„Prière de toucher – Der Tastsinn in der Kunst“ – Ausstellung im Museum Tinguely Basel
„Berühren und Berührtwerden“
Ohne Sehen, Hören, Riechen, Tasten und Schmecken? Da verfiele der Mensch dem Stumpfsinn. Mit den fünf Sinnen befasst sich derzeit eine Ausstellungsreihe im Museum Tinguely, die letztes Jahr mit dem Thema Riechen begann. Nun geht eine Schau dem haptischen Sinn als Grundlage unserer Welterfahrung und ästhetischen Kompetenz nach und führt dabei auch durch zweitausend Jahre Kulturgeschichte.
Ein Museum spricht zunächst die visuellen Sinne an, aber im Auge sitzen Tastempfindungen, die auch ohne physischen Hautkontakt „berühren“ und Bilder synästhetisch erfassen. Der Tastsinn hat viele Eigenschaften; eines seiner Organe ist die Hand, in deren Fingerspitzen besonders feine Sinneszellen sitzen, ebenso wie in Lippen und Zunge.
Tastempfindungen sind von körperlichen Gefühlen (Wohlbefinden, Schmerz u.a.) nicht trennbar und unterscheiden stetig zwischen kalt, warm, hart, weich, rau, glatt. Obwohl sich unser Wahrnehmungsapparat durch Technik und Medialisierung auf beträchtliche Entfernungen eingestellt hat, bleiben die hautbezogenen Nah-Sinne elementar. Das erfährt der Besucher etwa auf einem Parcours mit antiken Skulpturen, die er mit verbundenen Augen abtasten darf.
In der Druckgraphik des 16. und 17. Jahrhunderts werden die fünf Sinne zum häufig dargestellten allegorischen Sujet, was reizende Exponate belegen, die auf einer der 22 Stationen dieser Ausstellung zu sehen sind. Mittels ethnologischer Objekte aus verschiedenen Weltgegenden wird thematisiert, dass Tabus und Erlaubnisse des Berührens in allen Kulturen gegenwärtig waren und geistige und körperliche Berührung verbunden sind. Die ambivalente Sicht auf den Tastsinn verdankt sich nicht zuletzt der Tatsache, dass er die Erfahrung von (erotischer) „Zwischenleiblichkeit“ (M. Merleau-Ponty) ermöglicht. Das Zusammenwirken von Hand, Zeichenwerkzeug und Papier ermitteln Zeichnungen von Jérôme Zonders.
Für die bürgerliche Gesellschaft im 18. und frühen 19. Jahrhundert waren Sehen und Hören die kunsttauglichen Sinne, wovon sich die Kunst im 20. Jahrhundert gründlich emanzipiert – sie weist auf den Körper des Künstlers sowie auf die Eigenschaften seines Materials, das nun auch jeglicher Alltagsgegenstand sein kann. Das belegen zunächst Exponate von Man Ray und Duchamp, dessen Werk „Bitte berühren“ (eine aus Schaumstoff geformte weibliche Brust) als Ausstellungstitel dient. Das distanziert kalte Sehen wird zunehmend suspekt und demzufolge der Körper performativ agierend eingesetzt, etwa in den „Anthropometrien“ von Yves Klein, die ihn malerisch abdrucken. Doch letztlich erweist sich der Film als ideales Medium, um taktile Prozesse darzustellen, die für feministische Positionen, Actionpainting der 1960er Jahre und bis zur Performance in der Gegenwartskunst zentral werden (z. B. bei Marina Abramovic & Ulay).
Jeroen Eisingas Video „Springtime“ lässt erfahren, wie Abertausende von Bienen seinen Körper bedecken. Ein Video von Javier Tellez zeigt sechs Blinde, die jeweils einen Elefanten ertasten und dabei unterschiedliche Bilder hervorbringen; ein anderes Video („Blindly“) beobachtet Blinde beim Malen. Auf den Besucher warten mehrere interaktive Spielplätze; so kann er sich von einem Roboter abtasten lassen, durch ein Meer weißer Luftballons waten, eine Skulptur von Augustin Rebetez begehen, eine „Wärmedrahtinstallation“ passieren und begreifen, dass sich die Orientierung im Raum ebenso dem Tastsinn verdankt wie das Feingefühl namens Takt.
„Prière de toucher – Der Tastsinn der Kunst“. Museum Tinguely. Paul Sacher-Anlage 1, Basel. Di bis So 11 – 18 Uhr. Bis 16. Mai 2016
Cornelia Frenkel