen Ärzte Gott, wenn sie jemandem helfen zu sterben oder sind wir ihm gegenüber verpflichtet zu leben? „Gott“ heißt auch das Stück von Ferdinand von Schirach, das Ralf Buron für das Kammertheater im E-Werk eingerichtet hat.
Sterbehilfe ist in Deutschland nicht zuletzt wegen der praktizierten Euthanasie im „Dritten Reich“ ein kompliziertes Thema. Von Schirach behandelt es ganz ähnlich wie „Terror“ als Debattenstück, das ein bisschen Gerichtssitzung und Bürgerparlament ist. Geht man aus dem Theater, hat man Stellung bezogen und seine Stimme abgegeben und ist ein bisschen schlauer, so als hätte man einer Stunde Staatsbürgerkunde oder einer Veranstaltung der Zentrale für politische Bildung beigewohnt. Es sind Fragestellungen für das Bundesverfassungsgericht und für Rhetorikklubs. Doch dass der Tod das viel beschworene gesellschaftliche Tabuthema ist, darf bezweifelt werden. Erst recht während einer Pandemie. Es gibt nur eben angenehmere Gedanken, als „mit dem Nichts allein“ zu sein, wie es Frau Gärtner formuliert. An das große Tabu Tod scheint auch Buron nicht ganz zu glauben, lässt er die drei Schauspielerinnen doch erzählen, wie Freunde starben oder lebensgefährlich erkrankt waren. Eine schöne Idee, die jedoch effekthaschend jeweils mit großem Krachen angekündigt wird.
Doch ein Tabu zu beschwören, gehört auch zur Masche der Stücke von Schirachs, denn das muss man sich erst einmal vorstellen, das Leben eines anderen zu beenden oder wie in „Terror“ menschliches Leben gegeneinander aufzurechnen. Dabei ist es auch nicht so, dass die Zuschauer, völlig wertneutral durch ihre Meinungsbildung geführt werden. Es gibt Positionen, wie hier die des Theologen, die auf verlorenem Posten stehen. Und sei es nur, weil wir in einer säkularen Gesellschaft leben. Manche werden als Sympathieträger gezeichnet, anderen möchte man das eigene Leben nicht überantworten.
In Ralf Burons Inszenierung werden die Experten, der Verfassungsrechtler (Peter Haug-Lammersdorf), die Ärztin (Myriam Tancredi), der Chef der Ärztekammer (Christoph Stein) und der Bischof (Boris Koneczny) per Video zugeschaltet. Das wechselnde (Fach)Bücherregal im Hintergrund mag ein ironischer Verweis auf die diversen Zoom-Konferenzen der letzten Monate sein, doch ist eben auch sehr stereotypisch. Die anwesenden drei Frauen werden, sitzen sie links am Tisch, ebenfalls gefilmt und projiziert, was zu merkwürdigen Doppelungen führt. Zudem verträgt eine derartige Großaufnahme einzig die Figur von Doris Wolters. Bei der Anwältin und der Vorsitzenden des Ethikrats ist viel Strategie, viel Mokieren und Markieren im Spiel. Das wäre in einer realen Sitzung schon nicht ganz zweckfrei und so geht keine plötzliche Einsicht oder keine Freude über eine geistreiche Finte über die Gesichter, die nicht gestellt wäre. Das unterliegt der Mechanik von den Stücken Ferdinand von Schirachs, könnte aber subtiler und weniger langatmig sein.

Weitere Vorstellungen: 20./21./23. Oktober, je 20.30 Uhr im E-Werk.

Bildquellen

  • Ralf Burons Inszenierung von Ferdinand von Schirachs „Gott“ fragt, wie wir sterben wollen: Foto: Ralf Buron